Die Gesellschaft erscheint manchmal hin- und hergerissen: Vorsprung durch Technik? Zurück zur Natur? Oder doch lieber irgendwas dazwischen? Diese Fragen und Konflikte greifen auch zehn junge Künstlerinnen und Künstler in ihrer Ausstellung MANA auf, die zurzeit in München und im Netz zu sehen ist. Kryptogeld und Mikroalgen, Game Engines und symbiotische Oktopusse vermischen sich zu einer inspirierenden Erfahrung.
Von Wolfgang Kerler
Rote Neonröhren beleuchten den Glaskubus von innen. An der Unterseite seines Deckels hängen die Überreste von Schmetterlingspuppen. Und in seiner Ecke arbeitet ein Rechner vor sich hin, ausgestattet mit einer leistungsstarken GeForce-RTX-Grafikkarte.
Mit diesen Mitteln komprimiert Tatjana Vall die vielleicht heftigste Debatte der Tech-Welt in einem einzigen Schaukasten. Denn der Rechner schürft neue Einheiten der Kryptowährung Ether. Dafür muss er komplexe Aufgaben lösen, verbraucht Energie, sein Lüfter läuft und läuft. Das Abfallprodukt ist dementsprechend heiße Luft.
„Die Vorgeschichte meiner Arbeit, wie sie jetzt hier steht, ist, dass sich Schmetterlinge in der Nähe des arbeitenden Computers verpuppt haben“, sagt die Künstlerin zu 1E9. „Sie schätzen die Wärme.“ Mit der in diesem Fall etwas angefangen werden konnte. Sind allerdings keine Schmetterlingslarven in der Nähe, verpufft die Hitze, die beim Schürfen der meisten Kryptowährungen immer noch entsteht, ohne irgendwie genutzt worden zu sein.
Aber passt ein so hoher Energieverbrauch, um eine Form von Geld zu erzeugen, in unsere vom Klimawandel geprägte Zeit? „Ich erforsche das“, sagt Tatjana Vall. „Den Gedanken, dass man sein eigenes Geld schürfen kann, finde ich schon romantisch. Aber man muss immer an die Auswirkungen denken.“ Und damit meint sie nicht nur den Energieverbrauch, sondern auch die Knappheit von Hardware. „Was könnten wir mit den Grafikprozessoren erreichen, wenn wir sie in der Forschung einsetzen würden?“
Pauschale Urteile will sie mit ihrer Arbeit Hashcash allerdings nicht fällen, auch wenn der Anblick ihres physischen Parts durchaus etwas morbide ist. Doch im virtuellen Teil der Ausstellung besteht Hashcash aus friedlich umherflatternden Schmetterlingen. Sie wurden dort zu platinierten Faltern mit Prägestempeln, die sich schonmal auf die VR-Hände der Besucher niederlassen. Die lebendigen Schmetterlinge sind derweil längst geschlüpft und ausgeflogen.
Im Kunstwerk Hashcash kommt alles zusammen, was das Ausstellungsprojekt Mana ausmacht: Technologie trifft auf Natur, Chancen und Hoffnungen kollidieren mit Problemen, physische und virtuelle Werte und Welten vermischen sich. Und wir Menschen sind mittendrin und müssen uns irgendwie zurechtfinden, unseren Standpunkt definieren und Entscheidungen treffen.
Analoge und digitale Welt sind hier gleichberechtigt
Aber woran habt ihr gerade eigentlich zuerst gedacht, als ihr das Wort Mana gelesen habt? An Mana-Punkte in Videospielen? An The Secret of Mana für das Super Nintendo? An die Kryptowährung Mana, mit der man in Decentraland bezahlen kann? An die Lebenskraft im Diesseits und im Jenseits, wofür Mana in der polynesischen Kultur steht? Oder kennt ihr vielleicht sogar den indischen Berg Mana, der immerhin 7.272 Meter misst? Mana hat viele Bedeutungen, in der physischen, der digitalen und der spirituellen Welt.
Genau deshalb wählte die Gruppe von zehn jungen Künstlerinnen und Künstlern das Wort auch als Titel für ihre aktuelle Ausstellung. Die Arbeiten existieren sowohl gegenständlich als auch virtuell, sie thematisieren unsere Verwobenheit mit Natur und Technologien und sie verbinden Fiktion und Wirklichkeit. Bis zum 3. April 2022 sind die Skulpturen, Installationen, Videos in der Galerie der Künstler*innen in München zu sehen, auch eine Virtual-Reality-Brille für den virtuellen Teil des Projekts gibt es dort. Wer nicht nach München kommen kann, kann die digitale Ausstellung auch online besuchen. „Wir finden, dass virtuelle Ausstellungen auch nach Corona existieren sollten“, sagt Tatjana Vall, die auch zum Kurationsteam von MANA gehört. „Und zwar gleichberechtigt.“
Trotzdem gelten im analogen Raum die Gesetze der Physik, im digitalen Raum nicht zwangsläufig. Darauf weist Sebastian Quast mit seiner Arbeit Gizmos hin. Gizmos sind Orientierungshilfen in virtuellen 3D-Umgebungen, zeigen zum Beispiel in Game Engines als bunte Pfeile die Richtungen der X-, Y- und Z-Achsen. „Anders als in der physischen Welt, wo wir durch unsere Sinnesorgane immer wissen, wo oben und unten, vorne und hinten sind“, sagt Sebastian Quast, „brauchen wir im digitalen Raum Orientierungshilfen. Und ich fand es spannend, dieses System ins Physische zu übernehmen.“
Gizmos besteht daher aus drei Koordinatensystemen, die in der Ausstellung verteilt auf dem Boden liegen. „Obwohl sie in der physischen Welt eigentlich überhaupt keinen Sinn machen und eigentlich irrelevant sind“, sagt der Künstler. „Aber einen neuen Raum zeigen sie trotzdem auf. Die Vektoren geben eine Richtung vor, die unendlich ist.“ Hergestellt hat er sie mit dem 3D-Drucker, dem „direktesten Übergang vom Digitalen ins Analoge“.
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Jetzt Mitglied werden!Eine Hommage an Mikroalgen
Die größte Arbeit der Ausstellung, die sich gleich über mehrere Räume erstreckt, heißt Wonder Where to Land und stammt von Diogo da Cruz. Die Metallkonstruktion stellt eine Hommage an Mikroalgen dar, die zwar den Großteil des Sauerstoffs auf unserem Planeten produzieren, dafür aber kaum gewürdigt werden. Um die Rolle des Meeres für unsere Sauerstoffversorgung hat der Künstler deshalb gleich noch einen Science-Fiction-Krimi gedreht, der sich in seiner ebenfalls gezeigten Videoarbeit Hydrophilic Bounds abspielt.
Überhaupt begegnen einem in MANA nicht nur technologische Experimente, Videokunst und handwerkliche Arbeiten, sondern immer wieder auch lebende Organismen. Neben Schmetterlingen und Algen zum Beispiel Tauben, Rehe oder ein Oktopus, der seine Tentakel um einen Mangrovenbaum geschlungen hat, um diesen auszusaugen. Der Baum nimmt dabei aber keinen Schaden, denn es handelt sich um eine Symbiose. „Und sollten wir alle nicht noch viel mehr Symbiosen eingehen?“, fragt die Künstlerin Janina Totzauer, zu deren Werk Omega To Alpha die Pflanzen-Oktopus-Beziehung gehört. „Mit anderen Menschen, mit anderen Tieren, mit der Welt?“
Diese Einstellung – keine klare Abgrenzung, mehr Miteinander zwischen Menschen, Natur, Technologie – prägt die ganze, durchaus ungewöhnliche Ausstellung. Das ist manchmal zwar (zurecht) beklemmend, macht einen Besuch aber zu einem inspirierenden Erlebnis.
Die Ausstellung MANA ist noch bis zum 3. April 2022 in der Galerie der Künstler:innen in der Maximilianstraße 42 in München zu sehen. Gezeigt werden Werke von Diogo da Cruz, Sebastian Quast, Lilian Robl, Janina Totzauer, Judith Neunhäuserer, Merlin Stadler, Angela Stiegler, Justin Urbach, Paul Valentin und Tatjana Vall. Die virtuelle Ausstellung kann unter mana-project.xyz/ besucht werden.
Titelbild: A Finite View of Infinity von Merlin Stadler, davor Gizmos von Sebastian Quast, mana-project.xyz
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