Im kommenden Jahr soll ein autonomes Schiff den Atlantik überqueren

Vor 400 Jahren brach das Schiff Mayflower von England nach Amerika auf. Im kommenden Jahr soll ein neues Mayflower-Schiff diese Reise wiederholen. Jedoch soll der schmale Trimaran auf seiner Atlantiküberquerung nicht von Seeleuten, sondern von einer Künstlichen Intelligenz gesteuert werden.

Von Michael Förtsch

Im September 1620 stach im englischen Plymouth das Segelschiff Mayflower unter Kapitän Christopher Jones in See. Mit diesem Schiff reisten die „Pilgerväter“ nach Amerika. Im kommenden Jahr soll die legendäre Fahrt wiederholt werden. Allerdings ganz ohne menschliche Mannschaft und Passagiere. Denn die neue Mayflower, die gemeinsam vom Technologieunternehmen IBM und der US-Meeresforschungsorganisation Promare entwickelt wird, soll autonom ihren Weg über die Wasser finden. Dafür soll das Künstliche-Intelligenz-System AI Captain sorgen, das die Route der historischen Überfahrt möglichst exakt nachstellen soll. Laut Brett Phaneuf, der das Projekt für Promare plant, wird das „die Grenzen des mit Technologie Machbaren verschieben“.

Anders als das Vorbild ist das Mayflower Autonomous Ship natürlich kein traditionelles Segelschiff, sondern ein futuristischer, rund 15 Meter langer und nicht einmal fünf Tonnen schwerer Trimaran. Der soll durch ein steifes Segel und einen Elektromotor auf eine Geschwindigkeit von bis zu 20 Kilometern pro Stunde kommen. Die Stromversorgung soll vollends durch Solarzellen gesichert sein – wobei für Notfälle ein Dieselgenerator an Bord ist. Um den richtigen Weg zu finden, verfügen die Edge-Computersysteme im Rumpf über Zugriff auf modernste Seenavigationseinrichtungen, Verbindungen zu Satellitennavigationssystemen, digitale Kompasse, Gyroskope, meteorologische Instrumente und verschiedene Kommunikationssysteme. Dazu kommen mehrere Kameras, Laserscanner und Radarsysteme, die an einem Mast und an der Schiffshülle verbaut sind.

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Um das KI-System auf die Reise vorzubereiten, wurde es über die vergangen zwei Jahre mit einer Million Bildern von Schiffen, Boten, Bojen, Treibgut, Landmassen, Felsen aber auch Walen und anderen großen Meeresbewohnern trainiert. Je nachdem, was es sieht , „wird es den Kurs ändern, bei Gefahrensituationen beschleunigen, um aus dem Weg zu kommen“, meint Brett Phaneuf. Getroffen werden sollen die Entscheidungen durch ein komplexes System, das auf dem Operational Decision Manager von IBM basiert, aber speziell auf die Seefahrt angepasst worden sein soll. Insbesondere, weil der KI-Kapitän auch noch Entscheidungen fällen können muss, wenn sämtlicher Zugriff auf die Satellitennavigations- und Kommunikationssysteme abbricht – sei es durch Schäden oder schlechte Wetterbedingungen.

Eigentlich sollte die Mayflower bereits im September fahren

Die Tour des Mayflower Autonomous Ship soll nicht nur Selbstzweck sein, sondern helfen, die schon jetzt in Arbeit befindlichen Systeme für autonome Schiffe voranzubringen. Denn „viele der heutigen autonomen Schiffe sind nur automatisierte Roboter, die sich nicht dynamisch an neue Situationen anpassen können und sehr stark darauf verlassen, dass Menschen eingreifen“, sagt Don Scott, der Technikchef des Projektes bei IBM. Außerdem soll das autonome Schiff der wissenschaftlichen Forschung dienen. Dafür wird es mit sogenannten Forschungskapseln ausgestattet, die während der Fahrt automatisiert Wasserproben nehmen, die auf Verschmutzungen getestet werden. Mikrophone und Sensoren sollen dazu auf Gesänge von Walen lauschen und 3D-Karten des Meeresbodens anfertigen.

Bereits im März haben Probefahrten des KI-Kapitäns auf einem bemannten Schiff, der Plymouth Quest, an der Küste von Plymouth begonnen. Das Mayflower Autonomous Ship selbst wurde vor Kurzem in einer Werft in Gdansk in Polen fertiggestellt und soll Mitte September offiziell enthüllt werden. Eigentlich hätte es bereits jetzt zum Auslaufen bereitstehen sein sollen, um pünktlich zum 400. Jahrestag des Ablegens der Mayflower seine Reise anzutreten. Jedoch wurden das Projekt und der Bau des Schiffes durch die Coronakrise stark verzögert. Daher soll die autonome Überquerung des Atlantik nun erst im kommenden Jahr stattfinden.

Teaser-Bild: IBM

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