Tiefgekühlte Supraleiter können ohne viel Energieaufwand über Gleisen schweben. Das ermöglicht neue Mobilitätskonzepte. Im Verkehrszentrum des Deutschen Museum in München können Besucher nun eine solche schwebende Bahn ausprobieren – die deutlich kleiner ausfällt als die Konzeptgrafik im Titelbild dieses Artikels. Dennoch demonstriert sie das Potenzial der Technologie. Ihr Erfinder könnte sich solche Bahnen in den deutschen Innenstädten vorstellen.
Von Michael Förtsch
Es klingt nach einem dieser Technobabble-Worte, die in Star Trek fallen, wenn die Crew der USS Enterprise irgendein Phänomen erklären soll. Aber der Meißner-Ochsenfeld-Effekt ist ganz real – und fasziniert Wissenschaftler und Ingenieure seit Jahrzehnten. Denn er lässt sogenannte Supraleiter auf geradezu magische Weise schweben und kann dadurch eine neue Art von Magnetschwebebahnen ermöglichen. Um den Effekt zu erzeugen, werden spezielle Keramikelemente, die Supraleiter, auf minus 200 Grad Celsius und mehr heruntergekühlt, wobei nahezu jeglicher elektrischer Widerstand verloren geht. Werden sie dann auf eine Bahn aus Permanentmagneten gesetzt und angestupst, ziehen sie wieder und wieder schwebend ihre Runden. Eben fast wie bei einer Magnetschwebebahn – nur, das im Fall der Supra-Gleiter keine enormen Mengen an elektrischem Strom für den Betrieb aufgewendet werden müssen.
Ein Prototyp so einer Supraleiter-Bahn lässt sich seit diesem Dienstag im Verkehrszentrum des Deutschen Museums in München ausprobieren. Der gleicht einem weißen Podest auf das zwei Rennfahrersitze montiert sind. Das Besondere: Das Podest sitzt nicht auf der mehrere Meter langen Strecke aus drei schmalen Gleisen, die sich an einer Fensterfront entlangzieht, sondern schwebt tatsächlich eineinhalb bis zwei Zentimeter darüber. Ein leichter Stoß genügt, und der Supra-Gleiter gleitet unter einem leisen Summen dahin. Es ist lediglich der Luftwiderstand, der das Gefährt ausbremst – und das Ende der kurzen Strecke. „Hier im Verkehrszentrum können Besucherinnen und Besucher erleben, wie aus einer Entdeckung eine neue Technologie entsteht, die das Zeug hat, unsere Mobilität zu verändern“, sagt Wolfgang Heckl, Generaldirektor des Deutschen Museum in München.
Hinter dem Supra-Gleiter steht unter anderem Georg Bednorz, Nobelpreisträger für Physik, der einst gemeinsam mit mit Karl Alexander Müller die heute genutzten Hochtemperatur-Supraleiter aus Keramik entdeckte. Vier Blöcke aus dem Material samt Tiefkühlaggregaten stecken im Boden des Supra-Gleiter und sorgen für den Schwebezustand. Sie müssen nicht wie andere Supraleiter vor der Entdeckung der Nobelpreisträger auf minus 273 Grad, sondern lediglich auf minus 200 Grad gekühlt werden, um ihre supraleitenden Eigenschaften zu entfalten. Geht es nach Prof. Wolfgang Heckl könnte aus dem Prototyp noch deutlich mehr werden.
Eine Supraleiter-Bahn für das Deutsche Museum?
Bereits vor vier Jahren hat das Deutsche Museum München das Architektur- und Designbüro Graft engagiert, um Kapseln und eine Demonstrationsstrecke auf Basis der Supra-Gleiter-Technik zu entwerfen, die an das Museum angeschlossen werden könnten. Die Konzeptillustrationen zeigen einen gläsernen Pod, zwei Stationen und eine in mehreren Metern Höhe angelegte Gleisbahn, die sich auf der Museumsinsel am Gebäudekomplex entlang zieht. Umgesetzt werden dürfte diese Strecke, die auch im Titelbild des Artikels zu sehen ist, allerdings eher nicht.
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Jetzt Mitglied werden!Laut Georg Bednorz sei die Technologie für den Einsatz im Personen- und Gütertransport bei lokalen und regionalen Strecken prädestiniert. Denn es bräuchte gerade einmal einen Energieeinsatz von einem Kilowatt, um eine Last von einer Tonne in die Schwebe zu bringen – und dann einen Startimpuls, um das Gefährt in Bewegung zu versetzen. „Innerstädtische Strecken, mit moderaten Geschwindigkeiten zum Beispiel hier in München, kann ich mir schon vorstellen“, sagt Bednorz im Gespräch mit Wolfgang Heckl. Für längere Strecken sei der Bedarf an raren Ressourcen für die Permanentmagneten hingegen wohl zu groß und die Technologie dadurch insgesamt zu kostspielig.
Nichtsdestotrotz finden Supraleiter als ein Bestandteil komplexerer Magnetschwebesysteme ihren Einsatz in modernen Schnellzügen. Unter anderem werden supraleitende Spulen bereits beim im Testbetrieb befindlichen JR-Maglev in Japan eingesetzt, um die Bahn vom Fahrweg abzuheben, während Elektromagnete sie in einer Fahrrinne zentrieren. Erst im vergangenen Jahr wurde zudem im chinesischen Chengdu eine ganz ähnliche Bahn vorgestellt, die Metropolen wie Peking und Shenyang verbinden und dabei Geschwindigkeiten von bis zu 620 Kilometern pro Stunde erreichen soll.
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Titelbild: Entwurfsverfasser: GRAFT Gesellschaft von Architekten mbH
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