Dieser KI-Rennwagen von Münchner Studierenden fährt mit 270 km/h Erfolge ein

Erster Platz in Indianapolis, zweiter Platz bei der CES. Nach TUM Hyperloop und den Tunnelbohrern von TUM Boring setzt sich mit TUM Autonomous Motorsport ein weiteres Team der Technischen Universität München bei internationalen Wettbewerben durch. Diesmal mit einem autonomen Rennwagen. Dessen Entwicklung war auch durch Computingpower aus dem Leibniz-Rechenzentrum in Garching möglich, für das @Susanne Vieser aus der 1E9-Community arbeitet. Mit uns teilt sie Einblicke in das Projekt.

Von Susanne Vieser, LRZ

Mit 218 oder gar 270 Sachen über die Rennstrecke. Was für Formel 1-Fahrer wie Lewis Hamilton, Max Verstappen oder Sebastian Vettel reine Routine ist, ist für einen Rennwagen, der autonom fährt, eine Sensation: Der Wagen wird lediglich mit Hilfe von Sensoren und Computer auf Kurs gehalten und reagiert dank Künstlicher Intelligenz (KI) selbst bei hohen Geschwindigkeiten eigenständig auf Kurven, andere Fahrzeuge oder Hindernisse: „Die kritische Größe bei autonomen Fahrzeugen ist die Latenz vom Auftreten eines Ereignisses auf der Strecke bis zur Reaktion des Autos“, erklärt Phillip Karle, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Fahrzeugtechnik der Technischen Universität München (TUM) und außerdem Teamleiter des Teams TUM Autonomous Motorsport. „Bei Gefahren im Straßenverkehr gibt eine kurze Reaktionszeit den Ausschlag und rettet unter Umständen Leben.“

Autohersteller und Logistik-Dienstleister setzen große Hoffnungen auf autonom fahrende Fahrzeuge. Mit ihnen sollen einmal Transport-, Kosten- und Personalprobleme gelöst werden. Die dafür notwendigen Fahrfunktionen gelten als hochkomplexe Anwendungen von Künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen – und sind daher auch in Universitäten willkommene Lehr- und Studienobjekte. Motorsport ist das reizvolle Vehikel, eine Software für autonome, schnell reagierende Fahrzeuge zu konstruieren und sich bei deren Einsatz gleichzeitig mit Entwicklungsteams aus aller Welt zu messen.

Seit fünf Jahren entwickeln die TUM-Lehrstühle für Fahrzeugtechnik und Regelungstechnik gemeinsam Software für autonome Fahrfunktionen. Beim Team TUM Autonomous Motorsport tüfteln rund 60 Studierende, Doktoranden sowie die Professoren Boris Lohmann und Markus Lienkamp an Aufgaben wie Pfadplanung, Umgebungswahrnehmung, Bewegungsregelung sowie an Software und Algorithmen zur Auswertung von Fahr- und Streckendaten. So entstand schrittweise die Software, mit der modifizierte Rennwagen ausgerüstet und die internationalen Wettbewerbe ausgetragen wurden. Technische Unterstützung kam dabei auch vom Leibniz-Rechenzentrum (LRZ): In dessen Compute Cloud wurde die Funktionstüchtigkeit der Software-Architektur des Fahrzeugs getestet und angepasst, indem Fahraufgaben und -Verhalten in vielen möglichen Szenarien auf den Rennstrecken simuliert wurde.

Fahrbefehle aus Daten errechnet

Damit war das Team TUM Autonomous Motorsport höchst erfolgreich. Ende Oktober 2021 gewann es den ersten Platz, außerdem eine Millionen US-Dollar Preisgeld bei der Indy Autonomous Challenge in Indianapolis, Anfang Januar 2022 den zweiten Platz bei der Autonomous Challenge@CES in Las Vegas und 50.000 Dollar: „Wir sind superglücklich mit den Ergebnissen, unser Ziel waren 200 Stundenkilometer, und die haben wir geschafft“, sagt Teammanager Alexander Wischnewski. „Bei den Rennen haben wir viel darüber erfahren, wie Teile der Software zusammenspielen. Forschungsprojekte konzentrieren sich oft auf wenige konkrete oder vereinzelte Fragen, wir haben hier die Chance, die Probleme eines kompletten Fahrsystems zu betrachten.“

Wie in anderen autonomen Fahrzeugen liefern auch im Rennwagen von Team Autonomous Motorsport Kameras, außerdem so genannte Light Detection and Ranging- oder LIDAR-Sensoren, das elektronische Global Positioning System (GPS) sowie Radarsensoren stetig Informationen aus dem Fahrzeug, von der Strecke, der Umgebung und vom Verkehr. Ein Computer erfasst und analysiert diese Daten und errechnet mit Hilfe smarter Systeme und Algorithmen daraus Befehle für Bremsen, Lenkung, Motor. Die dazu notwendigen Hardware-Komponenten ihres Systems prüfte das Team an den Lehrstühlen, doch zur Ausarbeitung von Software und Algorithmen sowie zur Simulation von Fahrsituationen ist viel Rechenzeit und Speichervolumen gefragt.

Dazu stellte das LRZ in seiner Cloud vier Computerknoten (CPU) mit jeweils 40 Cores und insgesamt 400 Gigabyte Datenspeicher zur Verfügung. „Nachts ließen wir darauf automatisierte Tests laufen, um Fehlerquellen in den Grundfunktionen der Software aufzuspüren, außerdem konnten wir deren Fortschritt verfolgen und anhand von Testmetriken optimieren“, berichtet Teamleiter Karle. Teammanager Wischnewski ergänzt: „Wir haben sehr viel Zeit und Energie in die Simulation des Rennwagens und der Strecken gesteckt und konnten durch virtuelle Rennen viele Fehler beheben.“ So fiel die Implementierung der Software im realen Fahrzeug leichter, außerdem simulierte das Team Rennen mit bis zu acht Fahrzeugen gleichzeitig und trainierte damit die autonome Software auf schnelle und sichere Reaktionen.

Open-Source-Software und ein Start-up

Die Wettbewerbe waren damit bestens vorbereitet. Während in Indianapolis die selbst steuernden Boliden allein ihre Runden drehten und Tempo im Mittelpunkt stand, traten in Las Vegas zwei Wagen gegeneinander an. Deutlich erschwerte Bedingungen für das Fahrsystem, das etwaige Fahrfehler des Konkurrenten und Überholmanöver miteinkalkulieren muss.

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Trotzdem konnte die gefahrene Höchstgeschwindigkeit von 218 aus dem ersten Rennen um mehr als 50 Stundenkilometer auf 270 erhöht werden: „Zunächst sind wir kontrollierte Überholmanöver gefahren, dann haben wir die Geschwindigkeit Stück für Stück erhöht“, erzählt Karle. „Beim Zusammenspiel aus Wahrnehmung, Bewegungsplanung und Regelung kam es allerdings zu kleineren Problemen, die das Fahrzeug letztlich aus der Bahn brachten. Aber wir sind zum ersten Mal bei so hoher Geschwindigkeit gegen ein anderes Rennfahrzeug gefahren und wollten bewusst Grenzen austesten.“

Risikobereitschaft und Vorbereitungen haben sich gelohnt. Die erfolgreichen Platzierungen und die praktischen Erfahrungen motivieren zu mehr: Die entwickelte Technik soll sich nun auch in realen Verkehrs- und Transportsituationen bewähren können. Dafür hat das Team TUM Autonomous Motorsport seine Forschungs- und Entwicklungsarbeiten sowie die Algorithmen als frei verfügbare Open Source-Angebote online gestellt, sie können so von anderen genutzt und weiterentwickelt werden. Zusammen mit Kolleg:innen aus dem Team gründet Teammanager Wischnewski außerdem gerade das Startup Driveblocks. Dessen Geschäftsziel ist, die praktischen Erfahrungen aus Forschung und Rennen in kommerziell nutzbare Software rund um das autonome Fahren umzusetzen.

Der Artikel von Susanne Vieser erschien zuerst auf der Webseite des Leibniz-Rechenzentrums.

Titelbild: Jacob Keppler/TUM

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