Facebook arbeitet an einer KI, die sich an alles erinnert, was in eurem Leben passiert

Facebook hat ein neues Projekt enthüllt. Das KI-Forschungsteam des Social-Media- und Werbeunternehmens arbeitet an einer Künstlichen Intelligenz, die lernen soll, die Welt aus der Sicht eines Menschen zu sehen und zu verstehen. Dadurch soll sie Tagesabläufe mitschreiben und rekonstruieren können.

Von Michael Förtsch

Der Social-Media- und Werbe-Gigant Facebook steht gerade wieder in der Kritik. Eine Whistleblowerin erklärt mit Aussagen vor dem US-Kongress und in Interviews mit verschiedenen Medien, dass das Unternehmen von Mark Zuckerberg den eigenen Verpflichtungen und Ansprüchen nicht nachkommt. Insbesondere, was die Eindämmung von Falschinformationen, Hass, Hetze und negative Einflüsse der eigenen Dienste auf Jugendliche angeht. Zahlreiche Datenschutz-, Bürgerrechtsaktivisten und Politiker werten das als eine erneute Bestätigung, dass Facebook zu mächtig und einflussreich sei. Vor diesem Hintergrund wirkt der Zeitpunkt der Ankündigung eines neuen Facebook-Projektes vergleichsweise mutig. Denn das Social-Media-Unternehmen will Augmented-Reality-Technologie und Künstliche Intelligenz nutzen, um das komplette Leben seiner Nutzer mitzuschreiben.

Unter dem Namen Ego4D arbeiten die Entwickler von Facebook an einem KI-System, dem es möglich sein soll, aus dem Videostream einer Kamera – die beispielsweise in eine Brille verbaut sein könnte – den Tagesablauf eines Menschen mitzuschreiben. Die Künstliche Intelligenz soll analysieren und verstehen können, was der Nutzer tut, sieht, sagt und hört. Das Ziel sei es, Menschen zu helfen, ihre Erinnerungen beispielsweise teilautomatisiert in einem Tagebuch festzuhalten oder Facebook zu fragen, wo man den Haustürschlüssel liegen ließ, der nun verschwunden scheint. Ebenso soll es so möglich sein, dass eine KI einem Nutzer beibringt, Schlagzeug zu spielen oder in einem lauten Restaurant die Stimme des Gegenübers herausfiltert und verstärkt.

Die entsprechenden Ansätze für ein derartiges System existieren schon. Bei dem sogenannten Visual Question Answering versuchen Forscher bereits seit mehreren Jahren, Künstliche Intelligenzen zu erschaffen, die in Fotos und Videos nicht nur einzelne Elemente erkennen können, sondern diese auch in einen Kontext setzen und Fragen dazu beantworten können. Solche KI-Systeme können nicht nur eine Katze und einen Menschen in einem Foto identifizieren, sondern auch verstehen , dass der Mensch die Katze streichelt oder mit ihr spielt. Die KI-Applikation kann die Frage beantworten, welche Farbe das Fell der Katze oder der Pullover des Menschen hat. In Teilen wird diese Technologie bereits im Video-Netzwerk TikTok eingesetzt.

Kritik ist vorprogrammiert

Eine Herausforderung bei Ego4D sei, so das KI-Team von Facebook, die Künstliche Intelligenz die Welt aus einer Perspektive erleben und lernen zu lassen, die bislang eher obskur ist. Nämlich aus der Ego-Perspektive eines Menschen. Nahezu das gesamte Material, das derzeit für Machine Learning vorhanden ist und eingesetzt wird, zeigt die Welt jedoch aus einer Beobachterperspektive. „Die Künstliche Intelligenz wird aus Videos lernen müssen, die die Welt aus dem Zentrum des Geschehens zeigen“, so die Beschreibung des Forschungsprojektes. „Eine KI, die die Welt aus dieser Perspektive versteht, könnte eine neue Ära immersiver Erfahrungen einleiten, wenn Geräte wie Augmented-Reality-Brillen und Virtual-Reality-Headsets im Alltag so nützlich werden wie Smartphones.“

Gegenüber The Verge betont Facebook-KI-Wissenschaftlerin Kristen Grauman, dass Ego4D derzeit nur ein Forschungsprojekt sei – aber das Unternehmen definitiv zahlreiche Anwendungsfälle dafür sieht. Momentan wären 13 Universitäten und mehrere unabhängige Forschungsunternehmen eingebunden, die bereits über 3.200 Stunden an Videomaterial aus der Ego-Perspektive zusammengetragen haben. Das sei die größte Datensammlung dieser Art.

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So beeindruckend die Ambitionen dieses Projektes sind, so besorgniserregend können sie aufgrund von Facebooks eher zweifelhafter Reputation sein, was Datenschutz und Privatsphäre betrifft. Denn hier soll ein Dienst entwickelt werden, der vollkommen Einblick in das Privatleben einer Person hat und dieses en détail protokolliert, auslesbar und dadurch Tagesabläufe reproduzierbar macht. Außerdem würde ein solcher Dienst wohl dramatisch in das Leben anderer Menschen eingreifen, selbst wenn sie diesen Dienst selbst nicht nutzen, aber beispielsweise ihre Freunde oder Bekannten. Das könnte rechtlich neue Fragen aufwerfen.

Ein Facebook-Sprecher sagt dazu, dass, wenn aus Ego4D kommerzielle Anwendungen hervorgehen werden, sicherlich Sicherheitsmaßnahmen eingebaut werden könnten – und müssten. „Bevor eine AR-Brille die Stimme von jemandem verstärken kann, könnte es beispielsweise ein Protokoll geben, damit die Brille um Erlaubnis bittet“, so der Facebook-Sprecher. „Oder das Sicherheitssystem könnte die Reichweite des Geräts begrenzen, so dass es nur Stimmen von Personen aufnehmen kann, mit denen ich bereits ein Gespräch führe oder die sich in meiner unmittelbaren Nähe befinden.“

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