Ende 2020 hat der Alibaba-Gründer Jack Ma das chinesischen Bankensystem kritisiert. Seitdem hat ihn keiner gesehen. Dabei ist er einer der reichsten Menschen in China und eines der bekanntesten Gesichter der asiatischen Tech-Branche.
Von Michael Förtsch
Jack Ma ist einer der bekanntesten Menschen in China. Für viele junge Chinesen ist er Vorbild und Idol. Denn er hat es geschafft, trotz bescheidener Herkunft und vieler Rückschläge mit der Alibaba Group ein Firmenimperium aufzubauen. Mit einem geschätzten Vermögen von 41 Milliarden Euro belegt er derzeit den 25. Platz des Bloomberg-Rankings der reichsten Personen der Welt. Aber nicht nur das: Er ist auch eine Popkultur-Ikone, saß in der Jury von Africa’s Business Heroes , wirbt für die Kampfsportart Tai Chi und besiegte in einem Kurzfilm namens Gong Shou Dao Martial-Arts-Helden wie Jet Li, Donnie Yen und Wu Jing. Oh, und vor drei Jahren imitierte er Michael Jackson bei einer Gala-Show. Aber nun ist Jack Ma einfach verschwunden.
Zuletzt wurde er im Oktober 2020 gesehen. Auf einer großen Bühne hatte er auf der Konferenz Bund Summit in Shanghai den größten Börsengang der Welt vorbereitet: den der Ant Group. Die zu Alibaba gehörende Firma betreibt und entwickelt Alipay, das mit rund einer Milliarde Nutzern größte Bezahlsystem in China. In den vergangenen Jahren stieg Ant Group auch in das Geschäft mit Krediten, Versicherungen und Vermögensverwaltung ein. Das Unternehmen sollte an den Börsen in Shanghai und Hongkong gelistet werden und 28,35 Milliarden Euro einsammeln – was eine Firmenbewertung von 257,16 Milliarden Euro bedeuten würde. „Wunder geschehen“, hatte Ma gesagt. Und dieses geschehe nicht an der Börse in New York City, sondern in Asien.
Doch aus dem Börsengang wurde nichts. Er wurde kurz vor knapp und ohne große Erklärung abgesagt: Laut chinesischen Behörden erfüllte das Unternehmen drei Tage vor dem geplanten Listing die Offenlegungspflichten nicht mehr. Der Auftritt in Shanghai war der bislang letzte des Geschäftsmannes. Es war sogar das letzte Mal, dass er überhaupt gesehen wurde. Seitdem gab es kein Lebenszeichen von einem der bekanntesten Tech-Unternehmer der Welt. Der Grund? Als Jack Ma auf der Bühne stand, nutzte er seine Redezeit nicht nur, um sein Unternehmen und den Welterfolg aus China zu feiern. Er nutze sie auch, um Kritik zu üben.
Kritik an Chinas Banken
Ma sprach davon, dass das chinesische Finanzsystem träge und verkrustet sei. Banken in China würden eine Pfandhausmentalität zeigen und in einer morden Welt „mit Methoden von gestern“ arbeiten, die allenfalls taugen würden, um „einen Bahnhof zu verwalten“, aber nicht ein Land, das im Aufbruch ist. Sie würden selbst für kleine Darlehen auf Sicherheiten bestehen, Stunden und Tage lang die Anträge überprüfen. Genau das Gegenteil dessen, wie die Ant Group agiert und arbeiten will – um Menschen und Unternehmen Zugang zu Darlehen zu geben, die von traditionellen Banken verschmäht werden. Der Auslöser für die harschen Worte von Ma waren neue Richtlinien, die am 16. September 2020 von der Regulierungskommission für Banken und Versicherungen erlassen worden waren.
Nach den neuen Regularien darf die Finanzierung durch Banken und Aktionäre das Nettovermögen eines Mikrofinanzunternehmens – wie das der Ant Group – nicht übersteigen. Außerdem dürfen Online-Kredite nur noch in einer Höhe von maximal 38.000 Euro vergeben werden. Beides zusammen heißt: Die Ant Group müsste plötzlich deutlich mehr Barkapital bereithalten, um ihr Geschäft wie bisher weiter zu betreiben und könnte nun nur noch kleine Kredite an Unternehmer und Mittelstandbetriebe vergeben. Oder sie müsste ihr Geschäftsmodell radikal ändern und mehr wie eine traditionelle Bank arbeiten. Oder eben beliebte Produkte wie die Darlehen einstellen. Letzteres ist es, was die Behörden dem Unternehmen auch explizit nahegelegt haben. Es solle zu seinen „Wurzeln als Bezahldienst“ zurückkehren.
Einige Kommentatoren bezeichneten den Auftritt von Jack Ma und seine Kritik als mutig. Andere stuften sie als Kriegserklärung an die Führung in Peking ein – und als garantierten Selbstmord (zumindest im geschäftlichen und gesellschaftlichen Sinne). Denn im Publikum saßen nicht nur andere Unternehmer, sondern auch Chinas Vizepräsident Wang Qishan und Yi Gang, der Leiter der Chinesischen Volksbank. Tatsächlich brodelten schon bald Gerüchte, dass die Behörden in China in den Börsengang der Ant Group eingreifen wollten. Am 2. November 2020 wurden Ma und die wichtigsten Manager der Ant Group von den Regulierungsbehörden einbestellt. Am 3. November wurde der Börsengang pausiert. Angeblich auf die persönliche Weisung von Xi Jinping, Chinas Staatspräsident und Generalsekretär der Kommunistischen Partei, der über die Aussagen von Ma „erbost“ gewesen sein soll.
Ebenso wurden in den letzten Wochen des Jahres 2020 die Kartell- und Unternehmensgesetze in China verschärft – und Alibaba mit einer Strafzahlung bedacht, da es gegen die neuen Vorgaben verstieß. Seitdem ist der Börsenwert von Alibaba um fast ein Viertel gefallen – und damit auch das Vermögen von Ma. Es rutschte binnen weniger Monate von 51 Milliarden auf die aktuellen 41 Milliarden Euro. Mittlerweile wurde Jack Ma daher von Ma Huateng, dem Gründer von Tencent, als reichster Mensch in China abgelöst. Aber auch Tencent und andere Tech-Größen wurden durchaus geschröpft. Auch sie verstoßen in Teilen gegen die neuen Regularien.
Er bleibt unauffindbar
Wo sich Jack Ma aufhält und was mit ihm seit Oktober geschehen ist, ist ungewiss. Sowohl chinesische Behörden als auch Alibaba geben keinen Kommentar zu seinem Verbleib ab. „Keiner spricht offen im Unternehmen darüber“, zitiert die WirtschaftsWoche einen Alibaba-Mitarbeiter. „Es traut sich auch niemand, das Thema dort zu diskutieren.“ Zeitweise kursierten Gerüchte, Ma könnte auf Anweisung von Xi Jinpin von chinesischen Sicherheitsbehörden festgehalten werden oder unter Hausarrest gestellt worden sein. Sogar über seinen Tod oder eine Flucht aus China wurde spekuliert.
Es wäre nicht das erste Mal, dass eine reiche und scheinbar mächtige Person ins Visier des Staatsapparates gerät. „Xi kümmert sich nicht darum, ob du’s auf eine dieser Listen der Reichen geschafft hast oder nicht“, zitierte das Wall Street Journal im letzten Jahr einen chinesischen Beamten. „Was ihn interessiert, ist, was du tust, nachdem du reich geworden bist, und ob du deine Interessen mit den Interessen des Staates in Einklang bringst.“
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Jetzt Mitglied werden!Bereits vor zwei Jahren war der Investmentmanager Xiao Jianhua von chinesischen Agenten wegen angeblicher Marktmanipulation und anderer Vergehen aus einem Hotel in Hongkong entführt und festgesetzt worden. Teile seiner Firma Tomorrow Holding wurden verstaatlicht. Noch schlimmer erging es dem Immobilienunternehmer Ren Zhiqiang. Er hatte den chinesischen Präsidenten als „nackten Clown“ bezeichnet und Versäumnisse im Umgang mit der Corona-Pandemie angeprangert. Daraufhin verschwand er am 12. März 2020. Im April wurde dann bekannt gegeben, dass Zhiqiang wegen „schwerwiegende Verstöße gegen Gesetz und Disziplin“ zu 18 Jahren Haft verurteilt worden war.
China-Experten halten Gefangenschaft und Tod von Jack Ma jedoch für eher unrealistisch. Wahrscheinlicher sei, dass der Unternehmer von der Regierung in Peking aufgefordert wurde, seine Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit zu begrenzen, sich zeitweise zurückzuziehen und über die eigenen Fehler nachzudenken. Das bestätigten auch Quellen von CNBC und Bloomberg . Der Milliardär sei frei, aber angehalten, das Land bis auf weiteres nicht zu verlassen. Er kooperiere mit den Behörden.
Das Vorgehen gegen die Ant Group und das Verschwinden von Jack Ma ist in jedem Fall ein gewaltiger Schuss vor den Bug. Und ein klares Zeichen. Nämlich dafür, dass kein Unternehmensgründer oder Firmenchef so reich und einflussreich werden könne, dass er es sich erlauben könne, die Autorität der Regierung, das Handeln der Staatsapparate und die Praxis der chinesischen Führung in Frage zu stellen. Kein Unternehmen kann so wichtig werden, dass es nicht von Peking zurechtgestutzt werden kann. Das gilt nicht nur für die Ant Group und Jack Ma, sondern für alle Tech-Unternehmen in China und deren erfolgreiche Gründer.
Update: Jack Ma ist wieder aufgetaucht. Zumindest hat er sich nun mit einer Videobotschaft zurückgemeldet, die von chinesischen Staatsmedien verbreitet wird. In der sagt Jack Ma, er habe in den zurückliegenden „Tagen gemeinsam mit meinen Kollegen gelernt und nachgedacht“. Er wolle sich nun mehr der Wohltätigkeit und Bildung widmen. Insbesondere möchte er die ländlichen Regionen von China unterstützen.
Auf sein plötzliches Verschwinden geht Jack Ma hingegen nicht ein.
Teaser-Bild: Wang He / Getty Images