Fast alle Medien berichteten darüber: Wer KI-Programmen wie ChatGPT besonders gut ihre Aufgaben beschreiben kann, werde von Unternehmen händeringend gesucht. Ist Prompten, wie die Fähigkeit genannt wird, also die ultimative Karriere? Der australische Forscher Cameron Shackell hat sich das genauer angeschaut – und kommt zu einem differenzierten Urteil: Gutes Prompten erfordert oft Fachwissen, das man sich nicht mit ein paar YouTube-Videos aneignen kann.
Ein Gastbeitrag von Cameron Shackell
Während sich generative KI im Mainstream etabliert, verspricht eine wachsende Zahl von Kursen und Zertifizierungen den Einstieg in den „heißen Job“ des Prompt Engineering.
Fähigkeiten im Umgang mit natürlicher Sprache, zum Beispiel mit Englisch oder Deutsch, um damit nützliche Inhalte aus KI-Modellen wie ChatGPT oder Midjourney herauszukriegen, scheinen bei Arbeitgebern also begehrt zu sein. Aber reicht es wirklich, einen kurzen Kurs zu besuchen, um dann auf der derzeitigen Hyperwelle zu seinem sechsstelligen Gehalt zu surfen?
Nur Marketing oder echte Talentsuche?
Ein im Februar veröffentlichter Artikel in der Washington Post hat viel dazu beigetragen, die Vorstellung zu verbreiten, dass Prompt-Ingenieure regelrechte „KI-Flüsterer“ sind, die „in Prosa programmieren“ könnten. Der Artikel nannte einige Zahlen über stattliche Gehälter und zitierte eine Stellenanzeige der Silicon-Valley-Firma Anthropic, die damit neue Angestellte suchte, die „einen kreativen Hackergeist haben und gerne Rätsel lösen“. Ähnliche Artikel in Time, Forbes und Business Insider heizten die Aufregung weiter an.
Und um den Übergang von Geek zu Chic endgültig zu belegen, sprangen auch noch mehrere Influencer auf den Zug auf – und stellten Prompt-Engineering als einen Goldrausch dar, in dem jeder mitverdienen kann, der bereit ist, zu lernen und ein paar Tricks einzuüben. Aber gibt es wirklich so viele Arbeitsplätze?
Die Anthropic-Werbung ist immer noch im Umlauf. Doch nach sechs Monaten wirkt sie eher wie ein Werbegag des Unternehmens als eine echte Suche nach Talenten. Und wie viele kritische Kommentatoren vorausgesagt haben, ist der Beruf des „KI-Flüsterers“ als eigenständige Karriere nicht wirklich explodiert. Als dieser Artikel geschrieben wurde, gab es in den wichtigsten Stellenbörsen Australiens keine einzige Stelle als „Prompt-Ingenieur“ ausgeschrieben. Nur vier Stellenausschreibung erwähnten Prompt Engineering als erforderliche Fähigkeit.
Etwas besser scheint die Lage für Prompt-Ingenieure in den Vereinigten Staaten zu sein. Doch auch dort ist der vermeintliche neue Beruf weitgehend in anderen Stellenbeschreibungen aufgegangen, zum Beispiel für Machine-Learning- oder KI-Spezialisten.
Verlässliche Statistiken über die wachsende (oder eben nicht wachsende) Nachfrage nach Prompt-Ingenieuren gibt es nicht. Die meisten Beobachtungen sind anekdotischer Natur. Die Realität zu erkennen, wird zusätzlich durch Beratungsfirmen wie Deloitte erschwert, die Prompt Engineering im Rahmen ihrer KI-Geschäftsoffensiven als „den Anbruch einer neuen Ära“ vermarkten.
Spezielles Fachwissen? Oder technisches Wissen? Fürs Prompten hilft beides.
Die Verwirrung darüber, ob Prompt Engineering nun sinnvoll und notwendig ist oder nicht, rührt zu einem großen Teil auch daher, dass nicht zwischen zwei Arten der möglichen Wertschöpfung unterschieden wird: durch Fachleute mit spezifischem Wissen oder durch technische Experten.
Fachleute
Der Wahrheitsgehalt der Aussage „Jeder kann das“, also Prompten, liegt darin, dass Experten mit Fachwissen in einem bestimmten Bereich in diesem oft auch die besten KI-Flüsterer sind. Sie wissen einfach, welche Fragen sie stellen müssen und können einschätzen, wie hilfreich die Antworten der KI sind.
In den Bereichen Branding und Marketing beispielsweise ist generative KI zwar bei Aufgaben auf dem Vormarsch, die generisch sind, – weshalb ich auch von „G-Kreativität“ spreche. Dabei geht es um Tasks wie „das Pepsi-Logo im Stil von Picasso“ darzustellen. Doch wenn dann Werbefachleute anfangen zu prompten, finden sie schnell heraus, wie sich Dinge tun lassen, auf die selbst die erfahrensten KI-Gurus nicht gekommen wären. Das liegt daran, dass Technikexperten oft nicht viel über Werbetexte oder Marketing wissen.
Technische Experten
Andererseits können Technikexperten, die die enorme Komplexität „unter der Haube“ von KI-Modellen durchschauen, ebenfalls als Prompt-Ingenieure Mehrwert schaffen. Denn sie kennen die Geheimnisse, wie KI-Modelle funktionieren.
Sie können dieses Wissen nutzen, um zum Beispiel die Ergebnisse für alle zu verbessern, die KI einsetzen, um Daten aus den internen Datenbanken eines Unternehmens zu erhalten. Aber sie haben in der Regel wenig Fachwissen, wenn es um nicht-technische Themen geht.
Das heißt, sowohl Fachexperten als auch technische Experten können als Prompt-Ingenieure wertvoll sein, aber sie haben unterschiedliche Fähigkeiten und Ziele. Ein Unternehmen, das generative KI in großem Umfang einsetzen möchte, braucht wahrscheinlich beide.
Ist KI nützlich oder nicht? Das ist nicht immer einfach zu sagen.
Letztendlich produziert generative KI ihre Ergebnisse für Menschen. Ein Werbetext, ein Bild oder ein Gedicht ist erst dann nützlich oder nutzlos, wenn es sich in der echten Welt bewährt – oder eben nicht. In vielen realen Anwendungsfällen dürften dabei die Fachexperten diejenigen sein, die die Nützlichkeit der KI-Ergebnissen beurteilen können.
Dennoch bleiben diese Bewertungen subjektiv. Wir wissen zwar, dass 2 + 2 gleich 4 ist. Es ist also einfach, Prompts zu testen, die die KI davon abhalten sollen zu halluzinieren, dass die Antwort 5 ist. Aber wie lange dauert es, um herauszufinden, ob die von einer KI entworfene Werbekampagne mehr oder weniger effektiv ist als die von einem Menschen – selbst, wenn ein Fachexperte die Beurteilung übernehmen könnte?
In meiner bisherigen Forschung habe ich vorgeschlagen, dass sich die Bewertung generativer KI der Semiotik annähern sollte – einem Gebiet, das die natürliche Sprache mit der realen Welt verbinden kann. Dies könnte dazu beitragen, die Bewertungslücke im Laufe der Zeit zu verringern.
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Mit einigen Tipps und Tricks herumzuexperimentieren, schadet sicher nicht. Doch für die meisten Menschen dürfte es wenig Sinn ergeben, Kurse zu belegen, wie man Prompts formuliert. Allein deshalb, weil die KI-Modelle ständig aktualisiert und ersetzt werden. Bestimmte Prompt-Techniken die aktuell zum Ziel führen, funktionieren möglicherweise nur kurzfristig.
Wer also mit Prompt-Engineering reich werden will, sollte sich besser auf die Kombination von KI und Problemformulierung im eigenen Fachgebiet konzentrieren. Als Apothekerin könnte man also versuchen, generative KI einzusetzen, um Warnhinweise auf Rezepten zu überprüfen.
Wer so ein Projekt angeht, schärft dabei auf jeden Fall seine Fähigkeit, erklärend zu schreiben, und erwirbt grundlegende Fähigkeiten im Bereich der generativen KI, die Arbeitgeber definitiv zu schätzen wisse. Und vielleicht wird man dann mit einer tollen Bewerbung an die richtige Zielgruppe doch fündig nach einem Job als Prompt-Ingenieur.
Am Ende wird die Angabe, dass man eine KI prompten kann, vermutlich zur Standardausstattung eines Lebenslauf gehören – so wie es die Info war, dass man weiß, wie man eine Suchmaschine benutzt (was nicht immer so intuitiv war wie heute). Und irgendwann wird es einen zum Dinosaurier abstempeln, wenn man seine Prompt-Fähigkeiten überhaupt noch erwähnt.
Dr. Cameron Shackell ist als Sessional Academic and Visitor and der School of Information Systems der Queensland University of Technology tätig. Er arbeitet auch in der Privatwirtschaft als CEO von GeneriTrend, einem Unternehmen, das KI zur Analyse von Marken und Warenzeichen einsetzt.
Titelbild: Michael Förtsch mit Stable Diffusion für 1E9
Dieser Artikel erschien zunächst unter einer Creative Commons Lizenz auf Englisch bei The Conversation . Die Übersetzung stammt von 1E9.
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