Einst hat Jim Cantrell dem Tesla-Chef Elon Musk dabei geholfen, das Raumfahrtunternehmen SpaceX zu gründen. Jetzt will er selbst die Raumfahrt revolutionieren –ohne SpaceX direkt Konkurrenz zu machen. Mit seinem Start-up Phantom Space setzt auf kleine Raketen und hofft auf Raketenflugzeuge.
Von Michael Förtsch
Als Jim Cantrell sich auf ein erstes Treffen mit Elon Musk einlässt, weiß er nicht, wer oder was ihn erwartet. Er kann nicht einschätzen, ob er einem enthusiastischen Unternehmer gegenüberstehen wird oder „einem durchgeknallten Irren“, wie er sich erinnert. Dennoch sagt er zu, ihn kennenzulernen – am Flughafen von Salt Lake City, hinter den Sicherheitskontrollen, wo keine Waffen erlaubt sind.
Das Treffen kommt zustande, nachdem Elon Musk im Juli 2001 aus heiterem Himmel bei ihm anruft. Cantrell fährt gerade mit seinem Cabrio von der Arbeit nach Hause und kann den Internetmillionär kaum verstehen. „Ich kannte die Nummer nicht, aber ging trotzdem ran“, so Cantrell. „Ich konnte ihn nicht richtig hören, und dachte, sein Name sei Ian Musk.“ Der Anrufer spricht schnell – über Raketen, den Mars, Umweltverschmutzung und vieles mehr. Cantrell wimmelt den Mann zunächst ab, verspricht aber, ihn zurückzurufen.
Dass Jim Cantrell mit dem Namen Elon Musk damals nichts anfangen kann, ist kein Wunder. Vor 20 Jahren ist dieser kaum jemanden ein Begriff. Auch von PayPal, durch dessen Verkauf der in Südafrika geboren Musk zum Multimillionär wird, hat Cantrell noch nie etwas gehört. „Es waren andere Zeiten“, sagt er im Gespräch mit 1E9. Erst nach einigem Hin- und Her kommt es zu einem längeren Telefongespräch der zwei Männer und anschließend der Verabredung am Flughafen, wo Cantrell letztlich klar wird, was Musk überhaupt von ihm will.
Der Internetunternehmer schwärmt von seinen Raumfahrtvisionen und seinem Ziel, die Menschheit zu einer multiplanetaren Spezies zu machen. Der erste Schritt dorthin solle eine privat finanzierte Marsmission sein. Um loszulegen, will Musk einige Raketen aus russischer Produktion kaufen. „Denn Raketen aus US-Herstellung konnte er sich nicht leisten“, erinnert sich Cantrell. „Ich sollte der Kerl sein, der ihn mit den Russen zusammenbringt.“
Dass Musk sich damit an Cantrell wendet, hat seinen Grund; Der gebürtige Kalifornier hat seinerzeit bereits mächtig Erfahrung in der Luft- und Raumfahrtbranche. Er war bereits für die französische Raumfahrtbehörde, das Satelliten- und Technologieunternehmen wie Space Dynamics Laboratory und das NASA-Labor Jet Propulsion Laboratory tätig. Nach dem Fall der Sowjetunion half Cantrell dem US-Verteidigungsministerium, dortige Luft- und Raumfahrttechniker für Unternehmen und das Militär in seiner Heimat zu rekrutieren.
„Dabei sammelte ich auch Erfahrung damit, wie die Russen ihre alten Interkontinentalraketen in Transportraketen für Satelliten umfunktionierten“, sagt Cantrell. Musk weiß das – und macht Cantrell klar, dass er es ernst meint. Noch im selben Jahr, also 2001, sitzen die beiden in einem Flieger nach Russland.
Der Weg zum Erfolg
In Russland angekommen, macht Cantrell den Unternehmer mit seinen Kontakten bekannt. Aber die wollen nichts von Elon Musk wissen. Sie glauben nicht, dass er das Geld hat, um die Raketen zu kaufen – oder, dass er wirklich an einem Geschäft interessiert ist. „Und weil die Russen einfach nicht verkaufen wollten, entschied er, dass er es eben selbst machen müsste“, erzählt Cantrell lachend im Gespräch mit 1E9. Auch, was diesen Plan angeht, ist Cantrell zunächst skeptisch, doch er lässt sich von Musk überzeugen und wird 2002 zum Vizepräsidenten für Geschäftsentwicklung der neu gegründeten Space Exploration Technologies Corporation – kurz SpaceX. Er schafft es, für das kleine Unternehmen große Namen der Branche zu rekrutieren. Darunter Chris Thompson und Hans Königsmann. Die tüfteln Ideen für Musks Mars-Vision aus. Man könnte zunächst Mäuse zum Mars schicken. Oder ein kleines Gewächshaus, um über das Internet zuzuschauen, wie darin Pflanzen sprießen. Gleichzeitig entwickelt das Team die erste SpaceX-Rakete: die Falcon 1.
Doch die Rakete in die Luft zu kriegen, ist schwerer als gedacht. Sechs Jahre nach der Gründung droht sie, SpaceX in den Ruin zu treiben. „Der Firma ist ein paar Mal das Geld ausgegangen“, sagt Cantrell. Denn immer wieder gehen die kleinen zweistufigen Raketen nach dem Start in Flammen auf. Musk selbst finanziert das Abenteuer aus eigener Tasche. „100 Millionen wollte er in das Projekt stecken, keinen Cent mehr, hat er mir gesagt“, so Cantrell. Der vierte Start der Rakete gelingt schließlich und beweist, dass SpaceX fähig ist, eine funktionierende Rakete zu bauen.
Elon ist Unternehmer. Er hat mal gesagt, dass man als Unternehmer den Geschmack von gemahlenem Glas mögen muss – also Blut im Mund.
Jim Cantrell
Seitdem entwickelte sich SpaceX zur Erfolgsgeschichte. Der Raketen- und Raumschiffbauer des umstrittenen wie eigenwilligen Milliardärs Musk wurde zum Rückgrat des US-amerikanischen Raumfahrtprogramms. Mit über 150 erfolgreichen Starts ist das Unternehmen sogar der erfolgreichste Raketenkonstrukteur überhaupt – und mit Starlink auch Betreiber des größten Satellitennetzwerks.
Doch Jim Cantrell ist bereits weg, als es soweit kommt – auch wenn es SpaceX ohne ihn wahrscheinlich nicht gäbe. Doch er will sein eigenes Ding machen und verlässt die Firma 2002. „Elon ist Unternehmer. Er hat mal gesagt, dass man als Unternehmer den Geschmack von gemahlenem Glas mögen muss – also Blut im Mund“, sagt Cantrell. „Das teile ich mit ihm. Ich habe das Verlangen, Dinge einfach selbst zu tun; mir und anderen zu beweisen, dass Dinge einfach machbar sind.“
Kleiner denken
Cantrell beteiligt sich nach seinem Ausstieg bei SpaceX an zahlreichen Start-ups. Darunter PlanetIQ, York Space Systems, StratSpace und Skybox Imaging. Mittlerweile führt Cantrell außerdem sein eigenes Raketen-Start-up. Mit der 2019 gestarteten Phantom Space Corporation will er dort ansetzen, wo er einst bei SpaceX aufgehört hat. Er will keine größeren Raketen bauen, sondern kleinere. Denn er sieht „enormes Potential“ in diesen Small-lift launch vehicles, wie sie genannt werden, um den Weg in den Weltraum günstiger zu machen. Nicht nur für Regierungen und Großunternehmen, sondern auch für kleine Firmen, Bildungseinrichtungen und sogar Privatpersonen.
Es ist nicht sein erster Versuch, wie er gesteht. 2015 heuert ihn der ehemalige Boeing-Ingenieur John Garvey mit seinem Start-up Vector an, das das gleiche Ziel verfolgt. Doch Cantrell und die Investoren überwerfen sich mit dem Gründerteam. Cantrell fühlt sich ausgebootet und geht 2019.
Jetzt arbeitet er mit seinem eigenen Team primär an zwei Raketen: der Daytona, einer 12 Meter hohen zweistufige Rakete, die bis zu 450 Kilogramm in den Orbit hieven soll. Und an der Laguna. 20 Meter hoch soll sie knapp über eine Tonne in den Orbit, bis zu 200 Kilogramm zum Mond und bis zu 100 Kilogramm zum Mars schaffen.
„Der erste Start von Daytona dürfte Ende dieses Jahres oder Anfang nächsten Jahres stattfinden“, sagt Cantrell. Abheben solle sie von der Vandenberg Air Force Base in Kalifornien. Die ersten Komponententests seien erfolgreich gewesen, der Raketenmotor funktioniere, aber dass alles beim ersten Startversuch erfolgreich verläuft, da ist sich Cantrell nicht so sicher. „Raketen bauen ist schwer“, so der Ingenieur. „Es gibt nicht viele Leute auf der Welt, die das wirklich können.“
Raketen bauen ist schwer.
Jim Cantrell
Aus diesem Grund will Cantrell auch noch nicht viel Aufhebens um sein Unternehmen machen. Er will erst alles „fertig auf der Startrampe und die Rakete in der Luft“ haben. Doch wenn alles glatt laufe und sich seine Rakete als Durchstarter erweise, glaubt Cantrell, könne Phantom Space den Markt für Raketenstarts ziemlich aufmischen. Was er tut, sagt er, ist „was SpaceX gemacht hätte, wenn es 20 Jahre früher losgelegt“ hätte.
Die Raketen von Phantom sollen so oft wie möglich und nötig starten. Die Firma soll aus Sicht seines Gründers der McDonalds unter den Launch Providern werden: günstig, zuverlässig und schnell. Das Unternehmen hat bereits einen Experten für Raketenbahnhöfe eingestellt, der dafür sorgen soll, dass Phantom Space de facto jederzeit fliegen kann – von wo auch immer auf der Welt. Denn was nütze eine Rakete, wenn sie nicht fliegt?
Genau in diesem Punkt haben Firmen wie Rocket Lab Fehler gemacht und falsche Prioritäten gesetzt, glaubt Cantrell. Rocket Lab habe zwar zwei eigene Raketenbahnhöfe, könne sie aber aufgrund von Umwelt- und Lärmschutzauflagen sowie anderen Restriktionen nicht frei nutzen. „Sie haben Probleme, ihre zehn Starts im Jahr hinzukriegen“, sagt Cantrell. „Der einzige Weg für sie, wirtschaftlich zu sein, ist [für die erlaubten Starts] jetzt größere Raketen zu bauen – denn umso größer die Rakete, umso effizienter wird ein Start, was die Kosten pro Kilogramm anbelangt. Sie tun das, weil sie die Frequenz ihrer Starts nicht hochschrauben können.“
Phantom hingegen habe alleine in Vandenberg die Erlaubnis, bis zu 60 Raketen pro Jahr in den Erdorbit zu schicken. Mit weiteren Standorten sollen es noch mehr werden. Dass es dafür – und noch mehr – Bedarf geben wird, davon ist Cantrell fest überzeugt. „Ich glaube, dass [New Space] die nächste große Industrierevolution ist,“ bestärkt er. „Deshalb bin ich mit 57 Jahren immer noch dabei: Weil es so aufregend ist.“
Raketenflugzeuge
Doch auch, wenn Phantom Space vergleichsweise kleine Raketen bauen und starten soll: Es soll nicht bei Satelliten und wissenschaftlichen Experimenten bleiben. Cantrell sieht auch großes Potential in den privaten Raumstationen, die von Firmen wie Axiom, Vast, Bigalow Aerospace und anderen geplant werden. Er sieht dabei Herausforderungen, die er lösen will. Beispielsweise müssten professionelle Astronauten und Weltraumtouristen oft auf ihren Start warten, wenn sie mit SpaceX fliegen. Denn der Flug an der Spitze einer Falcon-9-Rakete lohne sich nämlich nur, wenn die Dragon-2-Kapsel voll besetzt sei. Und selbst in diesem Fall koste ein Platz zwischen 25 und 35 Millionen US-Dollar. Da sei es vernünftiger, kleiner statt größer zu denken.
Gerade beginnen Cantrell und sein Team daher mit der Planung einer dritten Raketenvariante. „Wir nennen sie Sebring“, sagt er. Sie soll sich an Konzepten der NASA und des US-Militärs orientieren. „Die zweite Stufe sieht etwas wie das Space Shuttle aus oder wie die X-37, was Größe und Form angeht“, erklärt Cantrell. Die Sebring soll dadurch mehr wie ein Raumgleiter funktionieren als eine Raumkapsel. Sie soll nach einer erfolgreichen Mission einfach wieder auf der Erde landen können.
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Jetzt Mitglied werden!„Es geht uns erstmal um die Wiederverwendbarkeit, aber dann auch um den Flug von Menschen – nicht sofort, aber später“, sagt Cantrell. Er wolle die Kosten für einen Flug mit einer Person mit günstigen und kleinen Raketen auf bis zu 10 Millionen US-Dollar drücken.
Langfristig hofft Cantrell außerdem auf die Machbarkeit eines Konzepts, das derzeit eher in Science-Fiction-Filmen zu finden ist: Raketenflugzeuge. „Sie starten wie ein Flugzeug und fliegen so ins All“, sagt er. Es sei kein radikal neues Konzept, gesteht er. Es existierten bereits mehrere Start-ups, die an solchen Vehikeln arbeiten. Doch Cantrell hofft auf einen kleinen Vorsprung. Denn er habe bereits zwei solcher Raketenflugzeug-Prototypen in einer Werkshalle stehen. „Wir haben sie von der Firma Rocketplane gekauft, die ihr Geschäft aufgegeben hat“, sagt er.
Nun würden er und seine Entwickler die Prototypen genau studieren. „Wir versuchen zu verstehen, wie sie funktionieren“, so Cantrell. Das soll helfen, eine weitere Fassung der Daytona-Rakete zu ermöglichen, die horizotal starten kann –wie ein Flugzeug. Sie könnte theoretisch überall abheben und landen, wo ein Rollfeld vorhanden ist. „Es gibt so viel, was gerade passiert und sich machen lässt“, sagt der Ingenieur. „Das ist schon eine verrückte Zeit, etwas irre.“
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