Wir leben in einer gigantischen Simulation, die auf riesigen Computern einer hochentwickelten Zivilisation läuft. Das glauben einige Milliardäre und Forscher. Sie wollen sogar Fehler in der Matrix finden. Anderen halten die Simulationshypothese für vollkommenen Blödsinn. Was meint ihr? Wir liefern einige Argumente für und gegen die These, damit wir mit euch darüber diskutieren können.
Von Michael Förtsch
Es ist schon erstaunlich, wie realistisch diese Welten sind. Vor nicht ganz 50 Jahren wurden die ersten Exemplare des Atari-Automatenklassikers Pong in die Spielhallen geschoben. Das Videospiel bestand gerade einmal aus ein paar Linien, einem umher surrenden Viereck und zwei Zählern für den Punktestand. Heute zeichnen Games wie Red Dead Redemption 2 riesige Landschaften auf unsere Bildschirme und Fernseher, die mit Wäldern, Städten und Hunderten von Charakteren angefüllt sind. Die Grafik-Engines dahinter simulieren, wie Sonnenlicht in die Haut von Menschen eindringt und reflektiert wird. Sie überziehen Landstriche mit realistischem Wetter und sorgen dafür, dass die Hoden von Pferden schrumpfen, wenn die Temperaturen fallen.
Glaubt man Entwicklern, sind Videospiele, die sich optisch nicht mehr von der Realität unterscheiden lassen oder zumindest aussehen wie große Kinoblockbuster, nicht mehr Jahrzehnte entfernt, sondern nur einige Jahre. Genau das ist für den Tesla-Chef und SpaceX-Gründer Elon Musk eines der stärksten Argumente dafür, dass die Welt, in der wir leben, womöglich selbst nur eine Art Videospiel ist, eine Simulation, die von einer höheren Rasse oder unseren Nachfahren geschaffen wurde. Denn wenn wir es schon fast schaffen, virtuelle Räume zu erzeugen, die wie die echte Welt aussehen, wozu sind dann erst weiterentwickelte Wesen fähig? Wir selbst wären demnach keine biologischen, sondern digitale Verstandeswesen, die sich durch ein hyper-realistisches Abbild dessen schlagen, was da draußen möglicherweise existiert. Die Chance, dass wir in der Realität existieren, sagt Musk, liege bei „eins zu mehreren Milliarden“.
Statistisch ist die Simulation denkbar
Diese zunächst vollkommen verrückt scheinende Theorie stammt nicht von Elon Musk selbst, sondern vom schwedischen Philosophen Nick Bostrom. 2003 veröffentlichte er die Abhandlung Are You Living in a Computer Simulation?, die weltweit hohe Wellen schlug. Bostrom stellte die Hypothese auf, dass eine hochentwickelte Zivilisation wie die Menschheit an einen Punk kommen könnte, an dem sie genug Rechenkraft und Energie zur Verfügung hat, um das Leben von Milliarden Individuen in einem Computerprogramm nachzustellen.
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Jetzt Mitglied werden!Wie das aussehen könnte, das haben Science-Fiction-Autoren wie Robert Bradbury dargelegt. Er erdachte in einem Essay das Matrjoschka-Gehirn. Das soll eine riesige Hülle sein, die – vergleichbar einer Dyson-Sphäre – einen Stern komplett einschließt. Dadurch ließe sich die gesamte Energie des Sterns nutzbar machen, um gigantische Computeranlagen zu betreiben, die sich wie Zwiebelschalen um die Hülle auffächern.
Bis eine Zivilisation derartiges erschaffen könnte, müsste sie jedoch zahlreiche gesellschaftliche und technologische Herausforderungen meistern.
Nick Bostrom postulierte in seiner Simulationshypothese daher drei Möglichkeiten für eine Zivilisation wie die Menschheit.
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Möglichkeit: Sie stirbt aus, bevor sie eine Entwicklungsstufe erreicht, in der sie über die jetzigen Grenzen des Denkens, Wissens und Handelns hinauswächst und so zu einer solchen post-humanen Zivilisation mit überragenden technischen Fähigkeiten wird.
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Möglichkeit: Eine derart fortgeschrittene Zivilisation hätte zwar die Möglichkeit dazu, eine solche Simulation zu realisieren. Doch aus ethischen und moralischen Gründen oder auch einfach aus mangelndem Interesse tut sie es nicht.
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Möglichkeit: Eine solche fortgeschrittene Zivilisation existiert bereits und wir leben schon in einer solchen Computersimulation.
Die Wahrscheinlichkeiten für jede dieser Möglichkeiten sei je nach dem aktuellen Stand der Forschung mal mehr, mal weniger ausgewogen, meint Bostrom. Damit wäre die Möglichkeit, dass wir in einer Simulation leben zwar bei weniger als 50 Prozent – aber immer noch vergleichsweise hoch. Theoretisch reicht schon eine Zivilisation in der Geschichte des Kosmos mit dieser Technologie und dem Willen, eine Simulation zu erstellen, um nahezu unendlich viele davon hervorzubringen. Schließlich könnte eine simulierte Zivilisation letztlich selbst an einen Punkt gelangen, an dem sie eine oder mehrere Simulationen entwickelt. Diese könnten dann wiederum das Gleiche tun und so weiter und so fort.
Rein rechnerisch ist die Option, dass solche Simulationen existieren und wir in einer davon leben also durchaus plausibel.
Ist das Universum selbst der Beweis?
Als möglichen Hinweis für die Stichhaltigkeit der These wird sogar das Universum und das Leben darin gesehen – oder genauer: das schwache anthropische Prinzip, mit dem sich Bostrom intensiv vor dem Aufstellen seiner Simulationshypothese beschäftigt hatte. Denn sämtliche Naturkonstanten und Gesetze sind genau so eingestellt, dass sich Planeten formen, biologische Lebensformen bilden und letztlich wir Menschen entstehen konnten. Nur kleinste Abweichungen bei der Lichtgeschwindigkeit, der Gravitationskonstante oder dem planckschen Wirkungsquantum und statt eines Universums voller Sterne und Planeten gäbe es einen Haufen von wild umherfliegenden Staubpartikeln. Schon Jahre vor der Simulationshypothese spekulierten daher Physiker wie Paul Davies oder Max Tegmark, ob die Ausgangssituation des Universums und seine Gesetzte bewusst kalibriert wurden, reiner Zufall oder Ergebnis eines Multiversums sein könnten.
So einige ernstzunehmende Wissenschaftler erachten die Simulationstheorie als ein durchaus faszinierendes Gedankenspiel und ein Konzept, das nicht ignoriert werden sollte. Der Kosmologe Neil deGrasse Tyson glaubt, dass es eine „ziemliche große“ Chance gibt, dass die Welt nur eine digitale Scheinwelt darstellt und jeder unserer Gedanken durch einen gigantische Computer berechnet wird. So sehen es auch sein Berufskollege Max Tegmark und der Philosophieprofessor David Chalmers. George Smoot, Astrophysiker und Nobelpreisträger, sagt, dass die These zumindest nicht als Welterklärungsmodell ausgeschlossen werden darf. Und der NASA-Wissenschaftler Rich Terrile geht sogar davon aus, dass die Vorstellung, unser Universum sei echt , irgendwann genauso überholt sein könnte, wie das geozentrische Weltbild.
Die Liste der prominenten Anhänger der Simulationshypothese ist damit noch nicht zu Ende. Zu ihr gehören auch der Hacker George Hotz und der Videospielentwickler Rizwan Virk, der die These erst in diesem Jahr in einem Buch aufarbeitete. Selbst Analysten der Bank of America kamen zur Einschätzung, dass an der Idee etwas dran sein könnte. Den Gutachtern der Großbank zufolge gäbe es eine 20- bis 50-prozentige Chance, dass wir ein einer „ Matrix-artigen virtuellen Realität“ existieren.
Es gibt letztlich weniges, das dafür spricht
So viele Wissenschaftler die Simulationshypothese befürworten, so viele halten sie – oder zumindest die Annahme, dass wir in einer Simulation leben könnten – für ziemlich Unfug. Zu den Kritikern gehören unter anderem der Psychologe Riccardo Manzotti und der Kognitionswissenschaftler Andrew Smart. Ihnen zufolge lägen Elon Musk, Bostrom und ihre Unterstützer schlichtweg falsch. Denn, wie sie in einem Artikel auf VICE auffächern, seien zahlreiche Annahmen, die die Simulationshypothese trifft, inkorrekt oder sehr fragwürdig.
Ein Computer könne, meinen Manzotti und Smart, kein echtes Universum simulieren, weil den Resultaten von Berechnungen und Spannungswandlungen die Stofflichkeit fehle, die sie als Welt greifbar machen. Ein Gehirn, auch ein simuliertes, könne nicht einfach wie ein Monitor oder eine VR-Brille bespielt werden. Also: Wenn eine simulierte Welt existiert, heißt es noch nicht, dass sie von einer ebenso simulierten Person wahrgenommen werden kann. Aber vor allem, erklären die Wissenschaftler, gäbe es keinen empirischen Beweis oder eine glaubhafte These dafür, dass es mit zunehmender Rechenkraft irgendwann auch machbar sei, ein sich selbstbewusstes Leben auf rein digitaler Basis zu erschaffen – wie wir es letztlich sein müssten.
Und auch Lisa Randall, theoretische Physikerin an der Harvard University, hat starke Zweifel, was die Stichhaltigkeit der Simulationsthese angeht. Ihrer Ansicht nach sei es vollkommen ausgeschlossen, dass wir in einer Simulation existieren. Einfach weil „es schlicht keinen Grund zu glauben gibt, dass wir es tun“, sagte sie bei einer öffentlichen Debatte. Statistische Wahrscheinlichkeiten wären hinfällig, weil die Möglichkeit einer solch glaubhaften Simulation an sich vollkommen unrealistisch sei. Viel interessanter ist für sie die Frage, warum so viele Menschen die Theorie für so interessant halten.
Ein Plus für die Kritiker: Es gibt bisher einfach keine echten Beweise dafür, dass die These stimmen könnte, sondern lediglich vermeintliche Anzeichen. UFO-Sichtungen, Geschichten über Geister oder Zeitreisen und gar die Wahl von Donald Trump werden mal ernsthaft, mal scherzhaft als Fehler in der Matrix kategorisiert. Ebenso wie Szenen von allzu identisch angezogenen Menschen oder kuriosen Erlebnisse, die auf Reddit gesammelt werden. Aber auch Phänomene wie der Mandela Effect, falsche Erinnerungen an historische Ereignisse, das absurde Verhalten schwarzer Löcher oder Programm-artiger Code, der sich in der String-Theory versteckt, werden von manchen als Indizien gewertet. Als wissenschaftliche „Aha! Simulation!“-Argumente sind sie aber nicht zu gebrauchen.
Wir müssen Fehler in der Matrix finden
Wenn unsere Welt aber eine Simulation wäre, da stimmen Befürworter und Kritiker überein, müsste es messbare Fehler, sichtbare Unschärfen und identifizierbare Programmtricks geben. Das meinen beispielsweise der Cambridge-Mathematiker John D. Barrow und der Quantenphysiker Thomas Warren Campbell. Ihnen zufolge würde eine Simulation wohl arbeiten wie ein modernes Computerspiel, um effizient, energie- und ressourcensparend laufen zu können. Heißt: Es würde wohl nicht ständig jedes Elementarteilchen, jeder elektromagnetische Funke und jeder Teil des Universums simuliert werden.
Stattdessen würde wohl nur genug simuliert, um die Bewohner der virtuellen Welt zu überzeugen, dass sie real und vorhanden ist. Atome, Moleküle, Bakterien, Zellen, Photonen aber auch ferne Galaxien müssten lediglich gezeichnet werden, wenn sie unter Beobachtung sind. Ähnlich wie eine Engine, die nur das Stück der Welt berechnet, das der Spieler aktuell im Blick hat, und Objekte mit umso mehr Details füllt, je näher er kommt. Hier könnten sich gemäß Barrow und Campbell die Beweise für das Für und das Wider entdecken lassen. Etwa irrationale Schwankungen bei Naturkonstanten wie der Lichtgeschwindigkeit, Gravitation, der Quanten-Elektrodynamik, der kosmischen Hintergrundstrahlungen und ähnlichem.
Werden wir je die „Wahrheit“ erfahren?
Auf Beweise für oder gegen eine Simulation zu warten, das dauert manchen zu lange. Der iPhone-Hacker und Entwickler George Hotz rief in seinem von zahlreichen „Sie schauen uns vielleicht zu“-Andeutungen durchsetzen Vortrag auf der diesjährigen SXSW Conference dazu auf, die Simulation zu jailbreaken . Wenn es eine sei, dann müsse es nämlich, wie in einem Videospiel, auch Möglichkeiten geben, mit bestimmten Handlungen, Fehler auszulösen. Diese könnten es dann erlauben, das Programm dahinter zu exploiten und Dinge zu tun, die nicht vorgesehen sind: Wir könnten Cheats verwenden, um den Klimawandel zu stoppen, Krankheiten auszuschalten oder sogar die Simulation in die Welt darüber zu verlassen. Mögliche Mittel, glaubt Hotz, könnten kommende Experimente mit Teilchenbeschleunigern oder auch Quantencomputern sein. Die hätten das Potential, Bestandteile einer Simulation, wenn sie denn da ist, zu überlasten und mögliche Bugs auszunutzen.
So ganz ist Hotz von der Simulationstheorie nicht überzeugt. Aber der Glaube an eine Simulation, meint er, sei nicht verrückter als der Glaube daran, dass die Welt und alles was darin ist, von einem allmächtigen Gott geschaffen wurde. „Warum sollte es nicht wahr sein?“, fragt Hotz. Überzeugter sollen da schon zwei Tech-Milliardäre aus dem Silicon Valley sein. Die haben, das behauptete zumindest der US-Investor Sam Altmann, insgeheim eine Gruppe Wissenschaftler engagiert, um herauszufinden, ob und wie man der simulierten Scheinwelt entfliehen könnte.
Doch selbst wenn das gelingen könnte, wäre nicht sicher, dass, wie in der Truman Show , hinter dem hypothetischen Ausgang die reale Welt wartet. Möglicherweise sind dort weitere simulierte Realitäten, die von Zivilisationen geschaffen wurden, die wahrscheinlich ebenso zweifeln und auszubrechen versuchen.
Außerdem kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Entwickler einer Simulation bedacht haben könnten, dass wir nach Fehlern in der Matrix oder Ausgängen suchen würden. Jeder Versuch, einen Beweis für eine Simulation zu finden, könnte mit exakt dafür vorgesehen Daten untergraben werden. Laut Bostrom selbst wäre daher wohl die einzig schlagenden Beweise für eine Simulation jene, dass die Menschheit selbst eine solche Simulation, wie er sie beschreibt, realisiert. Oder wenn ein Windows-Fenster am Himmel auftaucht, auf dem „Ihr lebt in einer Simulation“ und „Hier für weitere Informationen klicken“ geschrieben steht.
Was denkt ihr, liebe @Mitglieder von 1E9? Leben wir in einer Simulation? Stimmt ab und verratet uns, warum ihr so abgestimmt habt.
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Teaserbild: Getty Images