Ganze Häuser, Ersatzteile, Kunst – und irgendwann vielleicht sogar neue Organe. Mit 3D-Druckern lässt sich fast alles produzieren. Vor allem dank Freiwilliger hat auch die Herstellung von 3D-gedruckten Prothesen für Tiere riesige Fortschritte gemacht.
Von Adriano D’Adamo
Es war ein Schock für die Pfleger im Weltvogelpark Walsrode. Eines Morgens im Jahr 2017 sahen sie nach ihren Vögeln – und mussten feststellen, dass sich Söckchen ihr linkes Bein gebrochen hatte. Der Tierarzt konnte nichts mehr tun als dem knapp 1,20 Meter großen Greifvogel das untere Bein zu amputieren. Doch ohne Bein wurde Söckchen depressiv. Sekretäre, wie Söckchens Vogelart heißt, nutzen ihre Beine nicht nur zum Laufen, sondern auch zum Stampfen, um ihre Beute aufzuscheuchen. Die Jagdrituale fielen also aus. Um Söckchen zu helfen, gab der Weltvogelpark eine Prothese in Auftrag – und zwar beim damaligen Studenten Lars Thalmann, einem Mitglied von e-NABLE.
Das Open-Source-Netzwerk e-NABLE ist ein internationaler Zusammenschluss von Freiwilligen, die mit ihren 3D-Druckern eigentlich individuelle Prothesen für Kinder herstellen. Doch nachdem mehrere Scans gemacht und Maße genommen wurden, erhielt diesmal Söckchen innerhalb weniger Wochen ihre erste gedruckte Prothese. Die musste viel aushalten und durfte nicht zu leicht sein, weil Sekretäre ihre Füße eben auch zum Stampfen nutzen. Die erste Version des Beinersatzes wurde dann jedoch zu schwer für Söckchen, weswegen der Vogel Schwierigkeiten hatte, das Gleichgewicht zu halten. Die zweite Version passte dann – und das neue Bein aus dem 3D-Drucker brachte Söckchen neue Lebensfreude. Die Prothese musste aufgrund von Abnutzung vor einiger Zeit erneuert werden. Alle Prothesen für Söckchen waren sogar erstaunlich günstig.
Die Kosten für so eine Prothese aus dem 3D-Drucker sollen bei nur 30 Euro liegen, weshalb ein bisschen Trial-and-Error auch kein Problem ist. Mit älteren Technologien war so ein Preis noch undenkbar. Das zeigen die Beispiele der beiden Delfine Fuji und Winter, die Anfang des Jahrtausends neue Schwanzflossen brauchten und damals „normale“ Prothesen erhielten. Fujis Exemplar kostete satte 100.000 Dollar. Die Herstellung von Winters neuer Flosse dauerte 18 Monate. Die erste Tierprothese aus einem 3D-Drucker entstand schließlich 2008 – für einen Weißkopfseeadler namens Beauty. Eine Geschichte ohne Happy End. Doch dazu später mehr.
Ein Hund mit einer vorläufigen Prothese. ©3D Natives
Rund um die Welt wird Hilfe für Tiere gedruckt
Söckchen, Fuji und Winter oder Beauty: Erfreulicherweise gibt es immer mehr Fälle von Tieren, denen durch Prothesen aus dem 3D-Drucker geholfen wurde. Zu dieser Entwicklung wollen nun auch die zwei Augsburger Studenten Dominik Hogen und Simon Schuß beitragen. Im Zuge ihrer Masterarbeit starteten sie das Projekt Pawsthesis.
Pawthesis entstand aus einer Aufgabe, welche die beiden angehenden Wirtschaftsingenieure in einem 3D-Druck-Seminar bekamen. Die Herausforderung bestand darin, ein Produkt aus dem 3D-Drucker zusammen mit einem überzeugenden Businessplan zu entwickeln. Die Studenten erinnerten sich bei der Ideenfindung an einen älteren Mann aus ihrer Nachbarschaft in Friedberg, dessen Hund nur drei Beine hatte. Also verpassten sie ihm erfolgreich eine Prothese – und blieben auch nach dem Seminar bei ihrer Idee, woraus schließlich Pawsthesis wurde.
Aus dem 3D-Drucker kommt aber kein einfacher Zylinder, der an jedes beliebige Hundebein gebunden wird. Schon allein, weil Hunde so unterschiedlich sind. Ein kleiner Havaneser, zum Beispiel, wiegt nur zwischen vier und sieben Kilo. Ein Neufundländer kann hingegen gut und gerne über 60 Kilo wiegen. Die gedruckten Prothesen bestehen daher aus mehr als 20 Einzelteilen und sind individuell auf jeden Hund angepasst. Um das zu ermöglichen, bekommen alle Hundebesitzer:innen ein Abdruckset nachhause geschickt. Mit den darin enthaltenen Utensilien können sie selbst einen Abdruck der betroffenen Stelle anfertigen. Damit und mit ein paar grundlegenden Daten zum Hund – Rasse, Größe, Gewicht und, um welches Bein es geht – kann Pawthesis eine erste Prothese mit einer CAD-Software konstruieren und dann drucken. Bevor die Hunde bedenkenlos damit herumrennen können, muss die Prothese dann einige Tests wortwörtlich durchlaufen.
Auf einem Laufband werden Bewegung und Gangart der Hunde mit und ohne Prothese analysiert, aber auch welche Körperteile besonders belastet werden. Die Ergebnisse nutzen die Studenten, um weitere wichtige Parameter der Prothese zu bestimmen, wie die Bauteildicke, Füllmenge oder Wandstärke. Damit können sie das Gewicht des Baustücks anpassen und dafür sorgen, dass die Prothese schlussendlich genügend Druck aushält.
„Grundsätzlich sind die verwendeten Materialien bei jedem Hund gleich. Jedoch muss die Prothese an die Anforderungen, also Gewicht, Aktivität, etc. des jeweiligen Hundes angepasst werden, das Basisdesign bleibt aber immer gleich. Hier kommen wieder die Vorteile des 3D-Drucks zum Tragen.“, erläutert Simon Schuß von Pawthesis auf Nachfrage von 1E9. Es handelt sich also um „Mass Customization“. Aktuell befindet sich Pawthesis noch in der Entwicklungsphase, soll aber im Sommer 2021 marktreif sein. Ein EXIST-Gründerstipendium haben die beiden Augsburger Studenten schon bekommen.
Krebsdetektoren aus dem Drucker
Ebenfalls aus dem 3D-Drucker kommt eine besondere Art von Hundenase. Forscher:innen druckten die Nase eines Golden Retrievers aus – wollten damit allerdings keinen verlorenen Riecher eines Hundes ersetzen. In erster Linie wollten sie anhand des 3D-gedruckten Modells das Riechen der Hunde analysieren, die bestimmte Stoffe immerhin bis zu 40-mal besser erschnüffeln können als der Mensch. Das langfristige Ziel des Experiments war es nämlich, maschinelle Detektoren zu verbessern, um damit Drogen, Krankheitserreger, Sprengstoff oder sogar Krebs zu erkennen.
Dank des 3D-Modells der Golden-Retriever-Nase konnten sie die Ein- und Ausatmung, den Luftzug und die Ausrichtung der Nasenlöcher der Hunde genau untersuchen. Ihre Ergebnisse konnten sie dann auf Dampfdetektoren übertragen und deren Performance um das 18-fache verbessern, wenn es darum geht Sprengstoff oder Krankheitserreger zu entdecken. Schon 2016 veröffentlichten die Forscher:innen diese Ergebnisse in einem Paper für Nature .
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Aber zurück zu den „echten“ Prothesen. Der 3D-Drucker ist nicht die pauschale Lösung für jedes Tier, wie die Geschichte der allerersten Tierprothese aus dem 3D-Drucker von 2008 zeigt. Dem Weißkopfseeadler Beauty fehlte damals der obere Teil ihres Schnabels, was besonders gefährlich war, weil dadurch ihre Nebenhöhlen freigelegt wurden. Pfleger:innen gingen davon aus, dass ihr der Schnabel abgeschossen wurde. Dank Röntgenaufnahmen konnte ein 3D-Modell vom verbliebenen Schnabel gemacht werden, das mit den Daten eines gesunden Schnabels verglichen wurde. So konnte eine passende Prothese aus dem 3D-Drucker erstellt werden. Ähnlich wird übrigens vorgegangen, wenn Krone für Zähnen hergestellt werden müssen.
Beauty mit und ohne ihre Schnabelprothese. ©Birds and Blooms
Jedoch hatte der Fall von Beauty kein Happy End, weil ihr restlicher Schnabel im Laufde der Zeit um 1,5 Millimeter weiterwuchs. Deswegen passte die Prothese nicht mehr und die Arbeit von 18 Monaten wurde zunichte gemacht. Die Pfleger:innen entschieden sich dafür, keine neue Prothese für Beauty herstellen zu lassen. Doch auch wenn Beautys nicht geholfen werden konnte, haben 3D-Drucker inzwischen unglaublich vielen Tieren (und Menschen) mehr Lebensqualität bereitet. Sei es durch ein neues Bein, eine Supernase zur Sprengstoff-Erschnüfflung oder vielleicht auch nur durch einen hübschen neuen Napf für den besten Freund des Menschen. Der lässt sich schließlich auch drucken.
Teaserbild: Dederichs Reinecke & Partner
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