Der einflussreiche US-Investor Marc Andreessen hat ein Manifest veröffentlicht, in dem er sich für eine unregulierte Technologieentwicklung ausspricht und Künstliche Intelligenz als ultimativen Problemlöser propagiert. Fragen nach möglichen Gefahren, Nachhaltigkeit und Technologieethik würden eine glorreiche Zukunft aus seiner Sicht verhindern.
Von Michael Förtsch
Vor fast 30 Jahren gründete der damalige Softwareentwickler Marc Andreessen zusammen mit dem Grafik- und Computerpionier James H. Clark das Unternehmen, aus dem wenig später Netscape hervorgehen sollte: der Entwickler des über Jahre meistgenutzten Webbrowsers der frühen Ära des World Wide Web. Marc Andreessen wurde damit zum Millionär und nach dem Verkauf von Netscape an AOL zu einem der einflussreichsten Investoren im Silicon Valley – sowie zu einer der umstrittensten Figuren der Tech-Branche überhaupt. Jetzt hat er ein Manifest veröffentlicht, in dem er mangelnden Mut bei der Technologieentwicklung und die zu langsame Innovationsgeschwindigkeit kritisiert – und eine gewagte Zukunftsvision entwirft.
Der Techno-Optimist Manifesto getaufte Text wurde auf der Website der Investmentfirma a16z veröffentlicht, die von Andreessen und dem ehemaligen Netscape-Manager Ben Horowitz gegründet wurde. Laut dem 5.200 Worte umfassenden und teilweise sehr wagen Manifest „werden wir belogen“. Es sei nicht wahr, so Andreessen, dass Technologie „unsere Jobs wegnimmt, unsere Löhne senkt, die Ungleichheit verschärft“ oder gar „die Umwelt ruiniert“ und „unsere Kinder verdirbt“. Wer diese Lügen verbreitet, lässt Andreessen offen. Er setzt den Lügen jedoch „Wahrheiten“ entgegen. Zum Beispiel, dass die Zivilisation auf Technologie basiert und Technologie die schöpferische Krone der Menschheit darstellt. Und vor allem, dass er in diesem Text nun „gute Nachrichten bringt“.
Die Menschheit könne, so Andreessen in dem teils in Artikelform, teils in poetischer Sprache verfassten Text, „zu einer viel besseren Lebensweise gelangen“. Denn die Menschheit habe den Willen, die nötigen Werkzeuge, die Systeme und die Ideen dazu. Sie müsse nur zu einer Spezies von Techno-Optimisten werden, wie er einer sei: „Tatsächlich war Technologie – neues Wissen, neue Werkzeuge, das, was die Griechen techne nannten – immer die Hauptquelle des Wachstums und vielleicht die einzige Quelle des Wachstums, da Technologie sowohl Bevölkerungswachstum als auch die Ausbeutung natürlicher Ressourcen ermöglichte“, so Andreessen. „Gib uns ein echtes Problem, und wir können eine Technologie erfinden, die es löst.“
Freie Märkte und eine beschleunigte technologische Entwicklung
Nach Ansicht des Investors braucht es Freiheit für die Entwicklung und Anwendung von Technologien. Dazu gehörten auch „freie Märkte“, auf denen willige Käufer willige Verkäufer finden könnten. Freie Märkte seien das Beste für alle Menschen und die Gesellschaft. „Wir glauben, dass es keinen Konflikt zwischen kapitalistischen Gewinnen und einem sozialen Wohlfahrtssystem gibt, das die Schwachen schützt“, sagt Andreessen. „Im Gegenteil, sie ergänzen sich – die Produktion von Märkten schafft den wirtschaftlichen Wohlstand, der alles andere bezahlt, was wir als Gesellschaft wollen.“
Ein Grundeinkommen, wie es etwa der OpenAI-Chef Sam Altman vorschlägt, würde die Menschen dagegen zu „Zootieren machen, die vom Staat gezüchtet werden. Der Mensch ist nicht dazu bestimmt, gezüchtet zu werden; er ist dazu bestimmt, nützlich, produktiv und stolz zu sein.“ Nur freie Märkte könnten „das Wohl der Gesellschaft steigern, indem sie Arbeit schaffen, mit der sich die Menschen produktiv beschäftigen können“. Und Arbeit würde es dank des technologischen Fortschritts immer mehr geben, nicht weniger. Denn mit der wachsenden Vielfalt und den stetig größer werdenden Fähigkeiten der Technologien würde das Spektrum erweitert, in der Menschen eine Beschäftigung oder sogar ihre Erfüllung finden können.
Geht es nach dem Investor, sind „die Wünsche und Bedürfnisse der Menschen unendlich“ und damit auch die wirtschaftliche Nachfrage und in der Folge das Wachstum der Beschäftigung. Die Märkte und ihre Akteure würden die Menschen nicht ausbeuten. Im Gegenteil, sie würden Werte schaffen. „Wir glauben, dass die Maschine des technologischen Kapitals der Märkte und der Innovation niemals stillsteht, sondern sich immer weiter nach oben dreht“, schreibt der Investor. „Wir glauben an den Akzelerationismus – die bewusste und absichtliche Beschleunigung der technologischen Entwicklung – um sicherzustellen, dass das Gesetz der beschleunigten Rendite erfüllt wird.“
50 Milliarden Menschen? Kein Problem.
In seinem Text relativiert Andreessen die Verantwortung der Entwickler für die Folgen ihrer Technologien, ebenso die Notwendigkeit von Vertrauen in die Sicherheit und Nachhaltigkeit technischer Neuerungen. Technikethik, soziale Verantwortung und die Frage nach existenziellen Risiken seien Folge der „seit sechs Jahrzehnten andauernden massiven Demoralisierungskampagne“. Die Techno-Optimisten hätten Feinde, schreibt Andreessen. Aber diese Feinde seien keine Menschen, sondern „schlechte Ideen“ – oder auch: Bürokratie, Sozialismus und Kollektivismus.
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Jetzt Mitglied werden!Gleichzeitig zeichnet Andreessen die Vision des Technologievordenkers Ray Kurzweil weiter und schwärmt davon, dass Künstliche Intelligenz „unsere Alchemie ist, unser Stein der Weisen“ und „ein universeller Problemlöser“ sei. Man müsse Künstliche Intelligenz „nur machen lassen“ und sie würde Krankheiten besiegen, das Klima retten und vieles mehr. Jeder Versuch, die Entwicklung von Künstlicher Intelligenz zu beschneiden oder zu bremsen, würde unnötigerweise Leben kosten.
Letztlich würde alles darauf hinauslaufen, mit dieser neuen Technologie zu verschmelzen, um Intelligenz, Energie und Fortschritt ins Unendliche zu treiben. Mensch und Maschine würden sich vereinen. Es entstünden „symbiotische Beziehungen mit Maschinen“, die neue Netzwerke, Unternehmen und Initiativen hervorbrächten.
Das Ergebnis einer Welt voller Techno-Optimisten sei zwar keine Utopie, aber „ziemlich nah dran“, meint Andreessen. Mit den richtigen Technologien könne „die Weltbevölkerung problemlos auf 50 Milliarden Menschen oder mehr anwachsen“, die umsorgt und gesund leben können. Die Menschheit würde auch andere Planeten besiedeln. Denn „wir sind keine Primitiven, die sich aus Angst vor dem Blitz zusammenkauern […], der Blitz arbeitet für uns“. Dass die Menschheit eine multiplanetare Spezies werde, sei keine Frage des „Ob“, sondern des „Wann“. „Es ist Zeit, Techno-Optimist zu sein“, sagt Andreessen. „Es ist Zeit zu bauen.“
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