Endlich könnt ihr mit euren Freunden in die Vergangenheit reisen oder durch den Wilden Westen heizen. Virtual-Reality-Attraktionen in Parks und Spielhallen machen das möglich. Einer der Gründer von Electronic Arts hält VR deswegen für das nächste große Ding. 1E9 hat mit ihm gesprochen – und den ersten VR-Autoscooter der Welt getestet.
Von Wolfgang Kerler
Jeff Burton hatte Videospiele fast aufgegeben. Dabei ist er ein Pionier der Branche. Er fing als junger Mann bei Atari an und gehörte 1982 zum Gründungsteam von Electronic Arts rund um Trip Hawkins. „Unser Ziel war damals, Videospiele zu erschaffen, die echte Gefühle bei den Menschen erzeugen“, erinnert sich Jeff im Gespräch mit 1E9. „Wir waren überzeugt davon, dass genau das die Industrie voranbringen würde: die Emotionen, die wir mit Spielen auslösen können.“ Das „Arts“ im Firmennamen war damals keine zufällige Wahl.
Der Aufstieg der Firma zum weltweit erfolgreichen Publisher war auch sein Verdienst. Nach dem Börsengang 1989 verließ er EA und gründete eigene Unternehmen abseits der Games-Branche. Er verfolgte mit, wie Spiele immer schöner, ausgefeilter und komplexer wurden. Bis Farmville kam. „Als ich zum ersten Mal Farmville sah, dachte ich nur: Oh, mein Gott! Das ist ein Rückschritt um zehn Jahre“, sagt Jeff. Selbst heute wirkt er noch empört darüber, was viele durchaus nachvollziehbar finden dürften.
Für alle, die es verdrängt haben: Farmville erschien 2009 und entwickelte sich zu einem der erfolgreichsten Games, die man direkt auf Facebook spielen konnte. Zeitweise kümmerten sich über 70 Millionen Spieler um ihre virtuellen Farmen, obwohl das Spiel die Grafik, den Sound und das Gameplay von billigen 90er-Jahre-Titeln hatte. „Dann kamen auch noch die Spiele für Smartphones“, erzählt Jeff. „Die sind zwar richtig erfolgreich, aus meiner Sicht aber auch richtig hirnlos.“ Für ihn war das Thema Videospiele damit endgültig erledigt. Dachte er zumindest.
In Virtual Reality wird man selbst zu Pac-Man
Ausgerechnet Pac-Man brachte Jeff Burton zum Umdenken. Nicht das Arcade-Original, sondern die Virtual-Reality-Version HoloPac . „Da war ich plötzlich Pac-Man“, sagt er. „Ich rannte die Gänge in einem Labyrinth entlang, sammelte Goldstücke und musste mich an jeder Ecke nach Monstern umsehen. Ich steuerte Pac-Man nicht über einen Joystick. Ich rannte selbst.“ Der Selbstversuch überzeugte ihn vom Potential der neuen Technologie. Jetzt will er noch einmal Pionier sein.
Seit seiner Gründung im Jahr 2017 unterstützt er das Start-up HolodeckVR mit Sitz in München und Nürnberg. Dessen Spezialität ist die Tracking-Technologie, die location based Virtual Reality möglich macht. Location based bedeutet, dass die VR-Attraktionen mehr Platz brauchen als VR-Games für zuhause, weil man zusammen mit anderen Nutzern tatsächlich darin herumlaufen kann. Die Spieler steuern ihre Avatare in der virtuellen Welt nicht mit einem Gamepad oder Joystick, sondern mit ihrem Körper. Kameras und Sensoren erfassen ihre Bewegungen. Entwickelt wurde die Technologie im Nürnberger Forschungsinstitut Fraunhofer IIS. Der Name des Start-ups erinnert übrigens nicht zufällig an Start Trek.
Zu den ersten Projekten von HolodeckVR gehörte ein begehbares, virtuelles Geisterhaus. Danach stattete das Start-up zusammen mit Partnern eine Achterbahn im Europapark mit VR aus. Die Fahrt rauscht jetzt durch die Science-Fiction-Welt aus Valerian von Luc Besson. Anfang April präsentierte das Team dann den ersten virtuellen Autoscooter der Welt. Er steht im Freizeitpark Schloss Thurn in der Nähe von Erlangen. 1E9 war bei der Premiere dabei.
Dampfmaschinen-Scooter rollen durch die Prärie
Die neue Attraktion ist in der Westernstadt des Parks untergebracht, direkt neben dem großen Saloon. Beim betreten wirkt die Halle schmucklos und düster. Darin stehen Scooter-Autos herum, die fast normal aussehen. Nur die kleinen Kugeln, die auf der „Motorhaube“ sitzen, sind ungewohnt. Das gilt auch für die Infrarotkameras, die an der Decke rund um die Fahrfläche angebracht sind – und für die mobilen VR-Brillen vom chinesischen Hersteller Pico, die von zwei Mitarbeitern verteilt werden. Auf denen ist ein Aufbau angebracht, der wie ein Mini-Propeller aussieht. Auf dem sitzen ebenfalls vier kleine Kugeln.
„Das sind reflektierende Kugeln“, sagt Christian Daxer, der bei Holodeck VR als CTO für die Technik verantwortlich ist. „Über Kameras wird deren Position in Echtzeit erfasst, damit die Menschen und die Fahrzeuge auch in der virtuellen Welt positioniert werden können. Das geht so schnell, dass es der Nutzer gar nicht mitbekommt.“ Die grundlegende Technologie kenne man aus dem Motion Capturing für Filme, erklärt er. Anhand der Position der Kugeln kann das System berechnen, wie ein Objekt oder eine Person im Raum steht oder sich bewegt.
Als alle im Auto sitzen und ihre Brille aufgesetzt haben, startet das Game. Sofort wird klar, warum es Steampunk VR Scooter heißt. Man befindet sich zwar in einer hellen, weiten Wild-West-Umgebung mit einigen Holzhäusern rund herum, aber die Autos haben den Look von retro-futuristischen Dampfmaschinen. Über der Fahrbahn hängt eine Lok an einer etwas abenteuerlichen Holzkonstruktion.
Man findet sich erstaunlich schnell zurecht. Das VR-Auto wird „ganz normal“ über das echte Lenkrad und das echte Gaspedal gesteuert. Das Tracking funktioniert reibungslos und das Spiel läuft völlig ohne Ruckeln. Grafisch hat es solides Mario-Kart-Niveau. Jede Kopfbewegung und jedes Fahrmanöver werden in die virtuelle Welt übertragen. Die anderen Autos, die von den Avataren der Mitspieler gelenkt werden, bewegen sich ganz natürlich. Auch in VR bleibt Autoscooter ein kurzweiliger Spaß, macht aber viel mehr Eindruck.
Am Anfang vergisst man fast, Items einzusammeln, die Punkte bringen, weil man ständig fasziniert in der bunten Westernwelt umherschaut. Nach einer kurzen Eingewöhnungsphase zeigt das Game dann, was VR kann. Plötzlich taucht eine riesige Maschinenspinne auf, die kreuz und quer über die Fahrbahn läuft. Wer eine Waffe einsammelt, kann auf sie feuern. Dann biegt sich auch noch die metallische Fahrbahn – und man bekommt den Eindruck, die Wände hochzufahren.
Freizeitpark-Klassiker werden durch VR neu erfunden
„Mit VR hast du die Chance, Sachen zu machen, die man gar nicht bauen könnte“, sagt Thomas Wagner, der Chef von VR Coaster. Von Holodeck VR stammt die Tracking-Technologie für den Autoscooter, das Spiel designet hat seine Firma. „Wir haben in VR die Fläche vergrößert, auf der du fährst. Auch haben wir viel größere Fahrzeuge. Dadurch bewegst du dich scheinbar doppelt so schnell“, erklärt Thomas. „Es wirkt rasanter als die echte Fahrgeschwindigkeit.“
VR Coaster hat schon Achterbahnen und Freifalltürme zum VR-Erlebnis umfunktioniert. Dort erlebten die Besucher im Grunde vorberechnete Filme, in denen sie sich umschauen können. Beim Autoscooter ist das anders. Hier können sie sich wirklich frei bewegen und selbst Entscheidungen treffen. „Das ist alles Echtzeitgrafik“, sagt Thomas.
VR Coaster und Holodeck VR sind Teil eines weltweiten Trends. Ähnliche VR-Attraktionen erobern die Freizeitparks und könnten sogar zu einem Revival der Spielhallen führen. Virtuelle Welten, die physikalisch begehbar und erlebbar sind, schaffen eine neue Art von Abenteuer. Inzwischen gibt es VR-Zombie-Shooter oder virtuelle Zeitreisen ins Prag des 16. Jahrhunderts. Auch die Welten von Star Wars oder der Ghostbusters werden zu stationären VR-Erlebnissen, die man gemeinsam mit Freunden erleben kann.
Eine neue Gründerzeit für die Videospiele-Branche?
Der EA-Veteran Jeff Burton bezweifelt, dass VR die „klassische“ Art, Spiele zu spielen – also auf Bildschirmen – verdrängen wird. Er prognostiziert auch VR-Headsets fürs eigene Wohnzimmer gute Erfolgschancen. Doch sein Herz schlägt für die neuen, begehbaren VR-Attraktionen. „Was zurzeit passiert, erinnert mich an die Anfangszeit bei Electronic Arts“, sagt er. „Die Technologie war noch nicht perfekt, aber die Richtung stimmte.“ Die Spiele seien gut genug gewesen, dass Leute sie spielen wollten. „Aber wir wussten, dass viel mehr möglich sein wird,“ sagt er. „Genau an diesem Punkt stehen wir gerade mit location based Entertainment.“
Immer noch gehe es ihm vor allem um eines: echte Gefühle bei Menschen erzeugen. „Die emotionale Anziehungskraft, die eine VR-Welt erzeugt, ist viel größer als die einer Welt, die nur auf einem flachen Bildschirm stattfindet“, findet er. Genau deshalb will er es jetzt doch noch einmal mit Videospielen versuchen.
Was meint ihr? Könnten gemeinsame VR-Erlebnisse zur Alternative zum Kino oder zur klassischen Achterbahn werden? Habt ihr schon Erfahrungen damit gemacht? Wenn ja, wie hat es euch gefallen? Welche VR-Games würdet ihr euch für die Zukunft wünschen?
Teaser-Bild: Holodeck VR
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