Diese Bilder hat eine Künstliche Intelligenz bearbeitet – und das ist kein Grund, sich zu fürchten

Künstliche Intelligenz ist immer öfter dafür verantwortlich, dass wir unseren Augen nicht mehr so einfach trauen können. Eindeutig ist das bei gut gemachten Deepfakes. Aber auch in der klassischen Fotografie ist die Künstliche Intelligenz mittlerweile angekommen. Das zeigt derzeit ein Fotowerkzeug namens Luminar AI, mit dem sich Aufnahmen auf beeindruckende Weise optimieren lassen. Nicht alle Fotografen finden das gut.

Von Michael Förtsch

Mittlerweile ist sie überall, die Technologie, die gemeinhin als Künstliche Intelligenz bezeichnet wird. Sie steckt mit Siri und anderen Sprachassistenten in unseren Telefonen und steht bei immer mehr Menschen als Lautsprechertürmchen im Wohnzimmer. Sie empfiehlt uns, was wir als nächstes bei Netflix schauen könnten. Sie unterstützt Ärzte bei der Diagnose von Krankheiten, Wissenschaftlerinnen bei der Entschlüsselung von Viren und Architekten bei der Planung von Städten. Mittlerweile soll sie auch Fotografen und Fotografinnen dabei zur Hand gehen, mehr aus ihren Fotos zu machen. Wie das funktioniert, zeigt gerade eine Software namens Luminar AI, die vom Software-Studio Skylum aus Bellevue, Washington entwickelt wird. Dessen Team wurde in den vergangenen Jahren mit der Photoshop- und Lightroom-Alternative Luminar – in diesem Fall ohne das Kürzel AI – bekannt.

Aber Luminar AI ist kein Ersatz für klassische und umfangreiche Bildbearbeitungs- und Foto-Organisationswerkzeuge wie Luminar, Lightroom oder Photoshop, sondern eine Art kompakter Werkzeugkasten, der ganz auf Künstlicher Intelligenz aufgebaut ist. „Wir haben vor fünf Jahren begonnen, uns mit Künstlicher Intelligenz zu beschäftigen“, sagt Alex Tsepko gegenüber 1E9. Er ist der Chef von Skylum, das 2008 in der Ukraine von zwei Videospielentwicklern und ambitionierten Hobby-Fotografen gegründet wurde und später in die USA umzog. Das da noch kleine Start-up versuchte sich mit Vintagio an Videoschnittsoftware und veröffentlichte dann vor vier Jahren Photolemur, eines der ersten erfolgreichen KI-Fotowerkzeuge, das dabei hilft, einfache Licht-, Kontrast- und Farbeinstellungen zu optimieren, um eine klare und natürliche Optik zu erzeugen. Bei Luminar AI geht da schon deutlich mehr.

Wird ein Bild in Luminar AI geladen, wird es von einer Künstlichen Intelligenz analysiert. Das funktioniert so ähnlich wie beim Bilderkennungssystem auf dem iPhone oder bei Facebook, das eure Freunde oder eure Katze auf Bildern identifiziert. Jedoch ermittelt die Software hier, welche Bildelemente vorhanden sind und um was für eine Art von Foto es sich dementsprechend handeln dürfte. Ist es eine Landschaftsfotografie, ein Portrait oder ein Schnappschuss im Stadtgetümmel? Die Analysen sind mal mehr, mal weniger akkurat. Vor allem bei Fotos mit vielen verschiedenen Elementen liegt Luminar AI gerne mal daneben. Aber dennoch: Die Rate, mit der Luminar AI richtig liegt, ist durchaus beeindruckend. So oder so, je nach Analyse schlägt Luminar AI verschiedene Vorlagen oder Looks vor, die bei einem Bild mit „urbanem Stil“ das Stadtleben betonen oder bei Nahaufnahmen „schnelle Portraitlösungen“ bieten sollen.

Eine Foto-Software, die trainiert wurde

Die schnell anwendbaren Stile in Luminar AI gleichen auf den ersten Blick Instragram-Filtern. Sie sind jedoch deutlich komplexer und werden von KI-Systemen an die Werte des Bildes angepasst. Es wird an Dutzenden von Stellschrauben gedreht. Vom Kontrast, der Schärfe, der Farbsättigung über die Belichtung bis hin zu komplett KI-gesteuerten Einzeleffekten, die etwa Dunst- und Nebelschleier einfügen oder entfernen. In Sekundenbruchteilen kann damit einem unbearbeiteten Foto eine besondere Optik verliehen werden, die vielleicht nicht immer dem persönlichen Geschmack entspricht, aber fast immer Instagram-kompatibel ausschaut.

Aufgebaut wurde die Software laut Alex Tsepko auf grundsätzlich freien, aber von Intel optimierten KI-Frameworks – also Software wie Tensorflow und PyTorch, die genutzt werden, um Künstliche-Intelligenz-Anwendungen zu entwickeln. Denn Luminar AI besteht nicht aus einem großen KI-Programm, sondern zahlreichen kleinen, die jeweils auf eine Aufgabe spezialisiert sind und für komplexe Bearbeitung aneinander geschaltet werden. „Diese Algorithmen sind daraufhin entwickelt, Farbe, Beleuchtung, Komposition und viele weitere bewährte Regeln zu verstehen, die schöne, wirkungsvolle Bilder definieren“, sagt Alex Tsepko. Dafür wurde die KI hinter jedem Werkzeug in einem Machine-Learning-Prozess mit Bildern trainiert, die sie einzelne Bildinhalte wie Menschen, Bäume, Wasserflächen oder den Himmel als Muster erkennen, die Optik eines Nebels lernen oder eine gute Bildaufteilung verstehen lässt. Jedenfalls im Ansatz.

„Wir hatten ziemlich viele Datensets [mit Fotografien]“, sagt Alex Tsepko. Wie viele kann er nicht sagen, jedoch sollen es Zehntausende von Fotos gewesen sein. Die kamen nicht nur aus freien Bilddatenbanken, wie sie genutzt werden, um Muster- und Objekterkennungssysteme aufzubauen, sondern auch von Dutzenden professionellen Fotografen und Künstlern, um den Künstlichen Intelligenzen von Menschen entwickelte ästhetische Leitlinien zu vermitteln. Ebenso wurden Methoden des Maschinellen Lernens verwendet, bei der eine Künstliche Intelligenz nicht vollständig alleine lernt, sondern auch Rückmeldung in Form von positiven und negativen Belohnungen erhält, um das Richtige zu lernen.

Bei diesem Prozess haben, wie Tsepko sagt, „viele angesehene und zeitgenössische Fotografen“ geholfen. „Zum Beispiel beim Kompositions-KI-Werkzeug, das seit Anfang 2020 in der Entwicklung war“, so der Firmenleiter. Dafür baten die Entwickler Fotografen, Fotos zuzuschneiden. Denn ein Foto kann je nach der Art, wie es gecropped ist, eine sehr unterschiedliche Wirkung entfalten. Die KI wurde dann mit den Vorher- und Nachherbildern gefüttert, aus denen sie dann Regeln ableitete. Professionelle Photographen und ambitionierte Hobbyisten waren auch diejenigen, die erproben sollten, ob eine Künstliche Intelligenz tatsächlich „gute Entscheidungen“ treffen kann, und gaben entsprechende Rückmeldungen.

Künstliche Intelligenz ist nur ein weiteres Werkzeug

Bei der Luminar AI müssen sich Fotografen aber nicht grundsätzlich auf das Gesamturteil der Software verlassen, wie ein Bild aussehen soll. Die einzelnen Künstliche-Intelligenz-Werkzeuge und ihre Möglichkeiten lassen sich auch separat und dadurch ganz gezielt anwenden. Wer etwa ein Landschaftsfoto mit einem langweilig grauen Himmel hat, kann einfach einen spannenderen einfügen lassen. Denn die Software erkennt, wo Landschaft und Horizont verlaufen, ob und wo Bäume in den Himmel ragen, oder auch, ob die Latten eines Zaunes oder die Streben einer Brücke zum Vorder- oder Hintergrund gehören. Meistens zumindest. Statt mit der Hand eine digitale Maske um den Himmel zu zeichnen genügt es daher, sich einfach aus einer Liste von Himmeln oder einer eigenen Datenbank einen schicken auszusuchen. Die Software fügt den Himmel dann ein, passt sofort die Lichtstimmung im Bild an die Farben des Himmels an und fügt, wenn etwa eine Pfütze oder ein See vorhanden ist, auch eine Spiegelung ein. Das ist durchaus beeindruckend!

Mit weiteren KI-Werkzeugen lassen sich in weite Landschaften kleine Nebelschleier einfügen, die dem Bild mehr Tiefe verleihen. Bei einem Portrait lässt sich mit Leichtigkeit die Farbe der Augen ändern oder der Farbton der Lippen intensivieren. Mit einem digitalen Radiergummi können wiederum Menschen, Straßenlampen oder auch Metallpfosten „entfernt“ werden. Dafür müssen sie lediglich mit einem Pinsel markiert werden. Die Künstliche Intelligenz errät dann bei kleinen Korrekturen recht zuverlässig, bei größeren mal so, mal so wie der Hintergrund ohne jene Störobjekte aussehen würde.

Ganz ähnliche Funktionen gibt es bereits in anderen Bildbearbeitungsprogrammen wie Photoshop, Topaz Studio oder Prisma. Keine funktioniert vollkommen ideal oder vollkommen zuverlässig. Aber diese Tools sind gut genug, um unter Fotografen eine Debatte zu befeuern.

Keine Angst vor KI-Bildern

Einige Fotografen sind der Ansicht, dass Künstliche Intelligenz die Fotografie als Kunst und insbesondere deren Glaubwürdigkeit beschädigen würden. „Obwohl ich die Bedenken verstehe, denke ich, dass die Risiken stark überschätzt werden und vor allem von denjenigen kommen, die noch nie die Gelegenheit hatten, mit Künstlicher Intelligenz zu arbeiten. Sie kann Fähigkeiten eines Menschen [in der Fotografie] unterstützen und fördern, sie aber nicht ersetzen“, sagt Tsepko dazu. Tatsächlich sind eigentlich alle Anpassungen, die mit Luminar AI und ähnlicher KI-Software machbar sind, grundsätzlich auch in traditionellen Bildbearbeitungsprogrammen umsetzbar. Und auch bei der analogen Fotografie sind sie machbar – in der Dunkelkammer mit Chemikalien, Überblendungen und der Schere. Zahlreiche bekannte Fotografien sind massiv bearbeitet und komponiert.

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Jedoch kosten Fototricks und Kompositionen mit bereits etablierten Werkzeugen viel Zeit und Aufwand. Hier kann Künstliche Intelligenz einiges bewegen. Denn: „Künstliche Intelligenz macht vor allem eines“, so Tsepko. „Sie automatisiert und vereinfacht sonst aufwendige Arbeitsschritte.“ KI-Bearbeitungsprogramme wie Luminar AI werden den Fotografen die Bildbearbeitung nicht aus den Händen reißen. Fotografen werden nicht gezwungen, all die Werkzeuge zu nutzen, die sie bieten. Aber sie werden ein weiteres, wenn auch sehr mächtiges Tool im digitalen Werkzeugkasten werden, das vor allem über die kommenden Jahre manches einfacher, zugänglicher und auch für Nicht-Profis möglich macht. Künstliche Intelligenz ist nach Photoshop, GIMP, Lightroom, Luminar, Snapseed oder Fotofiltern in Instagram schlichtweg ein weiterer Schritt dahin, die Bildbearbeitung zu demokratisieren.

Teaser-Bild: Michael Förtsch

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