Vielleicht kann das Handy bzw. Smartphone als Fallbeispiel zwei Seiten dieser Frage aufzeigen. Einerseits wurden alle Technologien, die das Iphone nutzt, öffentlich gefördert (wie die Ökonomin Mazzucato betont). Andererseits behinderte die Vorgabe der Nutzung des GSM-Standards die Entwicklung mobilen Internets - und somit eine sinnvolle Nutzung von Smartphones (der britische Politiker Matt Ridley betont, die Fachcommunity – nicht jedoch die Industrielobbies in Europa- hätte damals den geeigneteren CDMA-Standard bevorzugt).
Dass deswegen, ähnlich wie in den USA, der Fokus auf eine staatliche Förderung von Grundlagenforschung gelegt werden sollte und danach staatliche Regulierung zurückgefahren werden soll, kann jedoch nicht abgeleitet werden. Anders als oft dargestellt, gibt es in den USA starke staatliche Regulierungen (siehe FDA, NHTSA, FTC, die vor der EU gegen große Digitalfirmen auftraten).
Eine Entscheidung, die eine einzige Technologie für den gesamten (europäischen) Markt vorgibt, widerspricht jedoch der Förderung und der Nutzung von Innovations-Ökosystemen, die bestmögliche Technologien hervorbringen.
Vielleicht kann dem Cloud-Projekt GAIA-X eine gute Balance zwischen Top-down-Regulierung und Bottom-up-Förderung gelingen. Es wird zwar von europäischen Staaten vorangetrieben, aber eher als als Community-Projekt, wobei die Industrie deutlich stärker gewichtet ist als Forschungspartner. Immerhin geht es um digitale Infrastrukturen – also einer staatlichen Regulierungsaufgabe. Bei GAIA-X geht es aber um die Verknüpfung bestehender physischer Infrastrukturen und Clouddienste, also nicht um den Aufbau einer neuen Infrastruktur. Durch öffentliche Förderprojekte sollen GAIA-X-Projekte in unterschiedlichen Anwendungsbereichen (u.a. im Gesundheitsbereich) „gepusht“ werden, mit der Hoffnung, das dadurch die Nachfrage nach mehr GAIA-X durch die Industrie „gepullt“ wird. Typisch Deutschland scheint die Automobilbrache hier als Erste aktiv zu werden (https://catena-x.net/de/).
Kann das ein geeignete Förderung einer Infrastruktur sein, die zu einem Ökosystem innovativer Clouddienste wachsen kann? Ist das ein gelungenes Beispiel für selbstregulierende Innovations-Ökosysteme, die anfangs vom Staat in die gewünschte Richtung angeschubst wird oder sind andere Ansätze geeigneter?
Danke für den Denkanstoß. Bei GAIA-X bin ich mir noch nicht sicher, ob ich das einen überzeugenden Ansatz finde. Grundsätzlich finde ich die Idee eines Community-Projekts gut, aber die US-Player, die jetzt schon den Cloud-Markt dominieren, sind Teil der Community – sogar Palantir ist dabei. Nun ist gegen US-Unternehmen natürlich grundsätzlich erstmal überhaupt nichts einzuwenden, aber wenn das Projekt die technologische Souveränität Europas pushen soll… dann ist das unter Umständen nicht zielführend.
Außerdem bleibt die Frage: Wie kann man in dieser Gemengelage überhaupt konkrete Fortschritte erzielen? Es sind mehrere staatliche Ebenen mit teils unterschiedlichen Interessen beteiligt, diverse Unternehmen, die ganz eigene Ziele verfolgen… super schwer zu managen. Ob das schnell genug ist, um technologisch führende Lösungen zu entwickeln?
Ich persönlich halte es für einen pragmatischeren Ansatz, weiterhin auf die Förderung von Grundlagenforschung zu setzen, dabei aber viel stärker auch die Möglichkeit mitzudenken, dass daraus Produkte/Start-ups etc. entstehen können. Dass es danach immer gleich zu Regulierungsschwierigkeiten – zu viel oder zu wenig – kommen muss, würde ich nicht so sehen. Bei einem Mobilfunkstandard, klar, aber nicht jede Technologie ist ja in der Liga.
Zu den Standards: Die werden wir sicherlich in vielen Bereichen brauchen. Dass dabei in der Vergangenheit auch offenbar falsche Standards definiert wurden, ist vielleicht auch ein Indiz dafür, dass der Prozess, um diese zu definieren, nicht funktioniert hat und zu viel Spielraum für Lobbying gelassen hat?
Gerade Gaia-X (insbesondere mit dem Hinweis von @Wolfgang zu Palantir) ist für mich ein trauriges Beispiel, wie Regulierung für Machtpolitik missbraucht werden kann. Ich mag da komplett falsch liegen, aber irgendwie klang Gaia-X schon bei der Ankündigung auf dem Digitalgipfel nach einer hohlen Drohkulisse, um über informatorischen Zugang und finanzielle Beteiligung mit den laufenden Plattformen zu verhandeln.
Ich bin auch grundsätzlich skeptisch, was staatliche Förderung angeht. Jeder noch so armen MitbürgerIn werden die Steuern aus der Tasche gezogen, um sie milliardenschweren Unternehmen als Förderung zu zahlen. Da sollte man lieber jeder BürgerIn direkt nach Schulabschluss ein kleines F&E-Budget geben, das man entweder für eine eigene Idee nutzt, oder um sich einer anderen Idee anzuschließen (oder einem milliardenschweren Unternehmen). Das würde einen Innovationsboom geben, der gar keine Regulierung braucht, weil er direkt von der demokratischen Mehrheit getrieben wird.
Ich war anfangs auch überrascht, dass die Hyperscaler mitmachen „dürfen“, fand es aber dann eigentlich klug, um marktrelevant sein zu können. Im Grunde geht es ja bei der häufigen Kritik gegen die großen US-Firmen auch nicht gegen einen Kreuzzug, sondern um die Einhaltung konkreter Regeln (ob bei Steuern, Datenschutz etc.). Solange sie diese einhalten, ist ihre Teilnahme vorteilhaft.
Die Gemengelage kann auf jedenfall hinderlich sein. Ich schätze GAIA-X gar nicht so sehr als technologisches sondern als politisches Projekt ein. Dementsprechend geht es um einen Interessensausgleich, der auch durch technische Lösungen unterstützt werden kann.
Die Grundidee bei GAIA-X finde ich ja lobenswert. Sich nicht in technische Entwicklungen einzumischen, sondern vielmehr Standards durch die jeweiligen Community erarbeiten zu lassen, damit bestehende Dateninfrastrukturen vernetzt werden. Ich bin mir nur nicht sicher, ob das allgemein klappen kann, denn die Anreizstrukturen sind noch unklar. Wenn die Firmen und Akteure wenig Nutzen ziehen, wird es nicht klappen. Das wird sicher vom Anwendungsbereich und konkreten Use Cases abhängen - immerhin haben sich hier einige Hubs gebildet.
Das ist eine interessante Perspektive. Ich habe den Eindruck die Politik wollte mit GAIA-X einen Mittelweg finden. Also keine expliziten Standards oder Technologien vorgeben/bevorzugen (vgl. GSM beim Mobilfunk), sondern das Thema anschieben und durch die jeweiligen Akteure verhandeln lassen. Dass damit der Industrie ziemlich viel Spielraum gegeben wird, ist gerade in der EU (die bei GAIA-X ja nicht als expliziter Akteur auftritt) nicht überraschend. Und ja, das Verhandeln von Standards ist immer auch eine machtpolitische Handlung, ob durch staatlichen oder wirtschaftlichen Akteuren. Aber gerade weil in GAIA-X internationale Akteure (inkl. den Hyperscalern) involviert sind, ist dieser Prozess offen gehalten. Meiner Meinung ist es nun Aufgabe der Politik ein Gleichgewicht zwischen den Akteuren beim Erarbeiten der Standards und Regeln zu fördern. Es ist ok, wenn es primär ein wirtschaftliches Projekt ist, aber die Zivilgesellschaft und Forschungseinrichtungen sind deutlich unterrepräsentiert. Vielleicht ist meine Vorstellung des Kräfteausgleichs durch Politik auch ein wenig naiv
Es ist halt einfach ein absoluter Witz, dass Palantir an Bord ist, während man Gaia-X mit dem Versprechen gestartet hat, genau solche Leute rauszuhalten. Und dann erscheint mir ein breit angelegter Partizipationsprozess auch als ein super Instrument zur Legitimation dieser merkwürdigen Party.
Tatsächlich wird der Begriff Stakeholdereinbindung bzw. Partizipation ift euphemistisch für Lobbyismus verwendet.
Es fehlen jedenfalls klare Transparenzregelungen, mit denen Palantir wahrscheinlich Probleme hätte.
Jedenfalls ist seitens GAIA-X noch jede Menge zu tun, damit es nicht die Macht der Grossen Player weiter ausbaut, sondern gerade ein Ökosystem für Startups bietet, sodass diese genauso leicht an Daten kommen wie Platzhirsche. Vielleicht sogar mit einer (progressiven) Datenteilungspflicht. Also die typischen Datensammler dürfen mitmachen, wenn sie ihre Daten auch anderen zur Verfügung stellen… Man wird ja noch hoffen dürfen…