Sollten wir die Systemfrage stellen? So wie Kevin Kühnert?

Am 1. Mai hat es Kevin Kühnert, der Chef der Jusos, krachen lassen. In einem Interview mit der ZEIT sagte der selbsterklärte Sozialist auf die Frage, ob Unternehmen wie BMW kollektiviert werden sollten: „Mir ist weniger wichtig, ob am Ende auf dem Klingelschild von BMW staatlicher Automobilbetrieb steht oder genossenschaftlicher Automobilbetrieb oder ob das Kollektiv entscheidet, dass es BMW in dieser Form nicht mehr braucht.“ Außerdem machte er den Vorschlag, dass jeder maximal den Wohnraum besitzen sollte, den er bewohnt.

Das Echo war ziemlich deutlich. Die BILD-Zeitung bescheinigte Kühnert finstersten „DDR-Sprech“. Die CDU-Vorsitzende Kramp-Karrenbauer verglich ihn mehr oder weniger mit einem bissigen Hund. Und auch aus der SPD bekam er keine Unterstützung. Die Parteichefin, Andrea Nahles, hielt seine Thesen für falsch. Ein vergleichsweise hochrangiger Genosse forderte sogar seinen Parteiausschluss. Aber ist das, was Kevin Kühnert im Interview gesagt hat, wirklich so unsagbar?

Als studierter Volkswirt ist mir bisher noch kein Modell vom Sozialismus über den Weg gelaufen, das mich wirklich überzeugt hat. Bisher scheint für mich Kapitalismus bzw. die deutsche Variante der sozialen Marktwirtschaft die besseren Ergebnisse zu liefern. Aber wir haben handfeste Probleme, die durch den derzeit praktizierten Kapitalismus zumindest nicht gelöst werden: Klimawandel, Umweltzerstörung, Ungleichheit, Menschenrechtsverletzungen.

Die Präsidentin der Mozilla-Stiftung, Mitchell Baker, hat im 1E9-Interview auch unseren derzeitigen Frust mit dem Zustand des Internets auf unser Wirtschaftssystem zurückgeführt, also Datensammelwut und Machtkonzentration: „Da wir den Erfolg von Firmen am finanziellen Gewinn festmachen, den sie ihren Aktionären bescheren, dürfen wir uns nicht wundern, dass sich Unternehmen genau darauf konzentrieren: Gewinne maximieren.“

Die öffentliche Debatte war schockierend schablonenhaft

Deswegen finde ich die Gedanken von Kevin Kühnert, die im Grunde nichts anderes sind als die Aufforderung zu einer gesellschaftlichen Debatte, auf den zweiten Blick ganz interessant. Das hat er schließlich auch gesagt: „Wenn wir Sozialismus sagen, haben wir oft Bilder aus der Marxschen Zeit vor uns: große Fabriken, die nicht denen gehören, die darin arbeiten. In unsere heutige Zeit übersetzt, reden wir über den Umgang mit Internetgiganten, den Zugang zu großen Datenmengen und ob das wirklich in privatwirtschaftlicher Hand sein sollte. Der Grundsatz ist unverändert: Was unser Leben bestimmt, soll in der Hand der Gesellschaft sein und demokratisch von ihr bestimmt werden. Eine Welt, in der Menschen ihren Bedürfnissen nachgehen können. Eine Demokratisierung aller Lebensbereiche.“ Und er ergänzte, dass auch der Sozialismus mit Marktmechanismen arbeiten müssen werde.

Der Hamburger Soziologie-Professor Frank Adloff sagte in einem ganz hörenwerten Interview mit Deutschlandfunk Kultur, dass er schockiert darüber sei, wie schablonenhaft die öffentliche Debatte in Politik und Medien bisher abgelaufen ist. Der Meinung sei er auch deswegen, weil in der Wissenschaft, aber auch in der Zivilgesellschaft sehr wohl über Alternativen zum Kapitalismus oder zumindest eine Weiterentwicklung unserer Wirtschaftsordnung diskutiert wird. Nicht umsonst gab es in den letzten Jahren unzählige Bücher und Dokumentationen, die sich mit den Schattenseiten des Kapitalismus auseinandergesetzt haben.

Außerdem befinden wir uns in einer Zeit, die viele mit der Industriellen Revolution vergleichen, die schließlich dem Kapitalismus zum Durchbruch verholfen hat, aber auch die Sozialdemokratie und den Sozialismus entstehen ließ.

Ich würde deswegen gerne mit euch darüber nachdenken, ob es sinnvoll ist, die große Systemfrage zu stellen? Sollten wir uns langsam vom Kapitalismus verabschieden? Und wenn ja, wohin? Oder sollten wir lieber das bestehende System verbessern? Wenn ja, wie? Gibt’s dazu Gedanken, interessante Artikel, Bücher, Filme?

Werde selbst auch noch darüber nachdenken, welche Antworten ich geben würde und diese später noch in unserer Diskussion ergänzen.

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Ich persönlich bin überzeugt, dass Kevin Kühnert die richtigen Fragen stellt und den wackeligsten Säulen rüttelt – und das ganz zu Recht. Es ist unübersehbar, dass „der Kapitalismus“ die Gesellschaft zunehmend in Bahnen lenkt, die ihren Zusammenhalt und Resilienz gefährden – und das in einer Weise, die zunehmend in die Dimension von düsteren Cyberpunk-Dystopien vorrücken. Alleine schon die Verteilung des weltweiten Vermögen, der politische, soziale und gesellschaftliche Einfluss von Konzernen wie Google, Amazon und das nahezu folgenlose kriminelle Agieren von VW in der Abgasaffäre sind Indikatoren für ein Fehlfunktion des kapitalistischen Systems. Dazu kommen Wohnungsmangel, Spekulation mit überlebenswichtigen Ressourcen und zunehmend asoziale Beschäftigungsverhältnisse bei einem immer breiter werdenden Bevölkerungsanteil. Selbst die „soziale Marktwirtschaft“ ist nicht mehr wirklich sozial – jedenfalls nicht in der Ausprägung, die nötig wäre. Alleine dass Menschen eine Existenzangst durchleiden, ist ein Beweis, dass hier etwas nicht stimmt.

Kollektivierung und Verstaatlichung halte ich durchaus für probate Mittel um in bestimmten Feldern einzugreifen. Vielleicht nicht primär in der Automobilindustrie aber in Feldern der Grundversorgung wie Energie, Wasser oder vielleicht sogar Telekommunikation. Allerdings zweifle ich daran, dass sich allzu bald ein Systemwechsel oder grundlegende Reformen angegangen werden – dafür ist der Lobbyismus zu stark und die Verzahnung von Wirtschaft und Politik viel zu stark.

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Eine Verbesserung des bestehenden Systems halte ich nicht für sinnvoll!
Wenn unser Anliegen ein Umdenken bezüglich der Lebensgewohnheiten bzw. der Sinnhaftigkeit gesellschaftlichen Stebens ist, meines ist es jedenfalls, so denke ich, dass die Verabschiedung vom Kapitalismus erforderlich wird.
Warum?
Kapital sollte in der Zukunft nicht mehr die Triebfeder der Entscheidungen sein. Anstatt Wirtschaftslobbyisten sollten Wissenschaftler, die nicht von Kapitalträgern beauftragt sind, der Regierung beiseite stehen, um gut beraten zu werden.

Wir haben es mit einer historischen Barriere zu tun, welche wir überwinden müssen:
Wir denken in festgefahrenen Begriffen wie Kapitalismus, Sozialismus, Kommunismus, Liberalismus, Diktatur u. a. und denken nicht darüber hinaus.
Alles wurde ausprobiert oder existiert heute parallel und der demokratische Kapitalismus hat sich als das erfolgreichste System gezeigt. Die anderen Systeme funktionieren nicht so gut oder sind gar gescheitert.
Wenn nun aber das kapitalistische System an seine Grenzen gestoßen ist und wir die anderen Systeme als nicht so tauglich erkannt haben, dann wollen wir an dem besten uns bekannten System festhalten, selbst wenn wir befürchten und vielleicht ist es auch schon so weit, es dem Untergang geweiht ist.
Wir müssen den starren Geist aller uns bekannten Systeme beiseite legen, die Perlen und die fruchtbaren Essenzen verschiedener Systeme evaluieren, wenn wir etwas neues erschaffen wollen. Ja, ich denke das ist bitter nötig. Nicht mehr die starre Haltung uns bekannter Systeme gegenüberstellen oder gar im Gedankenspiel gegeneinander ausspielen.

Natürlich sind meine Gedanken diesbezüglich nicht ausgereift. Mein Appell richtet sich an das Wagnis, ein neues, uns noch nicht praktiziertes System denkbar zu machen.
Wir werden uns vielleicht einmal vor die Beantwortung der Frage gestellt sehen: „Wollen wir den Risikofaktor einer gewissen Unsicherheit eingehen, etwas wirklich Neues zu schaffen oder wollen wir an einer mit Ängstlichkeit behafteten Sicherheit festhalten, welche die Gefahr einer nicht wieder gut zu machenden Katastrophe in sich birgt?“

Wir bleiben dran…

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Daran zweifle ich auch.
Unser System ist beherrscht von der Wirtschaftsmacht, von der Macht des Geldes. Es gibt so gut wie kein aktuelles, hier angesprochenes Problem, welches nicht auf die Ausrichtung von Profitinteressen zurückzuführen ist.
Um die Probleme lebensbejahend und human zu lösen, müssten wir uns kompromisslos von der Idee befreien, das Geld eine Ware sei.
Gern würde ich diese Diskussion weiter in der 1E9-community fortsetzen. Wo auch immer und im besten Fall mit vielen Teilnehmern.
Es liegt an uns…

Schau doch bitte einmal hier hinein…

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Meine Antwort auf diese erste Frage ist ein klares ja. Die Begründung mag zu einfach oder gar banal erscheinen, doch wird ein System, welches kapitalistisches System bzw. Kapitalismus genannt wird auch immer kapital-orientiert sein. Das liegt unbestritten in seiner Natur.

Die zweite Frage allerdings,

möchte ich nach reiferer Überlegung wohl doch mit ja beantworten.
Nach einer Verabschiedung von der Kapitalorientierung zugunsten einer initialen Werteorientierung in Richtung Lebensbejahung und Humanität wäre es wichtig, die Demokratie als politisches Parteien-Monopol abzulösen, sie auf eine gesellschaftlich breite Basis zu stellen und den Mitgliedern der Gesellschaft die aktive Teilhabe an politischen Prozessen bis hin zu ihren Entscheidungen aktiv mitwirken zu lassen, zu gewähren.

Wir müssen uns davon verabschieden, alle 4 Jahre wählen gehen zu dürfen und alle politischen Entscheidungen den gewählten Politikern zu überlassen, ob sie uns gefallen oder nicht.

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