„Die Stadt der Zukunft wird von Menschen und Robotern gleichermaßen bewohnt sein“

Warum hat man in Japan keine Angst vor Robotern? Ein Grund mag das freundliche und vertrauensvolle Aussehen vieler Maschinen sein, die das Land bevölkern. Mit niedlichen, praktischen und hilfreichen Robotern möchte auch Hisashi Taniguchi, Gründer und CEO von ZMP, seinen Kunden nicht nur Freude bereiten, sondern ihnen auch die Arbeit erleichtern und Sicherheit schaffen. Unsere Medienpartner von J-BIG haben sich mit dem japanischen Roboterpionier unterhalten.

Ein Interview von Camilla-Shiori Oura-Müller und Björn Eichstädt

In Europa ist das japanische Unternehmen ZMP noch nicht aktiv. Doch auf dem Heimatmarkt hat es sich als einer der Roboterspezialisten etabliert. Die Bandbreite an Robotern, die ZMP in den vergangenen Jahren entwickelt hat, ist groß – von Transportrobotern, die älteren Menschen mit Einschränkungen Mobilität in der Stadt ermöglichen, bis zu Robotern für die Logistik in großen Lagerhallen.

Welche Idee steckt hinter ZMP und was für Roboter bietet ihr an?

Hisashi Taniguchi: Meine ursprüngliche Vision war es, durch niedliche Roboter zu einem praktischen und vergnüglichen Lebensstil beizutragen, und diese Grundidee bestimmt das Unternehmen noch immer. Ich war schon immer technologisch interessiert und glaube fest daran, dass technologische Fortschritte unser Leben zum besseren verändern können. Nach meinem Studium habe ich zunächst als Ingenieur bei einem Hersteller von Kontrollgeräten gearbeitet; dort war ich an der Entwicklung von Antiblockiersystemen für PKW und LKW beteiligt. Später arbeitete ich für ein Handelsunternehmen als technischer Vertriebler und importierte Hightech-Geräte aus dem Ausland. Ende der 90er Jahre, zu Beginn der Internet-Boomzeit, gründete ich mein erstes eigenes Internet-Start-up. Im Jahr 2001, als diese Blase zu platzen drohte, beschloss ich, ein Robotikunternehmen zu gründen, das sich auf die einzigartigen technischen Kompetenzen aus Japan konzentriert – und so entstand die Firma ZMP.

Heute entwickeln und verkaufen wir eine breite Palette von mobilen Robotern, die sowohl für den B2B- als auch den B2C-Bereich bestimmt sind. Die Entwicklung fußt dabei stets auf unseren drei Kerntechnologien: erstens, eine Fahrtechnologie für autonome Mobilität, die wir unter dem Markennamen IZAC anbieten, zweitens RoboMap, eine hochpräzise 3D-Karte für autonomes Fahren und drittens ROBO-HI eine Robotermanagement-Plattform, die nicht nur den Betrieb unserer eigenen Roboter optimiert, sondern auch von anderen Unternehmen genutzt werden kann.

Letztes Jahr war unser 20-jähriges Jubiläum und wir haben heute in der Gruppe insgesamt etwas mehr als 200 Mitarbeiter. Wir verfügen über ein kompaktes, aber internationales und hochkarätiges Team. Alle Entwicklungen werden von uns intern durchgeführt, wir haben jedoch keine eigenen Massenproduktionsstätten, sondern lagern die Herstellung an externe Unternehmen aus. Unsere Ingenieure sitzen in der Zentrale in Tokyo, in der Niederlassung in Vietnam oder im Joint-Venture-Unternehmen in Südkorea.

Wofür steht eigentlich der Firmenname ZMP?

Hisashi Taniguchi: ZMP steht für Zero-Moment-Point. Das ist der Name einer Theorie, die sich auf die Dynamik und Kontrolle der Fortbewegung mit Beinen bezieht und die enorm wichtig ist für humanoide oder andere zweibeinige Roboter. Wenn man diese Roboter nicht nach der Zero-Moment-Point-Theorie entwickelt, verlieren sie das Gleichgewicht und fallen um.

ZMP bietet sowohl Roboter für den Hausgebrauch als auch für industrielle Anwendungen an. Wieso diese Mischung?

Hisashi Taniguchi: Natürlich wollte ich, dass mein Unternehmen eine wichtige Rolle sowohl in der Roboterindustrie sowie in der Gesellschaft einnimmt. Die ersten zwei Jahre des 21. Jahrhunderts waren die Startphase des Unternehmens. Da wir einen Technologietransfer (TLO) vom Ministerium für Bildung, Kultur, Sport, Wissenschaft und Technologie erhalten haben, verkauften wir die humanoiden Roboter erstmal an Forscher und Wissenschaftler. Somit konnten wir genügend Daten und Informationen sammeln und begannen schließlich im Jahr 2003 damit, zusammen mit dem weltberühmten Autodesigner Ken Okuyama den humanoiden Roboter NUVO zu entwickeln. NUVO war für den Haushalt gedacht und konnte einfach mit einer Infrarot-Fernbedienung oder dem Mobiltelefon gesteuert werden. Durch das Drücken bestimmter Tasten – das war lange vor Smartphones - konnten Nutzer den Roboter sogar laufen und tanzen lassen. In das Auge von NUVO war außerdem eine Kamera integriert, mit der man beispielsweise sicherstellen kann, dass es dem eigenen Haustier gut geht, während man nicht zuhause ist.

NUVO kam 2005 auf den Markt. 2007 folgte der Musikroboter miuro. Dieser Roboter konnte automatisch im Haus herumfahren – ob der Besitzer morgens mit Heavy-Metal-Musik geweckt, oder abends bei einem Glas Whisky eine entspannende Jazznummer hören wollte, miuro kam angefahren und erfüllte diese Musikwünsche.

Dann kam der Lehman-Schock und da die Erstinvestition in Haushaltsroboter sehr teuer war, gingen wir zu maßgeschneiderten Robotern über. Schließlich brachten wir maßstabgetreue Modelle von Fahrzeugen namens RoboCar 1/10 auf den Markt. Wir kauften zunächst Autos von Herstellern ein und verwandelten diese in kleinere Modelle, um autonomes Fahren zu ermöglichen. Daraus entstanden zum Beispiel einsitzige Elektroautos wie RoboCar MV2 sowie Minivans und SUVs. Außerdem hatten wir dann auch kleine Elektrobusse im Angebot, die auf den Transport von Personen spezialisiert waren.

Seit 2016 arbeiten wir konzentriert an Logistik-Support-Robotern. Mittlerweile haben wir insgesamt acht Varianten der CarriRo-Serie: einen Drehgestellroboter, einen Palettentransportroboter, einen unbemannten Gabelstapler und drei Arten von Zugfahrzeugen unterschiedlicher Größe. Der Grund, warum wir jetzt insgesamt 20 Robotertypen verkaufen, ist, dass wir dadurch eine breite Palette von Lösungen für viele Kunden anbieten können. Manche Kunden müssen nur eine Tonne transportieren, während andere fünf bis 25 Tonnen benötigen.

Mein nächster Traum war es, einen Lieferroboter zu entwickeln, der Dinge zu uns nach Hause liefern kann. Also haben wir deshalb den Lieferroboter DeliRo entwickelt. Letztes Jahr haben wir schließlich außerdem eine LKW-Version von DeliRo entwickelt, den DeliRo Truck, bei dem die Rückseite als Ladefläche dient. Außerdem haben wir zwei Reinigungsroboter. Einen für die Trockenreinigung von Teppichen und einen, der Böden feucht wischt. Diese Typen nennen wir Life-Robots und wir haben insgesamt sechs verschiedene davon auf dem Markt.

Und wie werden die Roboter eingesetzt?

Hisashi Taniguchi: Ich erkläre das an einem Beispiel mit dem Personentransportroboter RakuRo. Dieses Modell haben wir 2018 entwickelt. Seit Oktober 2020 bieten wir den Bewohnern von Tsukuda Tsukishima, einem etwa 1,5 Kilometer breiten Stadtteil von Tokyo mit 31.000 Einwohnern, damit einen Sharing-Service an. Das Angebot wird dankend angenommen – wir sind bereits Teil der Gemeinschaft und alle lieben RakuRo sehr.

Ein Spaziergang in den Kirschblütenzeiten – auch Menschen mit Gehschwierigkeiten müssen sich den Spaß nicht entgehen lassen.

Zur Arbeit mit dem Transportroboter RakuRo – ZMP-Gründer Hisaishi Taniguchi.

Die letzten zwei Jahre haben wir auch ein soziales Projekt in Himeji durchgeführt. Dort gibt es ein Schloss und man braucht 40 bis 50 Minuten, um es zu umrunden. Zu Fuß ist es sehr anstrengend, den Hügel hinaufzugehen, also bieten wir eine Tour auf einem RakuRo an, die sehr gut ankommt.

Seit 2017 arbeiten wir außerdem mit der japanischen Post zusammen. Seit letztem Jahr mit ENEOS, dem größten Ölunternehmen Japans. Wir haben uns mit deren Tankstellen zusammengetan und führten einen Demonstrationstest von autonome Lebensmittellieferungen durch. Die Nachfrage nach Autos und vor allem fossilen Kraftstoffen wird in Zukunft abnehmen, und ENEOS Tankstellen bauen sich so ein zweites Standbein auf. Dort werden die Roboter aufgeladen, gewartet und gereinigt, um sich im Anschluss, um die Essensauslieferung in der Umgebung zu kümmern.

Inwiefern spielt Software für ZMP eine Rolle?

Hisashi Taniguchi: Software ist für automatisiertes Fahren elementar, beispielsweise wenn es um Straßenkarten geht. Dazu bringt man Sensoren an einem Auto an, mit denen man Straßen erfasst. Aus den ermittelten Daten entsteht eine detaillierte 3D-Karte. Für Lieferroboter und Modelle wie den RakuRo-Roboter sind aber nicht nur Straßennetze relevant, sondern auch Bürgersteige und Gebäude. Um auch davon eine Karte anbieten zu können, haben wir Robo-Map entwickelt: Dafür trägt eine Person einen Rucksack mit Sensoren auf dem Rücken durch die Stadt – zu Fuß oder mit dem Fahrrad. Die leistungsstarke dreidimensionale Robo-Map ist eine millimetergenaue Punktwolke, die einem dreidimensionalen CAD-System ähnelt.

In den einzelnen Robotern sind natürlich auch Kamerasensoren eingebaut, um Menschen als solche zu erkennen und Kollisionen zu vermeiden. Die Karte im Hintergrund wird kontinuierlich mit den von den Sensoren des Roboters markierten Positionen abgeglichen. So kann sich der Roboter mit sehr hoher Präzision vorwärtsbewegen, Hindernissen ausweichen, wenden oder vor Ampeln anhalten.

Frühe Consumer-Modelle wie NUVO oder miuro sind aktuell nicht mehr erhältlich. Wird sich das in Zukunft wieder ändern?

Hisashi Taniguchi: Derzeit ist der Bedarf an unserer Technologie für automatisiertes Fahrens vor allem in der Logistik und Industrie sehr groß, wir werden diesen Bereich also in Zukunft weiter aufbauen. Diese B2B-Roboter sind aktuell unser Fokus, aber mein Traum ist es, auch Roboter zu entwickeln, die in unserem Alltag nützlich sind – also B2C-Roboter wie den NUVO. Roboter zu bauen, die niedlich und praktisch sind, ist eine Leidenschaft, die wir in Zukunft sicherlich wiederbeleben werden.

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In Fabriken und Lagern in ganz Japan herrscht aktuell Personalmangel. Das ist auch eine Chance für ZMP, oder?

Hisashi Taniguchi: Ja. Viele Lagerhäuser werden in der Nähe von Großstädten wie Tokyo gebaut, weil immer mehr und schnellere Lieferungen erforderlich werden. Hier ist die Personalsuche jedoch sehr schwierig – selbst wenn der Stundenlohn hoch ist, kann man nicht viele für den Beruf begeistern. Die Arbeit ist körperlich anstrengend und wird immer unbeliebter. Auf dem Land wiederum schrumpft die Bevölkerung und damit auch die Anzahl der möglichen Mitarbeiter. Hier versuchen die Lagerhaus-Betreiber mittlerweile zum Beispiel Hausfrauen im Nebenjob miteinzubeziehen, aber auch die sind nicht sehr begeistert. Die Rekrutierung wird also immer herausfordernder. Junge Menschen haben die Wahl zwischen verschiedenen Jobs und entscheiden sich nicht mehr für harte körperliche Arbeit. Dazu kommen die alternde Gesellschaft in Japan und der Mangel von Arbeitskräften vor allem aus Südostasien, die während der Pandemie in ihre Heimat zurückkehren mussten.

Dieses Corona- und Fachkräfteproblem gibt es ja inzwischen fast auf der ganzen Welt. Haben Sie auch internationale Pläne?

Hisashi Taniguchi: Die Corona-Zeiten haben uns mit dem Begriff „berührungsloser Service“ konfrontiert und in Lagerhäusern in aller Welt haben große Lagerunternehmen die Zahl der Mitarbeiter teils drastisch reduziert. Nicht nur unsere Logistik-Support-Roboter, sondern auch RakuRo und DeliRo haben sich in diesem Zusammenhang als gute Lösung erwiesen und wir haben verstärkt Anfragen aus der ganzen Welt bekommen. Wir rechnen weiterhin mit einer hohen Nachfrage. Nach der Corona-Krise planen wir eine Expansion in Korea, wo wir bereits ein Joint Venture haben, aber auch nach China und in den Westen. In Europa möchten wir als nächstes eine Niederlassung aufbauen.

Zur guter Letzt: Was sind die nächsten Produktpläne für ZMP?

Hisashi Taniguchi: Da gibt es zwei Aspekte. Der erste betrifft unsere Lieferroboter DeliRo. Dieses Modell kann nicht nur Dinge transportieren, sondern auch verschiedene Emotionen ausdrücken, etwa mit seinen Augen. Für die Zukunft würden wir uns wünschen, dass DeliRo mit Menschen sprechen, nach ihren Wünschen fragen oder zu ihrer Sicherheit beitragen kann. So könnte DeliRo etwa die Sicherheit oder den Gesundheitszustand von älteren Menschen erfragen. Wir wollen auch eine Patrouillenfunktion hinzufügen, damit der Roboter auch als Sicherheitspersonal eingesetzt werden kann.

Der andere Aspekt betrifft die Art und Weise, wie Menschen und Roboter zusammenleben und arbeiten. Für Roboter ist es normalerweise einfach, sich im Freien zu bewegen, aber in Gebäuden tun sie sich oft schwer. In Zukunft müssen wir den Betrieb von Robotern bereits bei der Grundkonzeption, also vor dem Bau eines Gebäudes, berücksichtigen. Wir haben eine Roboter-Management-Plattform, ROBO-HI, entwickelt, die es Dutzenden von Robotern ermöglichen wird, in Büros, Hotels, Wohnanlagen und großen Krankenhäusern zu arbeiten. Ab 2023 planen wir, eine Umgebung zu schaffen, in der Roboter und Menschen in neuen Gebäuden koexistieren können. Hier kommen Architektur und Robotik zusammen. Die Stadt der Zukunft wird von Menschen und Robotern gleichermaßen bewohnt sein.

Titelbild: Der DeliRo von ZMP

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