Haben Roboter, die einem Trickfilm entsprungen sein könnten und eine märchenhafte Geschichte haben, bessere Erfolgschancen? Das französische Start-up Enchanted Tools geht davon aus – und stellt mit Miroki einen sympathischen Roboter vor, der vor allem in Krankenhäusern zum Einsatz kommen soll. Gegründet wurde die Firma von Jérôme Monceaux, der schon zu den Schöpfern der weltweit bekannt gewordenen Roboter Pepper und Nao gehörte.
Von Wolfgang Kerler
Der Vorhang lüftet sich und der kindergroße Roboter rollt im Schritttempo vor sein Publikum. „Miroki lebt“, sagt er. „Miroki ist in der Welt der Menschen.“ Mit seinen Kulleraugen schaut er sich im Raum um, wackelt fröhlich mit den Ohren. Er nähert sich einem Mitarbeiter von Enchanted Tools, der durch die Präsentation führt. Während er seine Hand ausstreckt, spricht der Roboter sein Gegenüber direkt an: „Miroki ist entzückt, dich kennenzulernen.“
Nach dem Händeschütteln zeigen die beiden, was der Roboter alles kann: Gegenstände greifen, an denen ein spezieller Griff angebracht ist; sich mit Menschen unterhalten, wobei sein aufwendig animiertes Gesicht, das von Innen auf seinen Kopf projiziert wird, in Echtzeit die passende Mimik zeigt; und selbständig auf einer einzigen Kugel umherrollen. Auch wenn er bei dieser Vorführung manchmal geschoben werden muss. Das liege daran, dass der 1,23 Meter kleine Roboter seit Tagen im Dauereinsatz ist, erklärt der Sprecher von Enchanted Tools.
Es ist Mitte März. Zehntausende Menschen sind im texanischen Austin zum Technologie- und Kulturfestival SXSW zusammengekommen. Das 2021 gegründete französische Start-up Enchanted Tools will die Veranstaltung – wie zuvor schon die Elektronikmesse CES – nutzen, um Miroki der Öffentlichkeit vorzustellen. Schließlich sollen in zehn Jahren mehr als 100.000 Stück von ihm die Welt bevölkern. In der ganzen Innenstadt hat die Firma deshalb Plakate mit einem Foto des sympathischen Roboters aufgestellt. „Habt ihr diesen Roboter gesehen? Denn er ist bezaubernd“, steht darauf. Und die Info, wo man ihn treffen kann.
Verzauberte Wesen von einem Planeten voller Harmonie
Im Nebenraum einer Cocktailbar finden im Halbstundentakt Präsentationen statt. Doch bis Miroki durch den Vorhang fährt, dauert es ein paar Minuten. Denn zunächst wird das Publikum in einem Animationsfilm auf den Planeten Miroko mitgenommen. Dort – viele Millionen Lichtjahre entfernt, in unserer Phantasie dennoch erreichbar – lebe die Spezies der Mirokai, was in Menschensprache „das Wunderbare des Anderen zu sehen“ bedeute.
Optisch sind die pelzigen Wesen mit Stupsnasen irgendwo zwischen langohrigen Löwenbabys und dem Marsupilami einzuordnen. Wenn es sich nicht gerade um die Exemplare handelt, die wie Eulen aussehen. In ihrer verzauberten Heimat leben sie, so die Erzählung, in einer harmonischen Gemeinschaft zusammen. Uns Menschen beobachteten und begleiteten sie unbemerkt seit prähistorischen Zeiten aus der Ferne, hätten uns Malerei, Musik und Sprache geschenkt.
Mit Miroki wage nun erstmals ein Mirokai die Reise zur Erde. Dazu springt er im Film durch ein magisches Portal – und rollt kurz darauf in Austin in Gestalt des Roboters in den Raum. Diese mechanische Hülle brauche er, weil er auf seinem Heimatplaneten nicht aus Fleisch und Blut, sondern aus Fantasie bestehe. Soweit seine hübsche Geschichte. Aber was soll sie eigentlich?
„Wir glauben, dass es für Menschen einfacher ist, mit Robotern umzugehen, wenn diese eine eigene Geschichte und eine eigene Welt haben. Denn das macht die Roboter attraktiver, verständlicher und freundlicher“, erklärt Samuel Benveniste, Mitgründer und Vizepräsident von Enchanted Tools im Gespräch mit 1E9. „Außerdem entwickeln wir nicht nur Roboter, sondern Lösungen für Probleme. Und diese Lösungen müssen von den Menschen akzeptiert werden. Sie müssen sie benutzen wollen und sich an sie gewöhnen. Um das zu erreichen, halten wir den kombinierten Ansatz aus Robotik und der Erschaffung von Charakteren für den richtigen Weg.“
Ein Roboter, der Botengänge erledigen kann
Eingesetzt werden sollen die Mirokai-Roboter in einem Aufgabenbereich, den Samuel Benveniste „Social Logistics“ nennt – „also überall dort, wo Objekte von A nach B gebracht werden müssen und es ungeschulte Nutzer gibt“. Damit sind Menschen gemeint, die keine Ausbildung im Umgang mit Robotern haben. „Die Roboter könnten in Hotels, Restaurants oder auch Museen zum Einsatz kommen. Doch vor allem zielen wir aufs Gesundheitswesen ab, also auf Pflegeheime und Krankenhäuser.“
Wer bezweifelt, dass es in Krankenhäusern eine große Erleichterung wäre, wenn niedliche Zauberroboter herumfahren und Essen oder Medikamente verteilen, dem hält Enchanted Tools konkrete Zahlen entgegen: Demnach gehen in Krankenhäusern zehn Prozent der Arbeitszeit für Botengänge und Logistik drauf. In einem Krankenhaus mit 200 Betten müssten pro Woche rund 100.000 Gegenstände bewegt werden. Angesichts der Überalterung der Bevölkerung in vielen Ländern und des Mangels an Pflegekräften brauche man dafür also Roboter. Allerdings solche, die von den Menschen auch akzeptiert werden.
Damit er seine Aufgaben zuverlässig erfüllen kann, wird Miroki von Enchanted Tools mit zahlreichen technischen Features ausgestattet, die zum Teil bereits zum Patent angemeldet sind: Er soll menschliche Sprache verstehen, muss also nicht umständlich programmiert werden. Außerdem soll er Gesichter und Gegenstände identifizieren können. Er soll Gegenstände, an denen die mitgelieferten Universalgriffe befestigt sind, mit einer Genauigkeit von 97 Prozent greifen können. Und da er nicht auf Rädern, sondern auf einer einzigen Kugel fährt, soll er sich besonders frei und schnell bewegen – und bei Bedarf auch zur Seite geschoben werden können.
„In den Robotern steckt viel innovative Technik“, sagt Samuel Benveniste. „Aber ich glaube, die größte Innovation ist die Hintergrundgeschichte. Was uns wirklich von allen anderen unterscheidet, ist die Mischung aus Charakterdesign und Robotik.“
Der Charakter von Miraki kommt nicht nur deshalb so gut an, weil er mit einer Kinderstimme sprechen kann. Es ist vor allem sein animiertes, ausdrucksstarkes Gesicht, für das Enchanted Tools mit einem Start-up namens SPooN zusammenarbeitet. Mit diesem Unternehmen teilt Enchanted Tools auch einen seiner Gründer: Jérôme Monceaux, der hinter zwei der bekanntesten Roboter der Welt steht.
Der Nachfolger von Nao und Pepper – mit mehr Erfolg?
Monceaux gehörte zum Gründerteam der französischen Firma Aldebaran Robotics, die 2006 den 58 Zentimeter großen Roboter Nao auf den Markt brachte, der inzwischen tausendfach verkauft wurde. 2014 folgte der humanoide Pepper, der weltweit in Einkaufszentren, Restaurants oder Flughäfen anzutreffen ist und auf Kundenservice spezialisiert ist. Er soll in der Lage sein, die Emotionen von Menschen zu erkennen.
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Jetzt Mitglied werden!Bereits 2012 wurde Aldebaran mehrheitlich vom japanischen Konzern SoftBank gekauft, in den es inzwischen als Abteilung namens SoftBank Robotics integriert ist. Den erhofften Erfolg hatte SoftBank mit der Übernahme allerdings nicht. Die Produktion von Pepper wurde im Juni 2021 wegen mangelnder Nachfrage „pausiert“. Insgesamt sollen bis dahin schätzungsweise 27.000 Exemplare gebaut worden sein.
Nao und Pepper hatten zwar schon große Augen und lächelten freundlich, aber ihnen fehlte das liebevoll gestaltete Gesicht, der Charakter und die Geschichte, mit denen Jerome Monceaux und Samuel Benveniste jetzt die Mirokai-Roboter zum Welterfolg machen wollten. Für Investoren klang das bisher überzeugend: Enchanted Tools konnte sich schon kurz nach der Gründung 15 Millionen Euro sichern, um die Arbeit des 50-köpfigen Teams zu finanzieren.
Noch ist die Chance, Miroki und seinen Roboterfreunden irgendwo zufällig zu begegnen, relativ gering. Es gibt erst ein paar Testgeräte. Doch schon im Jahr 2025 sollen die ersten 500 Exemplare ausgeliefert werden – und die Welt verzaubern.
Titelbild: Enchanted Tools
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