Von Wolfgang Kerler
Erstaunlich oft wird von der deutschen Autoindustrie geschrieben. Auch von mir. Dabei stellen sich die Konzerne ziemlich unterschiedlich für die Zukunft auf. Klar, egal ob Volkswagen, Daimler oder BMW: Alle betreiben Carsharing-Dienste, alle entwickeln und verkaufen Elektrofahrzeuge, alle forschen an selbstfahrenden Autos. Die Vehemenz, mit der sie das eine oder andere tun, unterscheidet sich aber. Zumindest war das mein Eindruck, gerade in den vergangenen Monaten. Vergleichen wir, zum Beispiel, VW und BMW.
Bei BMW , berichtete das Handelsblatt kürzlich, soll der neue Konzernchef Oliver Zipse intern die Losung vorgegeben haben: Man sei Flugzeugbauer, keine Airline. Das klingt eindeutig. Das Unternehmen will sich wieder aufs Kerngeschäft konzentrieren: Autos bauen und verkaufen. Man glaubt in München wohl nicht an den schnellen Durchbruch von Robotaxis. Die Entwicklung selbstfahrender Autos treibt BMW trotzdem zusammen mit Daimler voran. Die Lust auf Mobilitätsdienste scheint BMW aber vergangen zu sein. Für ShareNow & Co., das andere Gemeinschaftsprojekt mit Daimler, werden anscheinend externe Investoren gesucht.
Ein Video vom Anfang des Jahres, das doch schon lange her ist: Nicht nur, dass Daimler und BMW offenbar nach Investoren suchen für YourNow suchen. Sie haben dort auch schon Spitzenpersonal verloren. Und die beiden Konzernchefs im Clip, Dieter Zetsche und Harald Krüger, sind beide auch nicht mehr im Amt.
Und was macht Volkswagen ? Während bei anderen Playern, die schon länger im Carsharing-Geschäft sind, die Euphorie schwindet, steigt VW jetzt erst mit großem Marketingaufwand ein – mit dem Dienst WeShare, der im Sommer in Berlin startete und komplett auf Elektroautos setzt. Außerdem hat der weltgrößte Autohersteller gerade die Gründung einer neuen Tochter verkündet, in der die Entwicklung eines selbstfahrenden Systems gebündelt werden soll. Bis Mitte des nächsten Jahrzehnts soll die Arbeit der Volkswagen Autonomy GmbH, kurz: VWAT, mit Sitz in München und Wolfsburg „Mobilitätslösungen für Personen und Waren im urbanen Raum“ ermöglichen.
Was ist der richtige Kurs? Zurück zu den Wurzeln oder volles Risiko? Wir haben darüber mit zwei Experten gesprochen, einem aus Deutschland und einem aus dem Silicon Valley: Ferdinand Dudenhöffer, Professor an der Universität Duisburg-Essen, und Tony Seba, Gründer eines Think Tanks im Silicon Valley und Lehrbeauftragter an der Stanford University. Wir fangen mit der deutschen Stimme an.
Ferdinand Dudenhöffer: Keine Milliarden für Robotaxis versenken!
Oft wird er „Autopapst“ genannt – und das nicht zu Unrecht. Professor Ferdinand Dudenhöffer ist Gründer und Direktor des Center Automotive Research, kurz: CAR, an der Uni Duisburg und seit Jahrzehnten ein Beobachter, Kenner und oft auch Kritiker der Automobilindustrie. Für die hat er in den 1980er und 90er Jahren auch selbst gearbeitet: Opel, Porsche, Peugeot, Citroen.
Das nächste große Ding ist für Ferdinand Dudenhöffer ganz klar die Umstellung auf batteriebetriebene Elektromotoren – und zwar für Autos, die ihren Fahrern persönlich zur Verfügung stehen. Ganz klassisch, fast zumindest. „Es wird sicher neue Vertriebsformen für Autos geben“, sagt er zu 1E9. „Ich gehe davon aus, dass Auto-Abos eine gute Chance haben, bei denen Sie eine monatliche Rate fürs Fahrzeug zahlen.“
Er ist sich aber ziemlich sicher, dass die meisten Kunden auch in 15 Jahren noch 24 Stunden am Tag Zugriff auf ihr Auto haben wollen, ohne eine vorherige Buchung oder Bestellung. „Und das ist ganz klar die Domäne der Autobauer“, sagt er. Außerdem sei der private Autobesitz allein in Deutschland in den letzten zehn Jahren um mehr als zehn Prozent beziehungsweise fünf Millionen Autos gestiegen. „Wir sehen derzeit nicht, dass morgen alle sagen: Man braucht kein eigenes Auto mehr.“
Was heißt das also für selbstfahrende Autos? Sollten nicht längst Milliardensummen in ihre Entwicklung und in Robotaxis und -Shuttles fließen? „Da wäre ich eher vorsichtig“, rät der Professor. Mit dem großen Durchbruch rechnet er in den nächsten zehn bis 15 Jahren nicht – und auch dann zunächst bei Nutzfahrzeugen, zum Beispiel Lastwagen auf der Autobahn. „Bei einem LKW, der 300.000 oder 400.000 Euro kostet, sind 20.000 Euro für autonomes Fahren kein großes Thema. Außerdem kann man Fahrer sparen, die knapp sind und teuer.“
Das würde aber auch für selbstfahrende Taxis oder Shuttles in den Städten gelten. Trotzdem erwartet Ferdinand Dudenhöffer hier erstmal kein Riesengeschäft, vor allem wegen des Kapazitätsrisikos. Denn wolle man Kunden nicht ewig auf die Robotaxis warten lassen, müsste man eine große Flotte im Einsatz haben. Dadurch erhöhe sich aber das Risiko von teuren Leerfahrten. „Ich sehe im Moment keinen ökonomischen Business Case“, sagt er. „Uber verbrennt schon jetzt Geld im großen Maßstab, obwohl sie noch nicht einmal eigene Fahrzeuge vorhalten müssen.“
Meinen Sie, wenn Sie ein paar tausend autonome Taxis dazustellen, die dann hoch- und runterfahren, werden die Probleme einfacher?
Ferdinand Dudenhöffer, Universität Duisburg-Essen
Ein weiterer Grund für seine Skepsis: die Großstädte seien schon jetzt an der Grenze ihrer Belastbarkeit. „Meinen Sie, wenn Sie ein paar tausend autonome Taxis dazustellen, die dann hoch- und runterfahren, werden die Probleme einfacher?“, fragt er. „Nach meiner Einschätzung eher weniger. Es geht schließlich nicht darum, nachmittags um zwei durch die Stadt zu fahren. Sie werden die Taxen morgens zwischen sieben und neun und dann wieder gegen Abend von fünf bis acht brauchen. Genau dann, wenn Sie die Verkehrsprobleme haben.“ Deswegen sieht er einen eher überschaubaren Markt für selbstfahrende Fahrdienste.
Was aber bedeutet das für die Autobauer? Was wäre aus seiner Sicht die richtige Strategie? „Die müssen jetzt erst einmal die Elektromobilität schaffen“, sagt er. Dabei spielt das vollelektrische Batterieauto die Schlüsselrolle. „Das kostet viele Milliarden. Außerdem müssen sie die Verluste schultern, die durch die Zollkriege des US-Präsidenten erzeugt werden.“
„Man sollte auf der Ebene von Tests weitermachen, um die Technologie zu verstehen. Das ist machbar und finanzierbar. Und wenn sich dann ein Markt entwickelt, können sie starten. Das ist aus meiner Sicht jetzt eine sinnvolle Strategie.“
Tony Seba: Jetzt alles auf elektrische, selbstfahrende Mobilitätsdienste setzen!
„Viele Leute haben gesagt, ich bin verrückt“, erinnert sich Tony Seba im 1E9-Interview. Das sei ihm sogar mehrmals passiert. 2010, zum Beispiel, als er prophezeite, dass der Verbrennungsmotor in 20 Jahren überflüssig sein wird. Oder 2014, als er in seinem Buch Clean Disruption vorhersagte, dass 2019 ein Elektroauto mit einer Reichweite von über 300 Kilometer für nur 35.000 Dollar auf den Markt kommen würde.
2030 haben wir zwar noch nicht. Doch mit der zweiten Behauptung lag er schon richtig. Seit Anfang des Jahres wird das Model 3 von Tesla ausgeliefert, das in der Basisversion 35.000 Dollar kostet.
Tony Seba arbeitet im Silicon Valley. Er gehört zu den Gründern des Think Tanks RethinkX und ist Lehrbeauftragter an der Stanford University. Sein großes Thema ist die Technologiekonvergenz . Ein sperriges Wort. Aber was damit gemeint ist, lässt sich einfach erklären: das Zusammenkommen oder Verschmelzen von ursprünglich getrennten Technologien zu ganz neuen Innovationen. Zum Beispiel zu selbstfahrenden Autos, die auf Bestellung, also on demand, verfügbar sind und elektrisch fahren.
Denn genau in dieser Kombination sieht Tony Seba die Zukunft der Mobilität – vor allem wegen des unschlagbaren Preises. „Sobald wir selbstfahrende, elektrische On-Demand-Fahrdienste haben – quasi Uber mit selbstfahrenden E-Autos – werden die Transportkosten im Vergleich zum Privatauto zehnmal billiger werden“, sagt er. Dafür sollen die zehnmal höhere Auslastung der Fahrzeuge und die im Vergleich zum Verbrenner deutlich niedrigeren Wartungskosten der ohnehin langlebigen Elektroautos sorgen. „Wenn etwas zehnmal billiger wurde, führte das immer zu schnellen und massiven Disruptionen“, sagt Tony Seba.
Doch was heißt das für die Autoindustrie? „Sie wird schrumpfen. Denn die Leute werden aufhören Autos zu kaufen, da es für sie ökonomisch keinen Sinn mehr ergibt.“ Anstelle der Neuwagen könnten Mobilitäts-Abos für etwa 100 Dollar pro Monat den Markt aufrollen, erwartet er. „Wer würde schon 50.000 Dollar für ein eigenes Auto zahlen, wenn er für 100 Dollar im Monat mobil sein kann?“
Sie sollten sich auf keinen Fall einbilden, den Umbruch stoppen oder kontrollieren zu können.
Tony Seba, RethinkX
Und wann wird es soweit sein? „Wenn wir die Entwicklung aller Technologien, die man für ein selbstfahrendes, elektrisches On-Demand-Fahrzeug braucht, und die dazugehörigen Kostenkurven betrachten, dann denke ich, dass es 2021 passieren wird. Dann haben wir die Technologiekonvergenz.“ Das wäre in nur zwei Jahren.
Trotzdem glaubt Tony Seba, dass die traditionellen Hersteller noch Chancen haben gegen Tesla, Waymo, Didi und die vielen anderen neuen Player. Natürlich nur, wenn sie die richtige Strategie verfolgen. „Sie sollten sich auf keinen Fall einbilden, den Umbruch stoppen oder kontrollieren zu können“, rät er. „Das wird nicht funktionieren. Sie müssen komplett auf selbstfahrende, elektrische On-Demand-Fahrdienste setzen.“
Deshalb sollten sie aus seiner Sicht auch alle Investitionen in alte Technologien stoppen, zum Beispiel in Verbrennungsmotoren. „Damit lässt sich zwar noch Geld verdienen, aber man sollte kein neues Kapital opfern.“ Zusätzlich rät er dazu, sich Verstärkung zu holen. Junge Verstärkung. „Wenn ich einer dieser Hersteller wäre, würde ich Firmen aufkaufen, die Technologie für autonomes Fahren entwickeln und für die Talente arbeiten.“
Der Schlüssel zu künftigen Milliardengewinnen liegt für ihn vor allem in der Software, also dem Betriebssystem der Roboterautos. „Beim Betriebssystem, da gibt es die großen Gewinnspannen“, sagt Tony Seba. „Natürlich wird man auch in Zukunft mit dem Bau von Autos, also der Hardware, Geld verdienen können – aber nur mit kleinen Margen.“ Für ihn ist also klar, was die Volkswagens, BMWs und Daimlers dieser Welt versuchen sollten: Die Microsofts, Googles und Apples der Zukunftsmobilität werden. Nicht die HPs oder Foxconns.
Kleiner Servicehinweis: Das Buch von Tony Seba ist inzwischen auch in deutscher Übersetzung erschienen.
Wie seht ihr den Mobilitätsmarkt 2035? Werden Autobauer nur noch Dienstleister sein – oder gar nur noch „Zulieferer“ für die Waymo, Uber & Co.? Oder wird ihr Kerngeschäft – der Verkauf von Autos – weiter funktionieren? Was würdet ihr als Automanager tun? Diskutiert mit uns unter dem Artikel!
Titelbild: Monty Rakusen / Getty Images
Dieser Artikel ist Teil des 1E9-Themenspecials: Fahren 2035. Wir und die Roboterautos. Alle Texte und Diskussionen und Mobilitäts-Expertinnen und -Experten aus unserer Community findest du hier!