Schwimmende Windparks, Wasserstoff-Pipelines und Unterstützung von Gemeinden mit Windkraftanlagen: Die Schotten sind echte Pioniere, wenn es um das Windenergie geht. In diesem Artikel erklären wir euch, wie es zu dieser schottischen Erfolgsgeschichte gekommen ist, was die zukünftigen Pläne der kleinen Nation sind und was sich andere Länder davon abschauen können.
Von Joanne Arkless
Erst kürzlich wurde bekannt, dass der US-Konzern Amazon einen Liefervertrag abgeschlossen hat, um sich mit grünem Strom aus Schottland zu versorgen. 473 Megawatt sollen vom Offshore-Windpark Morray West an Amazon fließen, sobald die Anlage fertiggestellt ist. Auch Google und andere Unternehmen sind interessiert am Ökostrom aus Schottland. Meldungen wie diese sind für uns Grund genug, um genauer anzuschauen, wie das Land mit fünf Millionen Einwohnern zum Pionier in Sachen Windkraft wurde – und was sich Deutschland davon abschauen könnte. Außerdem erklären wir, welche Innovationen Schottland dabei umgesetzt hat, was Wasserstoff damit zu tun hat und wie Bürgerinnen und Bürger von der Entwicklung profitieren sollen.
Vorab gesagt: Sicherlich ist ein direkter Vergleich von Deutschland und Schottland nicht ganz einfach, schon weil sich Geografie oder Windkapazitäten unterscheiden. Und in Summe hat Deutschland sogar deutlich mehr Windkraftwerke als Schottland. Während die Anlagen in Deutschland auf eine Leistung von 66 Gigawatt kommen, liegt der Wert in Schottland bisher nur bei knapp 11 Gigawatt. Allerdings hat Deutschland auch fast 17-mal so viele Einwohner. Und Schottland deckt seinen Stromverbrauch fast zu 100 Prozent mit erneuerbaren Energien ab, während es Deutschland nur auf 52 Prozent bringt.
Irgendwas läuft beim Ausbau der Erneuerbaren in Schottland also besser. Denn obwohl Deutschland bei der Entwicklung von Windkraft-Technologien vorne mitspielt, hapert es – trotz der Fortschritte, die es natürlich gab – immer noch in der Umsetzung. So gab es im flächenmäßig größten Bundesland Bayern 2023 in Bayern nur 45 Anträge für den Bau neuer Windkraftanlagen.
1. Pioniergeist und Innovation: Schottlands Weg zur Windkraft-Spitze
Schottland ist bekannt für Whisky und Shortbread, doch unser heutiges Leben sähe ohne schottische Innovationen ganz anders aus. Ob Telefon, Kühlschrank, Toilettenspülung oder Kontaktlinsen, die Schotten sind seit jeher für ihren Erfindergeist bekannt. Und das in vielen Disziplinen: Im Jahr 1945 wurde Sir Alexander Fleming mit einem Nobelpreis für die zufällige Entdeckung des Antibiotikums Penicillin ausgezeichnet. Knapp 20 Jahre zuvor gelang es dem Pfarrerssohn John Logie Baird, den Prototypen eines modernen Fernsehers zusammenzubauen.
Auch in Sachen Windenergie gehörte Schottland zu den Pionieren. Die erste Windanlage, die elektrischen Strom produzieren konnte, wurde 1887 von James Blyth von der Universität Strathclyde erbaut. Blyth beleuchtete sein Ferienhaus mit Hilfe von Windkraft. Als der Professor daraufhin seine Straße mit der überschüssigen Elektrizität versorgen wollte, wurde dies jedoch von der Stadt abgelehnt, da Elektrizität damals noch als Teufelszeug galt.
Die Skepsis gegenüber Elektrizität und Windkraft ist längst verflogen. Seit Jahrzehnten liefert sich Schottland mit Dänemark und anderen Ländern einen Wettbewerb um den weltweit größten Offshore-Windpark. Aktuell liegt der Spitzenreiter Dogger Bank allerdings vor der englischen Küste von Yorkshire. Aber der Ausbau in Schottland läuft weiter – wofür immer wieder neue Wege gegangen wurden und werden.
Standard für den Bau von Offshore-Windkraftwerken waren lange die sogenannten Monopile-Fundamente. Dafür wird ein zentrales Tragrohr in den Meeresboden gerammt, um darauf die Windkraftanlage zu montieren. Die Monopile-Technologie gilt als relativ schnell und einfach, hat jedoch die Einschränkung, dass sie nur in Küstennähe eingesetzt werden kann. Ohne Alternativen hätte damit nur ein kleiner Teil der schottischen Nordsee für Windkraft genutzt werden können.
Diese Beschränkungen wollten die Schotten nicht auf sich sitzen lassen. Im Pionierprojekt „Beatrice“ wurden daher Monopile Fundamente von Jacket-Konstruktionen ersetzt, die man bis dato nur von Ölplattformen kannte. Die dafür verbauten Jackets bestehen typischerweise aus einem stählernen Gitterwerk, das einem massiven, mehrbeinigen Gerüst ähnelt und den Turm des Windkraftwerks über der Wasseroberfläche stützt. Beatrice war ein voller Erfolg, im Juli 2019 eröffnete König Charles III, damals noch Prince Charles, die zu dem Zeitpunkt größte und tiefste Offshore-Windfarm der Welt.
König Charles (damals Prinz) bei der Eröffnung der Beatrice Windfarm. Quelle: DGS
Doch auch dieser Erfolg reichte den Schotten nicht. Um das volle Potenzial der schottischen Nordsee für Windenergie ausschöpfen zu können, sind zusätzlich schwimmende oder floating Windfarmen gefragt. Hierfür werden riesige Stahlseile an einer schwimmenden Plattform befestigt und im Meeresboden mit Ankern fixiert. So sollen noch tiefere Tiefen erreicht werden, weit entfernt von der Küste. Die erste kommerzielle schwimmende Windfarm der Welt, Hywind, wurde 2009 östlich von Schottland erbaut und 2017 in Betrieb genommen.
Schwimmende Windfarm Hywind. Quelle: Crown Copyright
Schottland zeigt mit wegweisenden Projekten wie Beatrice und Hywind, dass Pilotprojekte entscheidend sind, um das Potenzial der Windenergie voll auszuschöpfen – und dass es dafür auch Mut und Geschwindigkeit braucht. In Deutschland mangelt es oft gerade daran. Der einzige Haken: Die Bauteile dafür muss Schottland importieren. Laut Statista kamen 68 Prozent der Offshore-Windturbinen Europas im Jahr 2020 vom spanisch-deutschen Unternehmen Siemens Gamesa, knapp 24 Prozent vom dänischen Unternehmen Vestas.
2. Wasserstoff mit Windkraft: Schottland könnte auch Deutschland versorgen
Seit Mai 2023 ist Windenergie die Hauptenergiequelle im gesamten Vereinigten Königreich. 61 Prozent davon kommen aus Schottland. Trotzdem plant die schottische Regierung weiterhin eine Vielzahl an neuen Mega-Windkraftprojekten. Diese sollen einen Überschuss an Strom produzieren, der dann anderweitig genutzt werden kann.
Der Plan der Schotten: Europa mit grünem Wasserstoff versorgen, also mit Wasserstoff der mit erneuerbarer Energie durch Elektrolyse gewonnen wird. Dabei wird Wasser in die Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff aufgespalten. Erste Demonstrationsanlagen, die in der schottischen Nordsee Wasserstoff produzieren, laufen bereits. Doch das ist nur der Anfang. In 20 Jahren wollen die Schotten durch wirtschaftliche Kooperationen mit Deutschland und anderen Staaten 25 Milliarden Pfund pro Jahr mit Wasserstoff-Exporten einnehmen.
Dafür wird sogar schon über eine 650 Kilometer lange Wasserstoff-Pipeline unter der Nordsee nachgedacht. Deutschlands Wirtschaftsminister Robert Habeck und Kemi Badenoch, die britische Ministerin für Wirtschaft und Energie, diskutierten im November 2023 über das potenzielle Großprojekt.
Der schottische Regierungschef Humza Yousaf kündigte im Mai 2023 an, dass vom schottischen Parlament 100 Millionen Pfund für die Forschung, Entwicklung und Umsetzung im Bereich grüner Wasserstoff zugesagt wurden. Auch die legendäre schottische Whisky-Industrie will von diesen Plänen profitieren und ist dabei, ihre Energieversorgung auf Wasserstoff umzustellen.
Schottland beweist, dass eine langfristige Planung der Energieversorgung gelingen kann, um Wohlstand und Ressourcen zu sichern. Dabei setzen die Schotten auf Innovationen und denken dort über Wasserstoff nach, wo es Sinn ergibt.
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Jetzt Mitglied werden!3. Wind meets Oil: Partnerschaften für Wissensaustausch und Investitionen
Scheinbar im Widerspruch zu den ehrgeizigen Windkraft-Plänen steht die große schottische Öl- und Gasindustrie, die ein zentraler Bestandteil der britischen Energiewirtschaft ist. Erste Ölquellen in der britischen Nordsee wurden schon 1938 vom Unternehmen British Petroleum (BP) entdeckt. Die Kommerzialisierung begann allerdings erst Mitte der 1970er Jahre. Gruppen wie Just Stop Oil kritisieren regelmäßig die schädlichen Auswirkungen der Industrie auf Umwelt und Klima.
Energiepolitik in Schottland ist eine komplexe Angelegenheit. Denn die Zuständigkeiten sind zwischen der britischen Regierung in London und Schottlands Parlament und Regierung in Edinburgh aufgeteilt. Während sich die britische Regierung in Westminster die Kompetenzen über die Energiestrategie vorbehält, soll die schottische Regierung für deren Umsetzung verantwortlich sein. Das Problem: Schottische und britische Regierungen haben sehr oft ganz andere Vorstellungen von der Zukunft im Land, was immer wieder zu Konflikten führt.
Während die frühere schottische Staatschefin Nicola Sturgeon von der Regierungspartei SNP im Jahr 2022 für ein möglichst schnelles Ende der schottischen Öl- und Gasproduktion plädierte, sprach der britische Premierminister Rishi Sunak der Öl- und Gasindustrie seine volle Unterstützung zu. Will Großbritannien seine Klimaziele erreichen, kann die fossile Industrie aber auf keinen Fall weitermachen wie bisher, sagen Experten.
Immerhin: Dass Offshore-Windkraft für die Zukunft entscheidend ist, darin ist man sich einig. Auch, weil sie die Ölindustrie „grüner“ machen könnte.
2014 brach der Ölpreis ein und stellte die schottische Industrie vor große Herausforderungen. Damit begann in den Unternehmen eine Zeit der Reflexion über ihre zukünftige Ausrichtung. Dies spiegelt sich inzwischen darin wider, dass viele Windparks von Unternehmen wie BP oder Shell initiiert werden. Auch deutsche Firmen wie EnBW mischen auf dem schottischen Energiemarkt mit. Die Energieriesen verfügen über genug Startkapital für die riesigen Windkraftanlagen und können ihre Expertise mit Offshore-Projekten nutzen, nicht zuletzt für Projekte mit grünem Wasserstoff.
Um die Ölriesen mit ins Boot zu holen, startete die schottische Regierung 2022 die Leasing-Runde INTOG (Innovation and Targeted Oil and Gas), die innovative Windkraftprojekte fördern soll. Das Ziel: Ölplattformen dekarbonisieren. Das bedeutet, die Energie, die auf den Plattformen genutzt wird, soll aus erneuerbaren Quellen stammen. Denn normalerweise werden für Bohrmaschinen und andere Maschinen Dieselmotoren verwendet. Die Umstellung auf Windkraft leistet zumindest einen kleinen Beitrag dazu, die Ölindustrie etwas umweltfreundlicher zu machen und Stromkosten zu reduzieren. Das Hauptziel der Initiative ist allerdings, die Ölfirmen mit innovativen Ideen stärker in Richtung Windindustrie zu steuern.
Was können Länder wie Deutschland daraus lernen? Die Erfahrungen in Schottland zeigen, wie langfristige politische Initiativen und enge Kooperationen zwischen verschiedenen Akteuren den Ausbau erneuerbarer Energien unterstützen können.
4. Gemeinwohl im Fokus: So profitiert die Gesellschaft von der Windenergie
Finanzielle Kompensationen für die Bauprojekte vor der Küste sollen auch für die Bevölkerung einen Anreiz schaffen, die neuen Windtechnologien zu unterstützen. Eine aktuelle Studie der South of Scotland Enterprise, einer Entwicklungsbehörde des schottischen Parlaments, berichtet, dass Gemeinden jährlich bis zu 12 Millionen Pfund von den Energieunternehmen erhalten sollen. Ab 2058 spricht die Regierung sogar von 70 Millionen Pfund zusätzlich für die Gemeinden. Außerdem sollen Privatpersonen, die in der Nähe der Windfarmen wohnen, jährliche Zahlungen für Ausgleich mögliche Unannehmlichkeiten erhalten.
Doch die Gesellschaft soll nicht nur durch Kompensationen finanziell profitieren. Windkraft soll auch eine Investitionsmöglichkeit für Bürgerinnen und Bürger sein, damit sie an Gewinnen partizipieren können. In der Grafschaft Ayrshire, zum Beispiel, haben 5.600 private und kommerzielle Investoren einen Windpark mit acht Turbinen finanziert, der die Gegend zu niedrigen Kosten mit grüner Energie versorgen soll. Es ist das größte Community-Windkraftprojekt in Großbritannien. Die Gründerin des Projektträgers Ripple Energy, Sarah Merrick, erklärt im Magazin environment journal: „Wer sich eine CO2-freie Zukunft wünscht, kann sich jetzt an Projekten für erneuerbare Energien beteiligen und direkt von niedrigeren und langfristig stabilen Stromrechnungen profitieren. Die Zukunft liegt in erneuerbaren Energien, die den Verbrauchern gehören, und Tausende Menschen im Vereinigten Königreich haben sich der Bewegung bereits angeschlossen.“ Die Windfarm soll im April dieses Jahres fertiggestellt werden.
Auch in Deutschland steigt in den vergangenen Jahres das Interesse an privaten Beteiligung an Windkraft-Anlagen. Im bayerischen Aying gibt es mittlerweile die Möglichkeit, zwischen 500 und 25.000 Euro zu investieren und jährlich Dividende zu erhalten. Die Bürgerwind GmbH will insgesamt sechs Millionen Euro einsammeln, um gemeinsam mit ihrem Eigenkapital einen Windpark zu ermöglichen.
Ob Ayrshire oder Aying: Bürgerbeteiligung an Windkraftprojekten schafft nicht nur finanzielle Anreize, sondern sorgt auch für mehr Akzeptanz. Projekte wie diese ermöglichen es, direkt von den Vorteilen der erneuerbaren Energien zu profitieren und tragen zu einer CO2-freien Zukunft bei.
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