Geheimprojekt Strawberry: OpenAI hat ein neues KI-Modell veröffentlicht, das „nachdenkt“

OpenAI hat überraschend sein geheimes Projekt Strawberry enthüllt. Dessen offizieller Name lautet o1. Es soll das erste KI-Modell sein, das wirklich über Probleme nachdenken kann, bevor es eine Antwort gibt. In ersten Tests zeigt es erstaunliche Fähigkeiten. OpenAI sieht das Modell als wichtigen Schritt in Richtung einer KI, die wie ein Mensch denken und lernen kann.

Von Michael Förtsch

Seit Monaten kursierte das Gerücht, dass die ChatGPT-Firma OpenAI an einem geheimen Projekt namens Strawberry arbeitet. Einige spekulierten auf einen Durchbruch in der Forschung zur Allgemeinen Künstlichen Intelligenz. Andere vermuteten ein Modell zur Generierung von 3D-Objekten, eine selbstlernende GPT-Version, einen KI-Chip oder etwas völlig Unerwartetes. Auch OpenAI-Chef Sam Altman heizte die Gerüchteküche mit einigen Posts auf X – ehemals Twitter – an, in denen er unter anderem ein Bild aus seinem Garten mit einer Erdbeerpflanze veröffentlichte. Nun wurde das Projekt Strawberry enthüllt – und ist bereits für alle ChatGPT-Plus-Benutzer verfügbar.

Der offizielle Name von Strawberry ist o1. Es ist keine Allgemeine Künstliche Intelligenz, aber es soll das erste in einer Reihe von geplanten KI-Modellen sein, das die Fähigkeit hat, Schlussfolgerungen zu ziehen und Begründungen zu geben. Es soll also nachdenken, bevor es antwortet. Dadurch soll es in der Lage sein, sehr schnell komplexe Fragen und Probleme zu lösen, für die Menschen viel Zeit und Denkarbeit investieren müssen. Es soll außerdem dazu fähig sein, Probleme zu lösen, für die es in dem Datensatz, mit dem es trainiert wurde, keine Informationen gab. Für OpenAI, so beschreibt es ein Artikel in The Information, ist dies ein wichtiger Schritt in Richtung einer Künstlichen Intelligenz, die wie ein Mensch lernen und verstehen kann.

Wie Sam Altman auf X erklärt, ist o1 das derzeit „fähigste Modell von OpenAI“. Dafür habe das OpenAI-Team eine völlig neue Methode für das Training von KI-Modellen entwickelt und Datensätze kuratiert, die das sogenannte Reasoning ermöglichen. Dennoch sei o1 nicht frei von Fehlern und Mängeln. Es sei noch relativ eingeschränkt und scheine auf den ersten Blick beeindruckender als es eigentlich ist, sagt Altman. Es verbrauche deutlich mehr Rechenleistung und damit Energie als GPT-4o. „Aber es ist auch der Beginn eines neuen Paradigmas: KIs, die komplexe Schlussfolgerungen für allgemeine Zwecke ziehen können“, sagt Altman. OpenAI verstehe das Modell als „Vorschau“ auf künftige Modelle dieser Art.

Gut, aber kein Alleskönner

Wie genau o1 komplexe Probleme und Anfragen bearbeitet, ist nicht vollständig sicher. KI-Forscher gehen aber davon aus, dass das Modell umfangreiche Befehle und Verarbeitungsinhalte in einzelne Teilprobleme und Informationsfragmente aufspaltet. Diese würden dann in einer Gedankenfolge einzeln abgearbeitet und schließlich zu einer Gesamtlösung aufsummiert. Also nicht unähnlich der Art und Weise, wie Menschen komplexe Probleme bearbeiten. Dadurch sollen auch Halluzinationen und Fehlinformationen deutlich reduziert werden.

Wie einige Medien wie Bloomberg berichteten, sollte das neue KI-Modell eigentlich erst am kommenden Wochenende oder nächste Woche angekündigt und bereitgestellt werden. Überraschenderweise wurde das Modell aber bereits am Donnerstagabend für alle ChatGPT-Plus-Nutzer und OpenAI-API-Kunden freigeschaltet. Verfügbar sind o1-preview, das vollständige o1-Modell, und o1-mini, ein Modell, das schneller sein und weniger Rechenressourcen verbrauchen soll. Das o1-mini-Modell soll in den kommenden Monaten auch für nicht-zahlende Nutzer von ChatGPT verfügbar werden.

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Wie erste Anwender in eigenen Tests und Stichproben bescheinigen, ist o1 sowohl bei mathematischen Aufgaben, Logikrätseln als auch bei der Generierung von Computercode deutlich besser als GPT-4o und andere aktuelle Spitzenmodelle. Ebenso könne es Fehler und Logiklücken in Formeln, Computercode und auch Texten gezielt ausmachen und korrigieren. Dies kann allerdings manchmal zwischen 30 Sekunden und mehr als einer Minute dauern. Bei vielen Antworten gibt das Modell die Lösungsschritte vor. Wobei einige Nutzer die amüsante menschliche Sprache auffällig finden. Häufig verwendet das Modell Formulierungen wie „Ich denke, das sollte man in Betracht ziehen“ oder „Lassen Sie mich darüber nachdenken“.

Während o1 in einigen Aufgabenbereichen deutlich verbesserte Fähigkeiten zeigt, weist es auch einige auffällige Schwächen auf. Beispielsweise scheint es nicht über das breite allgemeine, historische und fachliche Wissen von GPT-4o zu verfügen. Bei Anfragen, die historische Daten und Fakten erfordern, fragt das Modell daher hin und wieder nach und erbittet zusätzliche Informationen. Es fehlt derzeit zudem die Möglichkeit, o1 im Internet nach Informationen suchen zu lassen oder hochgeladene Dokumente und Bilder zu verarbeiten.

Für OpenAI ist die Veröffentlichung von o1 ein wichtiger Schritt und eine werbewirksame Maßnahme. Denn derzeit versucht der ChatGPT-Entwickler laut US-Medienberichten rund 6,5 Milliarden US-Dollar an Investorengeldern einzusammeln. Damit würde das KI-Unternehmen mit rund 150 Milliarden US-Dollar bewertet. Mit mehreren Banken soll zudem über Kredite in Höhe von fünf Milliarden US-Dollar verhandelt werden. Zusätzliches Geld ist für OpenAI derzeit unverzichtbar. Denn die Einnahmen aus ChatGPT-Plus-Abonnements und Geschäftskunden decken bei weitem nicht die Ausgaben. OpenAI erwirtschaftet keinen Gewinn und könnte ohne frisches Geld in wenigen Wochen mit leeren Kassen dastehen.

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