Im Sommer das Fenster für eine frische Brise zu öffnen, ist immer eine gute Idee. Fast immer. Es sei denn man wohnt mitten in der Stadt. Denn dann strömt nebst frischer Luft oft auch dröhnender Lärm in die Wohnung. Ein Team von Forschern entwickelt daher nun geräuschunterdrückende Fenster.
Von Michael Förtsch
Ist das Fenster geöffnet, dann ist es laut. Vor allem in dichten Großstädten mit viel Verkehr, S-Bahn- oder Tram-Linien und Hektik auf den Bürgersteigen, müssen Menschen immer wieder zwischen frischer Luft und Ruhe entscheiden. Insbesondere in den Sommermonaten kann das an Konzentration und Entspannung und damit auch an der geistigen Gesundheit nagen. Denn Lärm kann krank machen. Ein Forscherteam aus Singapur will nun etwas dagegen tun. Und zwar mit Fenstern, die Geräusche von Draußen auch dann ausblenden können, wenn sie geöffnet sind. Das soll auch laute Orte zu lebenswerteren Wohnräumen machen.
„Das Schließen des Fensters ist in der Regel das letzte Mittel, um den Umgebungslärm auf Kosten der natürlichen Belüftung zu mindern“, beschreibt das Team um Bhan Lam von der Nanyang Technological University in der Studie zu seiner Entwicklung. Ihr Konzept ist dabei nicht wirklich neu. Denn inspiriert ist es von aktiven Geräuschunterdrückungssystemen, wie sie in Noise-Canceling-Kopfhörern und auch vielen modernen Smartphones verbaut sind. Die arbeiten mit sogenanntem Antischall oder auch aktiver Lärmkompensation. Dabei werden mit einem oder mehreren Mikrophonen die Umgebungsgeräusche gemessen und künstliche Audiosignale erzeugt, die genau gegenteilig gepolt sind, so dass sich beide Signale gegenseitig möglichst auslöschen.
Die Idee der Forscher aus Singapur ist, ein oder mehrere Mikrophone in Fenster einzubauen, die den von außen eindringenden Lärm messen. Ein kleiner Computer berechnet entsprechend ein Audiosignal, das diesem Klang entgegengesetzt werden müsste. Und der wird dann über eine Kaskade von kleinen Lautsprechern, die auf einem Gitter hinter der Scheibe angebracht sind, ausgestrahlt. Ein Fehlermikrophon hinter dem Fenster soll messen, wie effektiv die Dämpfung funktioniert und das System im Fall der Fälle nachsteuern. Bei ersten Tests eines Balkontürprototyps mit 24 Lautsprechern, die jeweils den Durchmesser einer Teetasse haben, hätten die Entwickler den Schall von Draußen im Vergleich zum Innenraum um bis zu 10 Dezibel dämpfen können. Das sei mehr als ein geschlossenes Fenster mit einer Einfachverglasung liefern könnte.
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Laut den Forschern ließe sich je nach Leistung und Größe der Lautsprecher noch mehr an Dämpfung erreichen. Insbesondere was tiefere Frequenzbereiche angeht. Laut Bhan Lam, der in Singapur aufgewachsen ist, sei seine Forschung durchaus auch aus einer persönlichen Motivation heraus entstanden. „Es ist eine kleine Stadt mit viel Krach“, sagte er der New York Times . Zwar seien die Behörden zunehmend um Lärmschutzmaßnahmen bemüht, aber der Aufbau von Lärmschutzwänden sei nur begrenzt möglich und viele hohe Gebäude könnten damit auch nur in sehr bedingtem Maße geschützt werden.
Daher würden viele Menschen ihre Fenster sehr oft geschlossen halten und im Sommer stattdessen eine Klimaanlage bemühen, um für Abkühlung zu sorgen. Genau das möchten die Forscher ändern. Statt im Sommer stets Klimaanlagen laufen zu lassen, die viel Energie verbrauchen und auch gesundheitlich nicht ohne Nachteile sind, sollen Menschen zukünftig selbst in belebten Großstädten ihre Fenster für einen Durchzug öffnen können. Allerdings merken die Wissenschaftler an, dass die Antischallfenster wohl nicht allzu bald verbaut werden können. Noch ist das System zu klobig, die Schallunterdrückung nicht perfekt und fehleranfällig. Und auch wie die Fenster möglichst energiesparend umgesetzt werden könnten, muss noch austariert werden.
Teaser-Bild: Photo by Inja Pavlić / Unsplash