Der Staat hilft alten Giganten, aber nicht Start-ups: Deutschland braucht bessere Industriepolitik

Thomas Sattelberger kritisiert in seinem neuesten Beitrag für 1E9, dass der Bund das E-Flugtaxi-Start-up Lilium nicht retten wollte, während alte, angeschlagene Großkonzerne immer wieder Steuermillionen (oder gar -milliarden) bekommen. Außerdem fordert er eine Industriepolitik, die sich Frankreich zum Beispiel nimmt: Dort werden auch Start-ups strategisch gefördert, um die Tech-Konzerne der Zukunft aufzubauen.

Ein Gastbeitrag von Thomas Sattelberger

„Verkehrsmittel der Zukunft oder Milliardengrab?“, schreibt BR24 Wirtschaft zur Insolvenz von Lilium, des oberbayrischen e-Luftshuttle-Start-ups. Die Welt betitelt ihren Beitrag „Das bittere Ende eines deutschen Traums“. Die Gründerszene schreibt: „Flugtaxis sollen trotz Insolvenzverfahren in Betrieb gehen“. In einem früheren Beitrag hieß es „Sollte der Staat Lilium retten?“ Die Haushälter der alten Ampel-Regierung entschieden sich gegen eine Rettung, getrieben vom Veto der Grünen. Sie lehnten Wandelanleihen für das Start-up in Höhe von 50 Millionen, die zudem durch Patente abgesichert waren, ab – obwohl es eine Zusage des Freistaats Bayern in der gleichen Höhe gab, diese allerdings nur, wenn der Bund ebenfalls seinen 50 Millionen-Part übernommen hätte.

Investoren wollten vergeblich Verlässlichkeit am Standort Deutschland

Die bisherigen 1,5 Milliarden Euro an investiertem und verbrauchtem Entwicklungsaufwand sind zu 95 Prozent von internationalen Investoren aufgebracht worden. Wenn der FAZ-Kommentator Maximilian Sachse jetzt in seinem Beitrag „Die Lehren aus dem Fall Lilium“ argumentiert, dass diese Investoren irgendwann das Vertrauen in das Start-up verloren haben und der Staat nicht dazu da sei, das mit Steuergeldern auszugleichen, so ist das theoretisch zwar wunderschön marktliberal, praktisch aber töricht in einem Land, welches eine Aufholjagd bei Elektromobilität vor sich hat.

Dieses Argument wurde von Politikern aller Ampelcouleur, auch der FDP, aufgegriffen und als eines der Argumente zur Verteidigung der Entscheidung genutzt. Dass die internationale Investoren-Szene einen kleinen, aber ernsthaften Vertrauensbeweis des deutschen Staates sehen wollte, dass dieser regulatorisch wie volkswirtschaftlich – auch und gerade in Deutschland – in der Elektroluftfahrt eine mögliche Schlüsselindustrie und einen Zukunftsmarkt sieht, ist der politischen und insbesondere der innovationsfeindlichen grünen Seele fremd.

Macron macht kluge Industriepolitik für Frankreich

In einem Interview mit der FAZ äußerte sich der Gründer Daniel Wiegand, dass er sein Unternehmen Lilium nicht noch einmal in Deutschland gründen würde. Dies ist besonders brisant vor dem Hintergrund, dass Frankreichs Präsident Macron für die Serienfertigung des Elektro-Senkrechtstarters (übrigens ein Senkrechtstarter mit E-Jet-Triebwerken, technologisch eine Unique Proposition) in Frankreich schon 200 Millionen Euro in Aussicht gestellt hatte.

Im Unterschied zu Deutschland macht Frankreich nämlich nicht nur eine Industriepolitik für seine altehrwürdigen Tech-Konzerne, sondern auch für seine kommenden Tech 2.0-Konzerne. Frankreich als Start-up-Nation bedeutet technologiestrategisch nichts anderes, als dass es über Innovationsökosysteme neue Tech-Konzerne ermöglichen will. Das hat Frankreich in der Industriewelt schon um die Jahrhundertwende demonstriert, als es die Daimler Benz Aerospace mit ihrem ehemaligen Herzstück Messerschmitt-Bölkow-Blohm (MBB) machtpolitisch-elegant von München-Ottobrunn nach Toulouse „verlagerte“ – zuerst unter dem Namen EADS, später als Airbus.

Die Luft- und Raumfahrtbranche zählt in Frankreich zu einer hochpriorisierten Technologiebranche. Und da gibt es nicht nur ,Ansiedlungsprämien‘ für reife Unternehmen, sondern heute vor allem für technologische Zukunftshoffnungen wie Lilium. Denn das Unternehmen würde natürlich zusätzlich komplementäre Innovationen wie beispielsweise Hochleistungsbatterien, also nicht nur ein Produkt, sondern ein potenzielles Wertschöpfungssystem, mitbringen.

Von Altmaier (CDU) bis Habeck (Grüne): Industriepolitik nur für alte Giganten

Mit der (hoffentlich vergeblichen) Sterbehilfe für Lilium haben die zerfasernden Ampel-Parteien nahtlos fortgesetzt, was schon Wirtschaftsminister Peter Altmaier von der CDU unter Angela Merkel mit seiner Industriestrategie verfolgte. Da tauchte das Wort Mittelstand nicht auf, geschweige denn DeepTech, sondern nur alte Industriegiganten wie Siemens und Alstom, die schon die damalige Regierung defensiv und protektionistisch schützen wollte.

Lieber subventionieren Alt-Politiker die müde Automobilbranche mit Milliarden Elektromobilitätsprämien und denken jetzt über VW-Hilfen nach, die dann aber alle, auch Zulieferer wie ZF, gierig haben wollen. Und lieber wollen sie sich als milliardenschwere Retter der 229 Jahre alten Meyer Werft aufschwingen, als einer Firma wie Lilium mit 50 Millionen Euro (noch dazu mit innovativen Patenten abgesichert) das Überleben zu sichern.

Die angeschlagene Meyer-Werft soll vorübergehend verstaatlicht werden. Der Bund übernimmt einen Anteil von knapp 40,4 Prozent an der Werft in Papenburg in Niedersachsen. Einen ebenso großen Anteil soll das Land Niedersachsen erwerben: zusammen 400 Millionen Euro für die Mehrheitsbeteiligung. Dazu kommen noch Bürgschaften für Fremdfinanzierungen in Höhe von 2,6 Milliarden Euro.

Wer jetzt geopolitisch-militärisch für deutsche Werften argumentiert, dem sei gesagt: Die Meyer Werft ist für den Bau von zivilen Schiffen wie Kreuzfahrtschiffen, Fähren und Tankern bekannt. Während des Zweiten Weltkriegs hat die Werft auch Schiffe für die Kriegsmarine repariert.

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Deutschland muss raus aus dem Dümpeln in „Middle Technology“

Für wichtige grüne und einige – wie ich aus verlässlichen Quellen weiß – rote Führungsfiguren in der Berliner und auch bayerischen Politik war Lilium nichts anderes als ein „Spielzeug für Millionäre“. Daher besiegelten sie die Insolvenz. Dabei ist es für einigermaßen innovationskompetente Menschen klar, dass ein zunächst hoher Preis fast bei jeder Neuerung normal ist. Erst Skalierung macht Produkte und Services preiswerter.

Da half auch nicht, dass das Lilium-Shuttle ein Zwischenschritt zum elektrischen Fliegen ist und noch dazu ein Geschäftsmodell gegen zeitraubende Staus auf Autobahnen und Verspätungen von Lufthansa und Bahn verfolgt. Grüne Energie ja, aber nicht für die Luftfahrt – und gleich gar nicht für „Reiche“. Anna Christmann von den Grünen, die Luft- und Raumfahrtbeauftragte der Bundesregierung, war im Fall Lilium auffallend schweigsam.

Meine feste Überzeugung ist, dass Deutschland mit seiner dominanten Prägung durch die „Maschine“ und den Maschinenbau am ehesten noch durch „Industrial DeepTech“ eine Chance hat, aus der „middle technology“-Falle zu entkommen, die Clemens Fuest, der Chef des Münchner ifo-Instituts in seinem Beitrag „How to escape the middle-technology trap“ für Deutschland und Europa trefflich beschrieben hat. Ob wir in Deutschland überhaupt noch Softwarekonzerne aufbauen können, steht in den Sternen, aber dass wir ohne neue Tech-Konzerne, die Maschine und Daten verknüpfen (cyberphysische Systeme), nur noch als verlängerte Werkbank anderer Nationen vegetieren, steht für mich außer Frage.

Deshalb bin ich ja auch entschiedener Befürworter von DeepTech-Start-ups, egal ob sie Isar Aerospace, Marvel Fusion, Lilium oder Sunfire heißen. Wir müssen eine Tech-Mittelstandsnation 2.0 mit DeepTech-Hidden Champions werden. Diese technologischen Zukunftsträger müssen in Deutschland ihre Heimat finden. Dazu braucht es fortschrittliche Industriepolitik politischer Zukunftsträger. Und natürlich hoffe ich, dass es für Lilium diese Zukunft gibt.

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