Erst kam der Hype, dann die Stille: Vom Metaverse ist heute kaum noch die Rede. Aber das könnte sich ändern. Denn mit Künstlicher Intelligenz lassen sich die Werkzeuge realisieren, um digitale Welten mit Leben zu füllen.
Von Michael Förtsch
Es war eine interessante Zeit, als wir alle vom Metaverse redeten. Oder zumindest die gesamte Tech- und Medienszene, wie man auf Google Trends nachvollziehen kann. Auch mich hatte das Metaverse als Hype-Thema voll erwischt. Ich schrieb und sprach über die Ursprünge des Begriffs, über seine eigentlich dystopische Natur, über die vielen Projekte, die es gab und gibt, um das Metaverse Wirklichkeit werden zu lassen. Und natürlich darüber, wie Mark Zuckerberg von der ganzen Metaverse-Idee so von den Socken war, dass er Facebook gleich in Meta umbenannte. Ein Schritt, der immer noch für Kopfschütteln sorgt. Der Name Meta, dazu dieses seltsame Video, das bei der Enthüllung gezeigt wurde: Es war wirklich total weird.
Was in der Rückschau allerdings gerne vergessen wird, ist, warum der Metaverse-Hype so gewaltig wurde: Wir waren mitten in der Corona-Pandemie. Als das Metaverse 2020 seinen ersten richtigen medialen Schub erlebte, kauften wir uns Masken, saßen erst freiwillig und dann durch Lockdowns gezwungen zuhause und backten Sauerteigbrot – oder kochten Chili. Das machte ich jedenfalls. Wir sahen Videos von fast menschenleeren Städten – und sehnten uns nach der alten Zeit zurück.
Viele fühlten sich eingesperrt – und wollten ausbrechen. Da kam das Metaverse als Idee gerade recht, die eskapistische Fantasien beflügelte. Wenn man schon nicht raus konnte, so könnte man wenigstens digital entfliehen, in andere Welten reisen und dort als Avatar mit Freunden und Fremden interagieren, von denen man sich im Moment fernhalten musste. Genau wie im Spielberg-Film Ready Player One, der erst 2018 in den Kinos gelaufen war und die Idee des Metaverse optisch greifbar machte.
Natürlich war das nicht alles. Mit dem Beginn der Corona-Pandemie schien die Technologie die absichtlich missverstandene Vision von Neal Stephensons Science-Fiction-Klassiker Snow Crash eingeholt zu haben. Mit modernen Grafik-Engines wurde es möglich, riesige, zusammenhängende 3D-Welten zu erstellen. Studios wie Improbable demonstrierten Server-Technologien, die es Tausenden von Spielern ermöglichen, in einer geteilten Welt zu agieren. Und dann war da noch das Web3 mit seinen Kryptowährungen und NFTs, die eine dezentrale und schwer manipulierbare Wirtschaft mit Währungen, Landbesitz und Gütern ermöglichen würden.
Aber, ja… es war wohl vor allem die Pandemie, die den Hype befeuerte. Davon bin ich heute überzeugt. Kein Wunder also, dass der Hype mit dem Ende von Corona und der Wiedereröffnung des sozialen Lebens gestorben ist, oder? Nun, ganz tot ist er gar nicht. Die überschwängliche Begeisterung mag verflogen sein. Aber sie zeigte uns, dass ein grundsätzliches Interesse an solchen digitalen Welten da ist. Nur waren diese Welten eben noch nicht ganz so weit, wie es die Ankündigungen von Mark Zuckerberg und anderen vorgaben.
Was Roblox und Fortnite besser machen als Decentraland
Ich habe viele Stunden in Metaverse-Projekten verbracht: in einigen wie Decentraland, die als leblos oder teilweise sogar gescheitert gelten, aber auch in denen, die sich anfänglich nicht oder nur zögerlich unter das Metaverse-Banner getraut haben. Dazu gehören Spiele wie Roblox, Fortnite und Second Life, die als Erfolge oder Vorboten des Metaverse gelten. Bei meinen Erkundungstouren habe ich mich mit vielen Usern unterhalten – und erfahren, was digitale Welten, die Spaß machen, brauchen.
In Decentraland, so wurde mir gesagt, sei einfach zu wenig los. Zwar gäbe es viele schöne Landschaften, aber wenig zu tun und zu erleben. Der Grund? Es sei schwierig bis unmöglich, etwas Eigenes zu erschaffen und aufzubauen. Habe man zum Beispiel ein Stück Land, müsse man jemanden anheuern, der etwas daraufsetzt. Vor allem, wenn es nicht nur ein toter Präsentationsraum sein soll, wie ihn Kryptobörsen wie Kraken habe, sondern etwas Interaktives. In Roblox und Fortnite geht so etwas einfacher. Dort kann man sogar eigene Games entwickeln – und zwar durchaus beeindruckende, die sich komplett vom Look and Feel der Basiswelt abheben. Noch existiert dafür eine steile Lernkurve, so dass sogar Sommercamps existieren, in denen Kids lernen können, in Roblox zu entwickeln.
Die Lernkurve wird jedoch immer flacher. Und ich glaube, dass sie bald so flach sein wird, dass nahezu jeder, der zumindest etwas Muse aufbringt, digitale Welten bauen und gestalten kann – und das Metaverse dadurch eine Renaissance erleben wird. Warum ich das glaube? Vor allem wegen der Entwicklungen bei Künstlicher Intelligenz.
KI macht das Bauen digitaler Welten einfacher
Seit dem Start von ChatGPT sind die Fortschritte im Bereich der sogenannten generativen Künstlichen Intelligenz immens. Die Geschwindigkeit, mit der Sprachmodelle entwickelt werden, ist beeindruckend. Gleiches gilt für Text-zu-Bild-Generatoren wie Midjourney, Stable Diffusion und DALL-E. KI-Generatoren für dreidimensionale Objekte finden noch wenig Beachtung. Die Ergebnisse sind noch so lala. Aber sie verbessern sich rasch, wie Dienste wie Meshy, Luma AI und Alpha3D sowie verschiedene Open-Source-Ansätze zeigen. Das Gleiche gilt für KI-Systeme, die Animationen einfach aus einer Videoaufnahme extrahieren oder aus dem Nichts generieren können.
Wenn das alles in naher Zukunft zusammenkommt und seinen Weg in die Editoren der Metaverse-Projekte findet, könnte das – die ethischen Fragen mal beiseitegelassen – ein kreatives Feuerwerk entzünden. Nutzer ohne große Programmier-, 3D-Modellierungs- und Animationskenntnisse, dafür aber mit umso mehr Lust, Laune und Zeit könnten mit KI-Tools eigene 3D-Figuren und Szenerien erstellen und diese mit generierten Texturen und Animationen versehen. Genauso könnten sie den Code generieren lassen, um Skripte und Regeln für ihre interaktiven Erlebnisse festzulegen.
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Jetzt Mitglied werden!Die kargen Kulissen von Decentraland könnten plötzlich mit Spielen durchzogen werden, in denen die Besucher gegeneinander antreten können. Die statischen Gebäude könnten zu einer echten Erkundung einladen, weil sich in ihnen nun interaktive Funktionen einbauen und verstecken lassen. Das Ur-Metaverse – ja, wirklich, es lebt noch, und zwar sehr – Second Life könnte seinen Nutzern durch KI-Tools mehr Freiheit geben, Experimentierfreude wecken und diejenigen, die bisher nur konsumiert und zugeschaut haben, einladen, selbst zum creator zu werden. Gleiches gilt für Roblox und Fortnite, deren Toolboxen zwar schon sehr gut funktionieren, aber mit ihrer Tabula-Rasa-Oberfläche und all den Einstellungen und Schaltern nicht wenige abschrecken und entmutigen, bevor sie überhaupt richtig anfangen.
Ein ChatGPT-ähnlicher Assistent, bei dem ein Sprachmodell den Benutzer durch den Erstellungsprozess führt und ihm hilft, Ideen zu entwickeln und umzusetzen, könnte einen echten Umbruch darstellen. Wird es wahrscheinlich auch. Denn viele Entwickler beobachten genau, wie und was gerade rund um die KI-gesteuerte 3D- und Spieleentwicklung passiert. Sie testen, ob und wie sich neue Tools in ihre eigenen Welten integrieren lässt. Und selbst wenn es gerne geraunt wird: Meta hat das Metaverse nicht abgeschrieben, um sich auf Künstliche Intelligenz zu konzentrieren, sondern arbeitet an beidem weiter – wohl um beides in Zukunft zusammenzubringen.
Und Disney? Löste im vergangenen Jahr sein Metaverse-Team mehr oder weniger auf, um sich ebenfalls auf Künstliche Intelligenz zu konzentrieren. Doch nun hat der Unterhaltungsriese angekündigt, 1,5 Milliarden Dollar in den Fortnite-Entwickler Epic Games zu investieren, um „ein völlig neues Spiel- und Unterhaltungsuniversum“ aus miteinander verbundenen Markenwelten zu schaffen, die mit Fortnite interoperabel sein sollen, dessen 3D-Welt bereits für Konzerte und Filmabende genutzt wurde. „Play Watch Create Shop“ lautet der Claim am Ende des Ankündigungsvideos.
Ich bin mir also ziemlich sicher, dass das Metaverse keineswegs tot und begraben ist. Es wird wieder auferstehen – angetrieben von der Kraft der Künstlichen Intelligenz und Milliarden von Dollar.
Dieser Text erschien zuerst im Newsletter Azimut Futur
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