Ein Physikprofessor hat ein neues physikalisches Gesetz postuliert. Es deutet darauf hin, dass Informationen in unserem Universum verarbeitet werden wie von einem Computer. Das könnte bedeuten, dass die Welt lediglich ein Computerprogramm ist. Die Ansichten des Forschers sind allerdings umstritten.
Von Michael Förtsch
Vor ziemlich genau 50 Jahren wurde Welt am Draht in der ARD ausgestrahlt. In dem auf dem Roman Simulacron-3 basierenden Science-Fiction-Zweiteiler von Rainer Werner Fassbinder wird der Protagonist Fred Stiller der neue Direktor eines Forschungsinstituts, das eine aufwendige simulierte Realität betreut, um Konsumforschung zu betreiben. Auf diesem Posten kommt er bald einer Verschwörung auf die Spur. Menschen um ihn herum verschwinden, Artikel werden aus Zeitungen gelöscht und offenbar will ihn jemand töten. Wie er letztlich feststellt, ist die Welt, in der er lebt, nicht echt. Sie ist nur eine Simulation und er nur „eine Nummer in einer Versuchsstation“ – einer Station, wie er sie selbst in seinem Institut betreut.
Zu ihrem Erscheinen im Jahr 1973 – ganze 26 Jahre vor The Matrix – war diese fiktive Enthüllung eine exotische Idee und für viele ein abwegiger Gedanke. Heute halten manche diese Vorstellung aber durchaus für eine nicht gänzlich irrwitzige oder sogar zu erwägende Überlegung. Dazu gehört offenbar auch der Physikprofessor Melvin Vopson von der Universität Portsmouth. Denn er stellt in einer gerade veröffentlichten Studie eine wagemutige Hypothese auf. Ihm zufolge könnte ein von ihm und seinem Kollegen Serban Lepadatu neu entdecktes physikalisches Gesetz die sogenannte Simulationshypothese stützen – und damit die Vorstellung, dass wir alle lediglich Figuren in einer Scheinrealität darstellen.
Wie Vopson in seiner Studie erklärt, sind Informationen eine Art fünfter Aggregatzustand. Selbst kleinste Elementarteilchen kodieren in sich Informationen über sich selbst: Masse, Ladung und Spin beispielsweise. Das ist eine Idee, die der Physiker Claude Shannon bereits in den 1940ern erwogen hatte. Die Informationen könnten sogar selbst eine winzige und bislang unentdeckte Masse besitzen. Basierend auf dieser Idee hat Vopson bereits den ungefähren Informationsgehalt des Universums ermittelt und eine Theorie aufgebaut, wonach sich die Mutation von Organismen vorhersagen lassen könnten. Basierend auf dieser Theorie haben Vopson und Lepadatu den zweiten Grundsatz der Informationsdynamik definiert.
Dieser Grundsatz ist vom zweiten Grundsatz der Thermodynamik inspiriert. Laut diesem kann die Unordnung – der Grad an Zufälligkeit, die sogenannte Entropie – in isolierten Systemen über die Zeit hinweg nur gleichbleiben oder zunehmen, aber nie abnehmen. Oder anders gesagt: Energie, in welcher Form auch immer, neigt dazu, sich von einem geordneten Zustand zu einem ungeordneten Zustand zu bewegen. Ganz ähnlich wie sich Milch in Kaffee verteilt, oder der Kram auf eurem Schreibtisch nach dem Beginn der Arbeitswoche. Allerdings: Bezogen auf die Informationsdynamik verhalte sich alles umgekehrt. Die Entropie bleibt entweder gleich oder nimmt ab.
Ein simuliertes Universum?
Dieses neue physikalische Gesetz könnte, wie Vopson meint, vielfältige Entdeckungen und Erkenntnisse ermöglichen – und uns beispielsweise unser Wissen hinsichtlich der Genforschung, der Kernphysik und Kosmologie hinterfragen lassen. Denn es erscheine, als ob die Bestandteile unseres Universums überflüssig erscheinende Informationsbestandteile aufgrund eines Strebens nach Optimierung entweder löschen oder komprimieren. Ganz ähnlich wie ein Computer nicht benötigte Informationen aus dem Arbeitsspeicher löscht, weit entfernte Texturen in einem Videospiel herunterrechnet oder eine Festplatte bereinigt und komprimiert.
Beobachtet hat Vopson die Wirkung seines Gesetzes angeblich bereits bei Elektronen. Diese würden ihre Positionen um ein Atom herum so einnehmen, dass sich ihre Informationsentropie mit der Zeit minimiert. Auch Viren wie SARS-Cov-2 würden durch ihre Mutation nach und nach ihre Entropie reduzieren. Laut Vopson könnte seine Entdeckung auch verschiedene kosmologische Beobachtungen hinsichtlich der thermodynamischen Entropie und der Symmetrie des Universums erklären. Aber vor allem: Diese Ergebnisse „liefern wissenschaftliche Beweise, die die Hypothese des simulierten Universums zu untermauern scheinen“, schreibt Vopson.
Ein solches Phänomen oder Gesetz würde darauf hinweisen, dass eine Kraft am Werk ist, die eine Effizienz und Ressourcenersparnis zu forcieren versucht. Wie eben ein System auf einem Computer. „Die Beweise sind da, und sie müssen nicht bewiesen werden“, sagte Vopson gegenüber VICE. Dass seine Entdeckung stichhaltig beweist, dass „wir in einer Simulation leben“, will der Physiker allerdings nicht behaupten. Dafür sei seine „Studie nicht ausreichend“. Allerdings hoffe er, dass seine Arbeit weitere Forschungen in diese Richtung anregen kann, die die Simulationshypothese entweder be- oder widerlegen.
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Als ein mögliches Experiment schlägt Vopson vor, etwa kleine Materieteilchen auf eine kleine Menge Antimaterie zu feuern. Dadurch sollten seiner Hypothese nach Photonen entstehen, die durch die Löschung des Informationsgehalts entstehen – und so die Gesetze der Informationsdynamik in Aktion demonstrieren. Wobei Vopson betont, dass auch das kein absoluter Beweis der Simulation sei, aber wohl die Annahme unterstreichen könnte.
Die Ideen von Vopson und auch sein neues physikalisches Gesetz sind durchaus umstritten. Einige Wissenschaftler halten sie für Humbug oder zumindest für fragwürdig.
Die Aussagen des Physikers könnten jedoch trotz Skepsis auf großes Interesse stoßen. Denn die Simulationshypothese hat in den vergangenen Jahren viele Anhänger gefunden. Darunter sowohl Hobbyphilosophen, prominente Wissenschaftler als auch schwerreiche und einflussreiche Figuren aus der Technologieszene wie der Hacker George Hotz oder der strittige Milliardär Elon Musk. Der OpenAI-Chef Sam Altmann behauptete bereits vor sieben Jahren, dass sich einige Milliardäre eine Gruppe von Wissenschaftlern finanzieren, die herausfinden sollen, ob die Simulationshypothese der Wahrheit entspricht. Und wenn ja, ob und wie man der Matrix entkommen könnte.
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Titelbild: Igor Omilaev auf Unsplash
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