Was man bisher über den „Supraleiter“ LK-99 weiß – und warum der Hype sein Gutes hat

Koreanische Wissenschaftler behaupten, ein Material namens LK-99 entwickelt zu haben, das besondere Eigenschaft besitzt. Die einfache Legierung aus Blei, Kupfer, Phosphor und Sauerstoff soll bereits bei Zimmertemperatur und normalem Atmosphärendruck supraleitend sein. Das wäre ein zivilisationsverändernder Durchbruch. Daher begeistert die Entdeckung das Internet, sorgt aber für ebenso viel Skepsis.

Von Michael Förtsch

Es sieht nicht gerade nach viel aus. Auf einer runden Metallplatte liegt ein kleiner Splitter. Er hat eine dunkelgraue Farbe und wirkt etwas fragil, als ob er von einem größeren Teil abgebrochen wäre. Erst beim genaueren Hinsehen fällt auf: Der Splitter schwebt. Teilweise zumindest. Seine schmale Seite hängt in der Luft. Und dieses kleine Fragment soll ein Supraleiter sein. Aber nicht irgendeiner, sondern einer, der seine supraleitenden Eigenschaften bei Raumtemperatur und normalem Umgebungsdruck behält. Das behauptet ein Team von Forschern aus Seoul, Südkorea jedenfalls in einer Studie, die am 25. Juli auf der Plattform Arxiv veröffentlicht wurde.

Laut Sukbae Lee und Ji-Hoon Kim vom Quantum Energy Research Centre und Young-Wan Kwon von der KU-KIST Graduate School of Converging Science and Technology handle es sich bei ihrer Entdeckung um nicht weniger als „ein historisches Ereignis, das eine neue Ära der Menschheit“ einleiten wird. Sollte LK-99 halten, was sie versprechen, hätten sie damit wohl auch recht. Denn ein solches Material hätte massive Auswirkungen auf alle Bereiche der Technologie, vor allem auf die Energieproduktion und damit auch auf unseren Alltag. Aber wieso eigentlich? Dafür muss man wissen, was einen Supraleiter besonders macht.

Warum so viele Hoffnungen auf Supraleitern ruhen

Wer ein Smartphone in der Hand hält, damit surft, spielt oder auf Instagram herumscrollt, merkt, dass es nach einigen Minuten warm wird. Denn das Handy verbraucht Strom. Und der fließt durch den Akku, die Leiterbahnen, die Prozessoren und den Bildschirm. – allerdings nicht ungehindert. Die Materialien, aus denen all diese Teile bestehen, besitzen einen elektrischen Widerstand. Je nach Material, dessen Querschnitt, Länge und anderen Faktoren wird der Fluss von elektrischem Strom mehr oder weniger gehemmt. Teile des Stroms gehen sogar verloren, da sie in Wärme umgewandelt werden, wenn sie auf Widerstand treffen. Nicht nur in Smartphones, sondern überall, wo elektrischer Strom fließt. In Hochspannungsleitungen, Laptops und ganzen Rechenzentren, Elektroautos, praktisch an jedem Ort, der unsere industrialisierte Welt ausmacht.

Bei einem Supraleiter ist das anders. „Supraleiter haben die einzigartige Eigenschaft, ihren elektrischen Widerstand komplett zu verlieren“, sagt etwa Cornelia Hintze vom Unternehmen Theva, das Supraleiter unter anderem für die Anwendung zur Stromübertragung und den Einsatz in Motoren fertigt. In einem Supraleiter kann der Strom also ungehindert fließen. Es kommt zu keinem Energieverlust, keiner ungewollten Umwandlung von Strom in Abwärme. Ein Computer mit Bauteilen aus Supraleitermaterialien müsste nicht mehr gekühlt werden. Das Smartphone in der Hand würde nicht unangenehm warm.

Vor allem aber: Der Stromverbrauch der Menschheit würde sich durch den Einsatz von Supraleitern massiv verringern, da der elektrische Strom effizienter genutzt werden könnte. Auch quasi verlustfrei sehr schnell ladende und entladende Batterien wären möglich. Außerdem haben Supraleiter das Potential, die Mobilität zu revolutionieren. Denn sie haben noch einen vielversprechenden Nebeneffekt: Supraleiter schweben, wenn sie über einem Magneten platziert werden – ein Phänomen, das sich Meißner-Ochsenfeld-Effekt nennt. Dabei sorgt das Magnetfeld im supraleitenden Material für einen Stromfluss, der ein entgegengesetztes Magnetfeld erzeugt.

In den japanische SCMaglev-Magnetschwebezügen kommen Supraleiter zum Einsatz. Genau wie im Supragleiter, den man im Deutschen Museum in München ausprobieren kann. Auch spekulieren Entwickler der Hyperloop-Technologie, dass sie die Idee der schwebenden Röhrenzügen mit Supraleitern leichter umsetzen könnten. Und einige Luft-, Raumfahrt- und Automobilingenieure glauben, dass sich mit Supraleitern der Energieverbrauch und Verschleiß in Motoren massiv reduzieren ließe. In der Theorie jedenfalls.

Denn dass Supraleiter bisher für all das nicht oder nur spärlich eingesetzt werden, gibt es Gründe. Zwar gibt es eine ganze Reihe von Materialien, die eigentlich als Supraleiter taugen. Aber nur unter bestimmten Bedingungen. Aluminium und Wolfram verlieren ihren elektrischen Widerstand, wenn sie auf rund – 270 Grad Celsius heruntergekühlt werden. Andere Materialien werden schon bei zweistelligen Minusgraden supraleitend, müssen aber zusätzlich einem massiven Druck ausgesetzt werden. Das macht ihren Einsatz oft teuer, unflexibel oder nur mit entsprechender Infrastruktur und an bestimmten Orten möglich.

Dennoch werden immer neue Anwendungen erprobt und in Pilotprojekten auf ihre Massentauglichkeit geprüft: Beispielsweise soll mit Supralink in München eine zwölf Kilometer lange, unterirdisch verlegte Hochspannungsleitung aus einem supraleitenden Material entstehen – das längste Supraleiterkabel der Welt. „Es kann bis zu fünf andere Hochspannungskabel ersetzen“, sagt Hintze, deren Firma am Projekt beteiligt ist. Gleichzeitig würde das Kabel den Stromverlust massiv verringern. Jedoch muss es von Kühlstationen auf einer konstanten Betriebstemperatur von -200 Grad Celsius gehalten werden.

Angebrachte Skepsis an LK-99: Kann das so einfach sein?

Dass es möglicherweise Supraleiter geben könnte, die unter weniger extremen Bedingungen ihre Eigenschaften zeigen, vermuten Wissenschaftler schon lange. Die Suche nach einem Material, dass nicht aufwendig gekühlt oder unter Druck gesetzt werden müsste, sondern bei einfach erreichbaren Temperaturen ohne Widerstand arbeiten kann, läuft daher seit Jahren. Ein Supraleiter bei Zimmertemperatur wäre so etwas wie der Heilige Gral. Doch bisherige Theorien zur Erzeugung eines derartigen Supraleiters fokussierten sich auf exotische Materialien, die beispielsweise aus der Verbindung verschiedener seltener Erden hervorgehen könnten. Auch gibt es die Hoffnung, dass bestimmte Kombinationen von Graphen in den kommenden Jahren einen Durchbruch bringen könnten. Doch all das könnte mit der angeblichen Entdeckung der koreanischen Forscher hinfällig sein.

Denn das vom Forscherteam LK-99 genannte Material soll seine supraleitenden Eigenschaften bei einem normalen atmosphärischen Druck und einer Temperatur von unter 127 Grad Celsius zeigen, was nicht allzu schwer zu erreichen ist. Außerdem soll es geradezu absurd einfach herzustellen sein: LK-99 soll lediglich aus Blei, Kupfer, Phosphor und Sauerstoff bestehen. Die Hauptbestandteile würden zu Pulvern vermahlen, in eine Phiole gefüllt und dann in einem kleinen Brennofen in zwei Phasen bei 925 Grad Celsius zusammengekocht. Fertig sei der revolutionäre Supraleiter. Kann es so einfach sein?

Einige Forscher wie der Princeton-Physiker Alex Kaplan sind begeistert. Er schrieb auf Hacker News: „Ich bin geschockt. Meine Kinnlade ist mir auf den Boden geknallt, ich habe alle meine Freunde in der Physik angerufen, die ich kenne.“ Auf Twitter schrieb er weiter, dass es die größte Entdeckung sein könnte, die er in seinem Leben sieht. Andere Experten sehen das Ganze jedoch vollkommen anders, wie The Verge in einer Umfrage feststellte.

Schnell meldeten erste Forscher mal mit diplomatischen, mal mit recht harsch Worten ihre Zweifel an. „Mein erster Gedanke war: nein“, so etwa Inna Vishik, Materialforscher an der University of California Davis, gegenüber Nature. Der Physikprofessor Jens Koch von der Northwestern University sagte The Daily Beast, dass es schon häufiger angebliche Durchbrüche bei der Entwicklung von Raumtemperatursupraleitern gab, die sich aber zuverlässig als Fehler und Betrug herausstellten. Andere Wissenschaftler äußerten sich anonym und bezeichneten die Studie und Ankündigung unverblümt als „totalen Blödsinn“ und „ausgemachten Unsinn“, der „der Materialwissenschaft und seriösen Forschern einen Bärendienst“ erweise.

Die Gründe für die Skepsis: Die Herstellung des vermeintlichen Supraleiters LK-99 erscheint viel zu simpel und die Studie überhastet abgefasst und veröffentlicht. Es gibt Zweifel an den Daten und den daraus gezogenen Schlussfolgerungen. So könne etwa der Schwebeeffekt auch ohne Supraleitung zustande kommen. Die Forscher könnten versehentlich ein Material geschaffen haben, das einfach von einem Managten abgestoßen wird – was ein Fall von Dia- oder Ferrogmagnetismus wäre.

Der Abfall des Widerstands auf den Nullpunkt sei viel zu abrupt, kommentieren Forscher wie Jorge Hirsch von der University of California in San Diego. Auch die Skalen für die gemessenen Werte wären so gewählt, dass sie wenig eindeutig sind. Sankar Das Sarma, Direktor des Condensed Matter Theory Center an der University of Maryland, bezeichnet die Studie der koreanischen Wissenschaftler gegenüber der New York Times als „äußerst suggestiv, aber keineswegs überzeugend“.

Auch das Umfeld der Veröffentlichung sorgt für Skepsis. Veröffentlicht wurde die Entdeckung auf Arxiv, eine Plattform für wissenschaftliche Publikationen, die ohne den sonst üblichen Peer-Review-Prozess auskommt. Was veröffentlicht wird, wird also vorher nicht von anderen Wissenschaftlern überprüft. „Wenn ich so einen bahnbrechenden Durchbruch habe, dann würde ich doch dafür sorgen, dass das erste Mal, wenn jemand davon liest, das im [Fachblatt] Nature ist“, sagt Cornelia Hintze von Theva zu 1E9. „Das muss in der Bibel der Physik veröffentlicht werden – oder zumindest in Science.“

Hinzu kommt, dass die koreanischen Forscher nicht nur eine Studie veröffentlicht haben, sondern zwei. Jene, die den Hype auslöste nennt nur drei Autoren – die andere hingegen sechs. Auch stimmten die Daten der zwei Studien nicht gänzlich übereinstimmen. In beiden fehlen darüber hinaus Informationen, um die Herstellung von LK-99 akkurat nachzuvollziehen – beispielsweise Kühlungsphasen und Möglichkeiten, die Reinheit zu testen. Dass über einen Monat vor der Veröffentlichung der Studie bereits ein Patent auf LK-99 eingetragen wurde, macht einige Kritiker ebenfalls stutzig.

Sogar Hyun-Tak Kim, einer der koreanischen Forscher, der aus der viral gegangenen Studie herausgelassen wurde, kritisierte seine Kollegen in New Scientist. Die Studie habe „viele Defekte“ und sei ohne sein Wissen veröffentlicht worden. Er selbst und ein Team würden an einer eigenen Studie arbeiten, die jedoch von anderen Forschern geprüft und in einem angesehenen Magazin veröffentlicht werden soll. Daran, dass LK-99 eine Entdeckung ist, zweifelt er aber nicht.

Doch seit die Studie viral ging, wird nicht nur fachlich über ihren Inhalt gestritten. Für noch größere Zweifel sorgen auch ganz handfeste Nachforschungen des Mediendiensts Bloomberg. Dessen Reporter wollten das Labor ausfindig machen, in dem der vermeintliche „heilige Gral der Materialwissenschaft“ entstanden ist. Der Weg zum Quantum Energy Research Centre brachte sie jedoch zu einer Tür, die in einen Keller führt und von Mineralwasserkartons eingerahmt ist. Auf das Klopfen habe vor Ort niemand reagiert.

Schweben oder nicht schweben

Trotz oder gerade wegen der Skepsis machten sich Wissenschaftler und Institute sofort daran, LK-99 zu replizieren, um zu überprüfen, ob sich die behaupteten Effekte reproduzieren oder widerlegen lassen. Genau das sorgt – bis zur Veröffentlichung dieses Artikels – aber für mehr Verwirrung als Klarheit.

Als erste wollen Forscher der Huazhong University of Science and Technology in China das Wundermaterial in kleiner Menge rekreiert haben. Am 1. August veröffentlichten sie eine Studie samt Video. Ihre Schlussfolgerung: Bei kleinen Flocken des Materials ließ sich magnetische Levitation nachweisen, ein möglicher Hinweis auf supraleitende Eigenschaften. Daher soll weiteres LK-99 hergestellt werden, um die Leitfähigkeit zu prüfen.

Ein weiteres chinesisches Team will ebenfalls erfolgreich gewesen sein. Es veröffentlichte ein Video mit einem kleinen Splitter, bei dem es sich um „hochreines“ LK-99 handeln soll. Das Video zeigt angeblich einen Effekt, der Flux Pinning genannt wird. Dabei dringen die Felder eines Magneten in einen Supraleiter ein und bilden magnetische Anker. Der Supraleiter haftet dadurch an einer Stelle und schwingt zurück, wenn er bewegt wird. Ein Effekt, der so bislang nur bei Supraleitern beobachtet wurde.

Das National Physical Laboratory von Indien hingegen konnte zwar LK-99 erzeugen, aber es konnte „kein Schweben eines Permanentmagneten über der Probe oder umgekehrt nachgewiesen“ werden. Die Messungen der Leitfähigkeit seien „unvollständig“, wie es vom Team heißt. Ähnliches gilt für die Ergebnisse der School of Materials Science and Engineering der Beihang University, der Shanghai University und der Qufu Normal University in China. Forscher der Southeast University in Nanjing, China wollen zwar „Nullwiderstand“ festgestellt haben, aber erst bei -260 Grad Celsius – wärmer als bei manch anderen Supraleitern, aber weit weg von Raumtemperatur.

Andere Forschungseinrichtungen haben zwar nicht das Material rekonstruiert, aber theoretische Analysen mit Simulationen durchgeführt. Wie etwa Sinéad Griffin vom Lawrence Berkeley National Laboratory in den USA, die in LK-99 eine Molekularstruktur ausmachte, die „für die Supraleitung günstig sein könnte“. Denn die Zusammensetzung von LK-99 führt offenbar zu einer ungewöhnlichen Umordnung der Atome, die den elektrischen Widerstand schrumpfen lässt. Wobei die Wissenschaftlerin auf Twitter einschränkt, dass ihre Untersuchung „die Supraleitung nicht beweist oder bestätigt“.

Dennoch: Ein Team mehrerer chinesischer Institute und Forschungseinrichtungen fällt am 6. August nach einer Untersuchung ein ziemlich eindeutiges Urteil. Es konnte keine supraleitenden Eigenschaften erkennen. „Unsere Messungen weisen weder auf das Vorhandensein des Meissner-Effekts noch auf einen Nullwiderstand in unseren Proben hin, was uns zu der Annahme führt, dass unsere Proben keine Supraleitung aufweisen“, so die Studie. Bei LK-99 handle es sich um einen Ferromagneten. Daher würde es schweben. Mehr nicht.

Weitere Forschungseinrichtungen arbeiten noch an eigenen Studien. Aber viele sehen die Supraleiter-Theorie als widerlegt an.

Das Internet ist begeistert

Die Meldungen über die zivilisationsverändernde Entdeckung und die Verwirrung um ihre Authentizität haben auch das Internet elektrifiziert. Auf Twitter, Reddit, Facebook, Instagram und TikTok wurden LK-99 und dessen mögliche Auswirkungen debattiert. Und natürlich auch der Fakt, dass das Material in seinen Grundzügen so simpel ist, dass es für die Herstellung keine hochspezialisierte Ausrüstung braucht. Schnell begannen daher Forscher und Tüftler mit der Reproduktion, deren Fachgebiet nicht gerade die Materialwissenschaft ist.

Der für das Luft- und Raumfahrt-Start-up Varda tätige Ingenieur Andrew McCalip beispielsweise kaufte spontan einen kleinen Hochofen und die Bestandteile des mutmaßlichen Supraleisters, um basierend auf den Informationen der Studie einen absonderlich aussehenden Brocken LK-99 nachzukochen. Denn ein solches Material sei „der Heilige Gral“, wie er WIRED sagte – und er wäre gerne dabei, wenn er entdeckt wird. Auf Twitter und Twitch vermeldete er alle Schritte, dokumentierte den Prozess und, dass ein kleiner Krümel seines LK-99 scheinbar wirklich auf einer Kante schwebt. Er hat zwischenzeitlich weitere Proben hergestellt, die nun von Forscher des USC Materials Consortium untersucht werden sollen.

Insbesondere unzählige Twitter-Nutzer verfolgen die andauernden Experimente und Analysen von McCalip, der seit dem Start des Supraleiter-Hypes mehrere Tausende Follower dazu gewonnen hat. Sie debattieren, theoretisieren und spornten den Ingenieur an. „Es ist, als würde uns das ganze Internet anfeuern“, sagt McCalip. Bei vielen scheint die Begeisterung für Supraleiter sogar das erst vor Monaten wieder erwachte Interesse an Künstlicher Intelligenz abgelöst zu haben. Ebenso hart ist auch die Enttäuschung, dass es wohl lediglich ein Magnet ist, den die koreanischen Forscher entwickelt haben.

Für viel Erheiterung, aber auch Irritation sorgte die Ankündigung einer pseudonymen russischen Biologin, die auf Twitter als @iris_IGB bislang vor allem als fluchender Anime-Fan in Erscheinung getreten ist. Iris heißt eigentlich Iris Shilovich und ist Forscherin am Institut für Genbiologie der Russischen Akademie der Wissenschaften tätig. Sie hat LK-99 spontan in einer Glasflasche in ihrer Küche gebraut. „Ja, ich habe das in meiner Küche gemacht“, sagt sie zu 1E9. „Aber ich habe das nicht mit einem Ofen gemacht, den man für Essen benutzt.“

Für Erstaunen sorgte, dass Shilovich in ihrem LK-99 ebenso wie die koreanischen Wissenschaftler ein Schweben feststellte – ein sehr starkes sogar. „Aber das ist kein großes Ding“, sagt sie. Das habe sie erwartet. Dass einige Forscher andere Ergebnisse hatten, führt Shilovich auf „einen Haufen unbekannter Faktoren“ zurück. „Es gibt vieles, was wohl einfach von anderen übersehen wird“, sagt Shilovich. Es könne beispielsweise sein, dass ein bestimmter Temperaturanstieg beim Schmelzprozess, eine bestimmte Abmischung und Menge der Ingredienzien oder etwas gänzlich anderes nötig sein könnte, um die supraleitenden Eigenschaften zu erzeugen.

Es wäre möglich, dass manche Forscher und Teams die richtigen Einstellungen mehr oder minder aus Zufall trafen, andere hingegen nicht. Veerpal Singh Awana vom National Physical Laboratory gab etwa an, dass ihr Material LK-99 zwar „sehr ähnlich“ sei, aber nicht vollkommen identisch. Das merkte auch Robert Palgrave vom University College London an. Röntgen-Analysen würden zeigen, dass das Material des koreanischen Teams sich etwa von dem der indischen Forscher unterscheide.

Schräge Theorien

Die Begeisterung im Internet für LK-99 bringt zuweilen auch absurde Theorien und Behauptungen hervor. Ein Nutzer der Plattform Hacker News will beispielsweise wissen, dass LK-99 auf einer Theorie des sowjetischen Wissenschaftlers Nikolai Nikolajewitsch Bogoljubow beruhe, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in Vergessenheit geriet und nun – ob zufällig oder nicht – wiederentdeckt wurde. Der Nutzer namens lifthrasiir behauptet, dass es sich bei LK-99 im strengen Sinne nicht um einen Supraleiter im „traditionellen Sinne“ handle, aber um ein Material, das bestimmte Eigenschaften eines Supraleiters besitze: „Man könnte sagen, dass LK-99 eine Substanz ist, die sie in einer Richtung nachahmt, aber viel formbarer ist.“

Manche UFO-Fans und Verschwörungstheoretiker wiederum mutmaßen, dass die überraschende Entdeckung von LK-99 in einer Zeit, da plötzlich UFOs und Aliens wieder ins Interesse der Öffentlichkeit rücken, kein Zufall sein kann. Ein solches Wundermaterial müsse aus dem Weltall stammen – und von intelligenten Lebewesen erzeugt worden sein. Aus einem abgestürzten UFO könne oder müsse das Material kommen. Es sei von den Forschern nur reverse engineered worden. Außerdem sei das Potential von LK-99 weitaus größer und einschneidender, als bisher vermutet. Denn LK-99 sei der Stoff, der Antigravitation ermögliche und die Menschen dadurch in die Weiten des Alls bringen könne.

Werde Mitglied von 1E9!

Hier geht’s um Technologien und Ideen, mit denen wir die Welt besser machen können. Du unterstützt konstruktiven Journalismus statt Streit und Probleme! Als 1E9-Mitglied bekommst du frühen Zugriff auf unsere Inhalte, exklusive Newsletter, Workshops und Events. Vor allem aber wirst du Teil einer Community von Zukunftsoptimisten, die viel voneinander lernen.

Jetzt Mitglied werden!

Ein Magnet mit Wirkmacht?

Bis das Rätsel um LK-99 endgültig gelöst ist – und wir definitiv erfahren, ob es nun alles nur Hype ist, oder tatsächlich die Nobelpreis-würdige Entdeckung des Jahrhunderts –, wird es wohl nicht mehr allzu lange dauern. Wobei zahlreiche Forscher schon jetzt überzeugt sind, dass sich das Wundermaterial über kurz oder lang als Magnet entpuppen wird. Dutzende von Forschungseinrichtungen weltweit nehmen sich mittlerweile dem mutmaßlichen Raumtemperatursupraleiter an, aber das mit großer Sorgfalt. Denn Verwirrung herrscht schon genug.

Vollkommen sicher ist jedoch bereits, dass LK-99 einen Effekt auf die globale Internet-Gemeinde hat, sie elektrisierte und ihr Vorstellungs- und Begeisterungsvermögen beflügelte. Der mutmaßliche Supraleiter entwickelte sich zu einem memetischen Großereignis, das Menschen träumen, rätseln, spekulieren und sogar experimentieren ließ. Es faszinierte Hunderttausende für Wissenschaft und Forschung.

LK-99 ermutigte Internetnutzer, sich mit Materialwissenschaft, Studien und obskuren wissenschaftlichen Effekten und Komplexen auseinanderzusetzen. Außerdem blickten plötzlich Investoren auf die sonderbare Technologie, die so riskant wie erfolgversprechend ist. Selbst wenn sich LK-99 also epochaler Reinfall erweist, hat der Stoff dem Feld der Supraleiter so viel Aufmerksamkeit verschafft, dass wohl die Wahrscheinlichkeit steigt, dass es hier wirklich zu einem Durchbruch kommen wird – ob nun früher oder später.

Hat dir der Artikel gefallen? Dann freuen wir uns über deine Unterstützung! Werde Mitglied bei 1E9 oder folge uns bei Twitter, Facebook, Instagram oder LinkedIn und verbreite unsere Inhalte weiter. Danke!

Sprich mit Job, dem Bot!

Job, der Bot

War der Artikel hilfreich für dich? Hast du noch Fragen oder Anmerkungen? Ich freue mich, wenn du mir Feedback gibst!

6 „Gefällt mir“

Dies kam gerade als anonymer Leserbrief zum Thema rein:

"Richtig feine Zusammenfassung ... "

2 „Gefällt mir“

#LK99 - mega internet story, und besser als Netflix :slight_smile:
image

2 „Gefällt mir“