Ein US-Wissenschaftler will eine Dating-App namens Digid8 entwickeln. Sie soll Menschen vom gemeinsamen Kinderkriegen abhalten, die genetische Mutationen in sich tragen, welche Erbkrankheiten auslösen könnten. Diese Pläne lösten im Internet eine heftige Debatte um Genetik und Diskriminierung aus.
Von Michael Förtsch
Das, woran das Start-up Digid8 arbeitet, klingt nach einem Service, für den in den Science-Fiction-Welten von Gattaca und Die Insel geworben werden könnte. Denn das Unternehmen der Harvard-Molekularbiologen George Church und Barghavi Govindarajan plant eine Dating-App, die Menschen nicht auf nur Basis von Interessen, Attraktivität oder politischen Einstellungen zusammenbringt, sondern auch auf Basis ihrer DNA. Dadurch sollen allen voran Menschen zusammengebracht werden, die gesunde Kinder in die Welt bringen würden. Das sagte der gerne als genialer Exzentriker beschriebene Church in der TV-Sendung 60 Minutes . Dadurch sollen nach und nach Erbkrankheiten ausgerottet werden.
Ganz ähnlich wie bei DNA-Test-Dienstleistern wie 23andMe oder Ancestry würden Menschen bei Digid8 eine Probe ihrer DNA einsenden. Aber nicht, um mehr über die eigenen Vorfahren oder die Herkunft zu erfahren. Stattdessen sollen Veranlagungen auf rund 7.000 rezessive Erbkrankheiten ausgemacht werden. Anschließend sollen die Proben in eine große Datenbank eingetragen und mit den DNA-Mustern von potentiellen Partnern verglichen werden.
Werden Menschen entdeckt, die eine genetische Mutation teilen, wie beispielsweise eine Veranlagung für Tay-Sachs oder Mukoviszidose, werden diese Menschen als Partner füreinander ausgeschlossen. Sie werden den Partnersuchenden in der App also gar nicht erst vorgeschlagen , womit verhindert würde, dass sie sich treffen und mögliche Erbkrankheiten an ihre Kinder weitergeben. „Du würdest nicht herausfinden, wer nicht kompatibel ist, sondern wer kompatibel mit dir ist“, sagt Church. Würde seine App weiträumig genutzt, glaubt er, könnten zahlreiche Erbkrankheiten langfristig verschwinden und Milliarden im Gesundheitssektor gespart werden.
Ist das Eugenik?
Laut Church würde die App für Menschen, die sie nutzen, keine große Einschränkung beim Dating bedeuten. „Rund fünf Prozent aller Kinder werden mit furchtbaren genetischen Krankheiten geboren“, sagt er. „Das heißt im Umkehrschluss, dass jeder Mensch mit rund 95 Prozent der Bevölkerung genetisch kompatibel ist.“ Die eigenen Gene wären letztlich nur ein weiterer Faktor, der bei der Suche nach dem richtigen Partner hinzugerechnet wird. Und zwar einer, der, so Church, letztlich einfach vernünftig sei: „Wogegen wir arbeiten wollen, ist, dass Kinder mit schweren genetischen Krankheiten geboren werden, die Schmerzen und Leiden verursachen.“
Du würdest nicht herausfinden, wer nicht kompatibel ist, sondern wer kompatibel mit dir ist.
Die Reaktionen auf das Start-up des Wissenschaftlers, der in letzten Jahren schon an der Gründung von über 20 Biotech-Unternehmen wie Knome und Nebula Genomics beteiligt war, sind heftig. Selbst wenn bislang kaum etwas zur App bekannt geworden ist. Dem Molekularbiologen wird vorgeworfen, damit Eugenik betreiben zu wollen; eine Art digital-gestützte Erbgesundheitslehre, um genetisch schwächere oder nicht makellose Menschen auszusortieren. Auf Twitter wurde gescherzt, Digid8 sei wohl die perfekte App für junge Nazis, um auf Partnersuche zu gehen oder für Menschen, die fürchten, aus Versehen ihre Verwandten zu daten.**
Auch Verbände von Menschen mit erblich bedingter Taubheit und transsexuelle Menschen kritisierten die Pläne für die App. Sie wie auch andere würden dadurch willentlich bei der Partnersuche diskriminiert werden. Aber auch Kollegen von Church aus der Welt der Wissenschaft äußern Bedenken. Einerseits sei es zweifelhaft, ob ein solches Programm in einer solchen Breite, wie es der Molekularbiologe plane, überhaupt machbar sei. Aber vor allem sei es nur einen Steinwurf von Programmen zur selektiven Züchtung und irrigen Ideen wie der Schaffung einer Rasse von Übermenschen entfernt. „Ich dachte, nach dem Zweiten Weltkrieg hätten wir kapiert, dass wir so etwas nicht machen“, meint die Ethikprofessorin Elizabeth Yuko. „Es klassifiziert Leute als akzeptable und inakzeptable Menschen.“
Andere Forscher meinen hingegen, das Problem sei komplexer. Laut dem Bioethiker Vardit Ravitsky von der Université de Montréal wäre es schließlich „nicht die Technologie selbst, die schwierig ist, sondern die Art, wie wir sie nutzen“. Letztlich sei das, was Church anbieten wolle, etwas, „das wir schon seit Jahrzehnten tun“ – nämlich bei ganz privaten Gen-Tests oder auch genetischen Vorsorgeuntersuchungen.
Die freie Wahl?
George Church und seine Mitarbeiter haben auf die Kritik mittlerweile mit einer langen Frage-Antwort-Liste reagiert. Er höre und sehe die Bedenken und Ängste durchaus – und nähme sie ernst. „Daher möchte ich allen versichern, dass die ethischen Fragen, die sich aus den Gentechnologien ergeben, nach wie vor ein wichtiger Bestandteil meiner Arbeit sind“, schreibt Church. „Wir müssen die Bedürfnisse derjenigen, die direkt oder indirekt an verheerenden Krankheiten leiden, mit der Notwendigkeit in Einklang bringen, sicherzustellen, dass die Gentechnik nicht missbraucht wird.“
Der Wissenschaftler versichert, dass seine App nichts mit Eugenik zu tun habe. Er wolle weder, dass Menschen von der Partnersuche ausgeschlossen werden, noch wolle er Menschen davon abhalten, Kinder zu kriegen, wenn sie das wollen. „Es gibt viele Krankheiten, die nicht schlimm sind, sondern sogar vorteilhaft für die Gesellschaft, weil sie die Diversität schaffen, zum Beispiel die Diversität von Gehirnen“, so Church. „Das wollen wir nicht verlieren.“ Er trete dafür ein, dass Menschen eine „persönliche Entscheidung treffen können“ und wolle ermöglichen, in diese persönliche Entscheidung eben auch genetische Informationen mit einbeziehen zu können.
„Unsere Motivation ist stark von der Erkenntnis geprägt, dass die persönlichen Umstände, Bedürfnisse, Fähigkeiten und Ängste unter uns sehr unterschiedlich sind und dass für einige ein tieferes Wissen über ihre genetische Ausstattung hilfreich ist“, schreibt Church. Letztlich, meint Church weiter, sei es die Liebe, die über den Partner entscheidet.
Ob, wann und wie die App von Digid8 nun erscheint, das ist nicht sicher. Laut Church hänge all das stark von den Debatten ab, wie sie sein Auftritt bei 60 Minutes ausgelöst hat, und die wohl noch anhalten werden. „Der Einfluss von Gentechnik auf unser Leben ist ein komplizierter, sehr nuancierter Prozess“, sagt der Wissenschaftler. Daher stünden noch viele Gespräche über eine Vielzahl von Themen und Fragen an, die geklärt und erörtert werden müssten.
Ein Gen-Dating-App: Gute Idee oder ein Schritt in eine beunruhigende Zukunft?
Teaser-Bild: KtsDesign / Getty Images
Achtung: 1E9 soll die neue Community für Zukunftsoptimisten werden. Wir sind derzeit noch in der Closed Beta, aber du kannst dich hier auf die Warteliste setzen lassen. Dann melden wir uns schon bald!