Von Johannes Mairhofer
Regelmäßig liest man von neuen Anbietern. Auch über Unfälle wird ständig berichtet. Und irgendwie haben sich dadurch zwei Lager entwickelt, die sich fast schon wie Gegner gegenüberstehen. Die einen lieben die elektrischen Roller. Die anderen verteufeln sie. Ich sehe die Sache aber weniger schwarz-weiß – und will hier einen kleinen und eher nüchternen Überblick über Chancen, Risiken und meine Eindrücke geben – und zuerst einmal den aktuellen E-Scooter-Stand-der-Dinge darstellen.
Sechs Anbieter – mit einem fast identischen Produkt
Als Anfang Juli die ersten E-Scooter nach München kamen, fand ich das spannend und probierte alle damaligen Anbieter aus: CIRC, LIME, TIER und VOI. Zu diesen vieren kamen in München inzwischen noch UBER JUMP und BIRD hinzu. In anderen Großstädten sieht der Anbietermix ähnlich aus.
Trotz der vielen Firmen verhalten sich die Apps, das Handling und die Preise im Großen und Ganzen einigermaßen ähnlich. Man bezahlt einen Euro für das Entleihen eines E-Scooters und anschließend zwischen 15 und 25 Cent pro gefahrene Minute. Hier seht ihr die Übersicht, Stand: Oktober 2019, in die ich zum Vergleich auch noch die Preise für Bike-Sharing und „richtige“ Elektroroller aufgenommen habe, die man zurzeit in München zahlt.
Die Preise im Vergleich
E-Scooter (Gebühr für jede Entleihe / Preis pro Minute):
- BIRD 1€ / 25 Cent Minutenpreis
- CIRC 1€ / 20 Cent Minutenpreis
- JUMP 1€ / 20 Cent Minutenpreis
- LIME 1€ / 25 Cent Minutenpreis
- TIER 1€ / 19 Cent Minutenpreis
- VOI 50 Cent /1€ / 15 Cent Minutenpreis
Fahrräder
- Call-a-Bike: verschiedene Preismodelle, ca. 3€/Jahr, 1€/30min, 15€/24Std
- MVG-Bike: verschiedene Preismodelle, ca. 8 Cent/Min, 12€/24Std
Elektro-Roller
- Emmy: 23 Cent Minutenpreis / 29€ Tagespreis (maximale Kosten pro Tag)
- Coup (in Berlin): Die ersten 10 Minuten kosten 2,10€, jede weitere Minute 21Cent
Hier sieht man schon: Einige der E-Scooter Anbieter sind deutlich teurer als die Fahrräder. Das finde ich noch okay. Aber teilweise kosten sie auch etwas mehr als die elektrischen Mopeds von Emmy, die immerhin eine Geschwindigkeit von 45 Kilometern pro Stunde schaffen – mehr als doppelt so viel wie die E-Scooter – und damit auf der Straße im fließenden Verkehr mithalten können.
Vor allem durch den einen Euro, der für jeden Fahrtantritt zu bezahlen ist, werden vor allem kurze Strecken mit den E-Scootern schnell teuer. Dabei sind sie doch gerade für kurze Entfernungen gedacht.
Registrierung, Ausleihe und Fahren sind simpel
Gerade anfangs bin ich neugierig und probiere neue Dinge gerne aus – so auch die E-Scooter. CIRC, JUMP, LIME, TIER und VOI habe ich bereits getestet. Wie oben schon erwähnt, funktionieren sie alle recht ähnlich. Die Registrierung läuft direkt in der App. Benötigt werden ein Benutzername, eine E-Mail-Adresse und eine Kreditkarte. Sind diese Informationen eingegeben, kann direkt losgefahren werden. Ein Nachweis, wie etwa bei Emmy durch den Führerschein, ist nicht nötig.
Will man einen E-Scooter ausleihen , sieht man in der Karte der App, wo der nächste zu finden ist und wie man hinkommt. Am gewünschten Gefährt angekommen, kann entweder direkt in der App oder durch Scan des QR-Codes am Scooter direkt losgelegt werden. Bei der ersten Entleihe wird oft eine Anleitung angezeigt, die bestätigt werden muss. Hier geht es um Sicherheitshinweise, Empfehlungen zu Helmen und Bremsen, zu erlaubten Gebieten und zum Parken – und zum Fahren natürlich.
Damit wären wir beim wichtigsten Punkt: dem Fahren . Da die meisten Anbieter inzwischen verschiedene Modelle auf den Straßen haben, ist ein kompletter Vergleich zwar etwas schwierig, weil man dazu alle Modelle aller Anbieter testen müsste. Insgesamt sind die Scooter aber einigermaßen ähnlich. Meinem Gefühl nach waren während meiner Testfahren die Modelle von TIER und CIRC sehr robust, der LIME-Scooter kam mir persönlich etwas „klapprig“ vor. Das Fahrgefühl fand ich bei VOI am besten. Das könnte aber auch unbewusste Gründe haben. Denn VOI ist auch der günstigste Anbieter.
Vom Geofencing wird man ausgebremst
Die Beschleunigung ist bei allen Modellen sehr schnell. Deswegen merkt man bei allen sehr schnell die Drosselung bei 20km/h, die gesetzlich vorgeschrieben ist. Damit ist man schnell ein Hindernis für Radfahrer, die oft deutlich schneller unterwegs sind. Am schlimmsten finde ich aber das „Geofencing“ . Dahinter steckt, dass die Scooter natürlich ständig ihren Standort per GPS an die Anbieter funken – und dass ihre Höchstgeschwindigkeit in bestimmten Gebieten ganz automatisch noch weiter gedrosselt wird: auf Schrittgeschwindigkeit. Mehr dazu später im Gespräch mit der Polizei München.
Es fehlt noch die Rückgabe , die wieder bei allen Anbietern, die ich getestet habe, ähnlich funktioniert. Dafür stellt man das Gefährt innerhalb des Geschäftsgebietes ab. Eine Fahrt außerhalb des Gebietes, um dort zu parken und später weiterzufahren, ist derzeit meiner Erfahrung nach nicht möglich. Man kann den Scooter zwar einfach dort abstellen, muss aber dann in der Nähe bleiben, damit keiner damit wegfährt. Ohnehin ist durch das Geofencing eine Fahrt außerhalb des Gebietes teilweise gar nicht möglich.
Beweisfotos bei der Abgabe
Bei manchen Anbietern muss man bei der Abgabe ein Foto des geparkten Scooters hochladen, damit sichergestellt werden kann, dass er nicht einen Fuß- oder Radweg versperrt oder mitten auf der Straße parkt. Das beruht auch auf einer „Absichtserklärung“, die Kommunen und Firmen getroffen haben, die unter anderem das Manager Magazin in einem Artikel zusammengefasst hat. Die wichtigsten Punkte daraus:
- Die E-Scooter sollen nicht ungeordnet abgestellt werden.
- Benutzer sollen durch Fotos nachweisen, dass sie ordnungsgemäß geparkt haben.
- Verleiher sollen sich um falsch abgestellte Fahrzeuge kümmern.
Soweit die Theorie. Zu den Fotos kann ich sagen, dass ich nach dem ersten Testlauf, der in den ersten Tagen der Markteinführung war, im Laufe der Zeit bei immer mehr Anbietern diese „Hürde“ beim Abstellen bekommen habe – alle habe ich aber noch nicht überprüft. Die Anbieter scheinen sich also an die mit den Städten vereinbarten Auflagen anzunähern.
Dass es keine falsch abgestellten Fahrzeuge mehr gibt, fällt in München dagegen noch anders als gewünscht aus. So sah ich etwa neben dem Fahrradweg an der Isar regelmäßig E-Scooter achtlos auf die Wiese geworfen, die dort auch mehrere Tage liegen blieben. Da die E-Scooter meines Wissens nach mit GPS verbaut sind, wundert mich das doch etwas.
Naja, nun aber zum Ende des Praxistests: Ist der Roller dann (hoffentlich) ordungsgemäß abgestellt und noch genügend Akku vorhanden, wird er sofort wieder für den nächsten Benutzer freigegeben.
Auch die E-Scooter-Fahrer müssen Regeln beachten
Neben den Bestimmungen aus Absichtserklärung, um deren Einhaltung sich vor allem die Anbieter selbst kümmern müssen, gibt es auch ein paar Vorschriften, auf die Nutzer achten müssen. Der ADAC hat sich diese angesehen, hier die Kurz-Zusammenfassung:
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E-Scooter dürfen auf Radwegen fahren. Nur wo diese fehlen, darf der E-Scooter auf die Straße ausweichen. Auf Gehwegen sind sie komplett verboten.
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Da der E-Scooter ein zugelassenes Fahrzeug ist, gelten Promillegrenzen wie beim Auto.
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Das Mindestalter, um einen E-Scooter zu fahren, ist 14 Jahre. Es wird allerdings kein Führerschein benötigt.
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Ein Helm ist nicht vorgeschrieben, wird aber empfohlen.
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E-Scooter Fahrer müssen sich nach den Fahrrad-Ampeln richten.
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E-Scooter sind nur für eine Person zugelassen.
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Auch wenn E-Scooter gekauft und nicht gemietet werden, sind sie versicherungspflichtig und damit nicht Teil der privaten Haftpflicht-Versicherung.
Halten sich die Nutzer an die Regeln?
Geht man nach der Dramatik und der Anzahl der Berichte, die nahezu täglich in den Medien erscheinen, sind quasi alle E-Scooter-Fahrer rollende Schwerverbrecher, die unzählige Unfälle in den Städten verursachen. Aber wie schlimm sieht es wirklich aus?
Das habe ich für diesen Artikel die Münchner Polizei gefragt – und als Antwort eine Bilanz erhalten. Aus der geht hervor, dass vom 15. Juni bis 21. Oktober dieses Jahres in München 84 Verkehrsunfälle mit E-Scootern verzeichnet wurden, davon 57 mit Personenschaden und vier mit Schwerverletzten. Zum Vergleich: 2018 registrierte die Polizei in München im Schnitt etwa 4.500 Verkehrsunfälle pro Monat.
Während des Oktoberfests sollten spezielle Regeln Unfälle mit Betrunkenen verhindern – und das scheint funktioniert zu haben, wie die Polizei in ihrer Wiesn-Abschlussbilanz mitteilte. Sie stellte aber fest, dass nicht alle E-Scooter-Fahrer die Regeln schon kennen. Hier ein Auszug aus der Polizei-Erklärung:
Gemeinsam mit den verantwortlichen Sicherheitsbehörden und den Anbietern von Elektrorollern, konnte eine umsetzbare und erfolgversprechende Lösung erarbeitet und durchgesetzt werden. Das Einfahren in die Sperrringe um das Festgelände wurde durch Kontrollen weitestgehend verhindert. Über 1.100 Scooter konnten an den Sperrringen abgewiesen werden. Zudem war ein Beenden der Fahrt im direkten Wiesnumfeld technisch nicht möglich. Ein ordnungsgemäßes Abmelden in der betreffenden App wurde dann von Anbieterseite blockiert. (…)
Die Abstellmentalität durch die Fahrer dieser Fahrzeuge fordert immer die Disziplin des einzelnen Nutzers. Dies hat während der vergangenen 16 Tage in großen Teilen keine größeren Behinderungen hervorgerufen. Trotzdem bleibt mit Blick auf die Zukunft solcher Sharing-Systeme die Feststellung, dass sich bisher nicht alle Nutzer über ihre rechtlichen Pflichten im öffentlichen Verkehrsraum bewusst sind. (…)
Trotz der relativ geringen Anzahl an Unfällen wurden etliche Verstöße wegen Alkoholeinfluss gemeldet. Insgesamt wurden laut dem Bericht ganze 414 Verstöße festgestellt und 254 Führerscheine sofort sichergestellt. Den meisten Nutzern scheint nicht klar zu sein, dass die Promillegrenzen der Autofahrer gelten.
Was tun Anbieter, damit sich Nutzer an die Regeln halten?
Welche Regeln für Fahrer gelten und welche Zusicherungen die Anbieter gemacht haben, habe ich oben schon dargestellt. Dazu wollte ich noch wissen, was eigentlich die Firmen dafür tun, um dafür zu sorgen, dass alles geordnet zugeht. Deswegen habe ich bei CIRC um Informationen gebeten.
Der Firma ist offenbar wichtig, dass sie nicht als Störenfried wahrgenommen wird – deswegen betont ihr Sprecher, Stefan Keuchel, immer wieder, dass man in ständigem Austausch mit den lokalen Behörden steht und auch die Anzahl der E-Tretroller „in enger Absprache mit der jeweiligen Stadt“ festlegt. Man unterstütze „die Bemühungen zur Erhaltung des städtischen Raums und möchten die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer verbessern“.
Das Problem, das im Netz oft diskutiert wird: Viele der E-Scooter scheinen achtlos in der Gegen herumzustehen und oft stehen auch mehrere an fast jeder Straßenecke. Die hohe Anzahl der Anbieter verstärkt diesen Eindruck gerade in der Innenstadt. Dazu sagt Stefan Keuchel von CIRC: „In der Regel entwickeln wir in enger Zusammenarbeit mit der Stadt individuelle Lösungsvorschläge. Dazu gehören beispielsweise spezielle Parkzonen, begrenzte Geschwindigkeitszonen oder Fahrverbotszonen.“ Damit sind wir wieder beim Geofencing, das ich oben erklärt habe.
Wie langlebig sind die Scooter?
Auch bei der Lebensdauer eines E-Scooter gingen die Aussagen in den letzten Wochen in den Artikeln weit auseinander – wobei generell kritisiert wurde, dass die Roller offenbar nicht allzu lange funktionieren. Die E-Scooter bei CIRC halten laut eigener Aussage etwa „8 bis 12 Monate“, schreibt der Pressesprecher – abhängig von Stadt, Wetter und Nutzung. Die nächste Scooter-Generation, die schon getestet werden, soll eine Lebensdauer von rund 18 Monaten haben. Den oft zitierten Berichten, es würden massenhaft Roller in Flüssen oder Seen landen, widerspricht CIRC. Man habe in Deutschland bisher weniger als 100 Roller aus Gewässern geholt.
Mein persönliches Fazit: Macht Spaß, aber…
Prinzipiell macht die Fahrt mit den E-Scootern Spaß. Leider ist man aber relativ schnell genervt, weil sich die 20 km/h schon nach wenigen Minuten langsam anfühlen, vor allem wenn die Radfahrer dauernd überholen. Auf der anderen Seite fahre ich selbst viel Rad und bin dann genauso genervt von den langsamen E-Scooter-Fahrern. Auch der teilweise achtlose Umgang mit den Rollern, die Unkenntnis der Verkehrs- und Promilleregeln und der fehlende gegenseitige Respekt schmälert das Fahrvergnügen.
Auch wenn ich die Sperrzone während des Oktoberfestes verstehe, bremst die Geofencing-Funktion im wahrsten Sinne des Wortes den Spaß noch weiter ab. Teilweise waren die Sperrgebiete in der App nicht sofort sichtbar – und so ist man einigermaßen überrascht, wenn der Scooter plötzlich sehr langsam wird. Hier würde ich mir zum Beispiel wünschen, dass ich direkt vor dem Start mein Ziel eingeben kann, um gleich zu sehen, ob und wo ich durch Sperrzonen fahren muss bzw., wie ich diese umgehen kann.
Das Geschäftsgebiet ist teilweise sehr klein, die oft umworbene „letzte Verkehrsmeile“ ist also nur dann umsetzbar, wenn man sehr zentral und im Geschäftsgebiet wohnt. Auch wenn die Anbieter gerne mit dem Argument der Nachhaltigkeit werben, möchte ich noch kurz daran erinnern, dass E-Scooter mit Strom funktionieren – und immer wieder aufgeladen werden müssen. Anders als das Fahrrad.
Ganz allgemein wünsche ich mir für die gemeinsame Nutzung der Straßen mehr faires Miteinander und mehr gegenseitige Rücksichtnahme. Die werden wir angesichts so vieler unterschiedlicher Fortbewegungsmittel brauchen. Denn auch wenn sich einige Anbieter sich wieder zurückziehen, werden die E-Scooter wahrscheinlich nicht komplett verschwinden, wäre meine Einschätzung. Wir sollten also gemeinsam daran arbeiten, das Beste aus ihnen zu machen – und vielleicht das ein oder andere mal auf das Auto und den E-Scooter verzichten und lieber mit dem Fahrrad fahren. Denn das ist immer noch das gesündeste und nachhaltigste.
Titelbild: Getty Images