Das Videospiel In Other Waters ergründet die intime, aber fragile Beziehung zwischen Mensch, Maschine und Umwelt

Im Science-Fiction-Videospiel In Other Waters werden die riesenhaften Ozeanwelten des Planeten Gliese 667Cc erforscht. Das geschieht jedoch nicht aus der Sicht der Heldin, die in die fremden Wasser eintaucht. Stattdessen übernehmen die Spieler die Rolle einer Künstlichen Intelligenz, die in einen Tauchanzug integriert ist.

Von Michael Förtsch

Direkt um die Ecke liegt Gliese 667Cc nicht gerade. Aber im kosmischen Maßstab ist der Planet zumindest in unserer Nachbarschaft. Rund 22,18 Lichtjahre ist er entfernt. Das wäre eigentlich nicht sonderlich bemerkenswert. Schließlich entdecken Astronomen am laufenden Band neue Planeten. Aber der erst 2011 von den Planetensuchern von ESO HARPS ausgemachte Himmelskörper könnte etwas Besonderes sein. Denn Gliese 667Cc umkreist einen Roten Zwergstern in einem Abstand, der als habitable Zone einschätzt wird. Das heißt: Es könnte dort flüssiges Wasser und vielleicht sogar Leben geben. Dazu ist der Planet nur einige Erdmassen schwerer als unsere Heimatwelt. Und zumindest auf den Bildern der Entdecker von ESO stellt sich Gliese 667Cc tatsächlich als ein rauer, aber wunderschöner Bruderplanet dar, der von breiten Flüssen und tiefen Ozeanen gezeichnet ist.

Ob und wie wir Gliese 667Cc jemals erreichen könnten, das ist eine gute Frage, die sich In Other Waters jedoch nicht stellt. Denn in der Indie-Game-Produktion des Allein-Entwicklers Gareth Damian Martin sind Menschen bereits seit einigen Jahren auf dem Exoplaneten unterwegs. Oder zumindest Mitarbeiter eines Konzerns namens Baikal, der in den außerirdischen Ozeanen kleine Forschungsstationen betreibt. „Ich wollte, dass die Handlung an einem Ort spielt, der in der Zukunft als eine Art Hinterland angesehen werden könnte“, sagt Martin im Gespräch mit 1E9. „In einer Welt, in der die Menschheit interstellare Entfernungen zurücklegen kann, wäre zumindest alles in unserem Sonnensystem zu nahe, um noch Leben zu beherbergen, das wir nicht kennen.“

Eine, die Gliese 667Cc erkundet, ist die Xenobiologin Ellery Vas, die mehrere Meter unter Wasser geschützt von einem High-Tech-Tauchanzug erwacht. Wie sie dorthin gekommen ist, das weiß sie nicht mehr. Nur, dass sie sich auf die Suche nach ihrer Forschungskollegin Minae Nomura gemacht hat, ist ihr noch in Erinnerung. Die ist spurlos verschwunden, nachdem sie vor einigen Monaten eine mysteriöse Entdeckung gemacht haben will. Inspiriert hatte Martin zu dieser Ausgangslage, wie er sagt, ein Urlaub am Toronäische Golf in Griechenland, bei dem er Tag für Tag auf Meereskreaturen stieß, die er zwar kannte, die aber aus nächster Nähe „merkwürdig und einzigartig“ erschienen. Ebenso hätten ihn Science-Fiction-Romane beeinflusst, die er zu dieser Zeit las: J. G. Ballards The Drowned World, in dem die Erde durch die globale Erwärmung in den Ozeanen versinkt, und Auslöschung von Jeff VanderMeer, in dem ein Team aus Forscherinnen einen Ort erkundet, der durch einen unsichtbaren Schleier von der Außenwelt abgekapselt ist.

In In Other Waters übernimmt der Spieler jedoch nicht die Rolle der Exobiologin, sondern die der Künstlichen Intelligenz, die die komplexen Systeme ihres Anzugs kontrolliert. Und eben wie eine Maschine nimmt der Spieler auch seine Umwelt und Ellery Vas wahr. Die Wasser von Gliese 667Cc zeigen sich nicht als schmuckvolle 3D-Umgebungen, sondern als eine Karte mit Höhen- und Tiefenebenen, die sich über den Bildschirm ziehen. Darin: kreuchende und fleuchende Farbpunkte, die die vielfältige Flora und Fauna des Planeten darstellen. Es ist der künstlerische Versuch, wie der Entwickler sagt, „das maschinelle Sehen“ für einen Menschen greifbar und verständlich zu machen. Über der Karte schwebend befindet sich ein ebenso minimalistisches Interface mit einem Richtungsanzeiger, Steuerknöpfen und einem Fenster, das anzeigt, wenn Ellery Vas zur Künstlichen Intelligenz spricht.

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Scannen und tauchen

Grundsätzlich verlangt In Other Waters dem Spieler nicht viel ab. Er muss die Umgebung scannen, Wegpunkte auslosen, Proben sammeln, Energie und Sauerstoff auffüllen. Später muss er auch Schweißen, mit organischen Proben verschiedene Hindernisse aus dem Weg räumen, in einem Minilabor experimentieren und durch Strömungen navigieren. All das findet in dieser minimalistischen Oberfläche statt. Und hin und wieder kann er, wenn sich Ellery Vas meldet, auf ihre Fragen und Kommentare mit einem Ja-Nein-Signal oder auch einem Schweigen reagieren. Jedoch entfaltet sich über die rund vier bis fünf Stunden Spielzeit eine faszinierende Mensch-Maschine-Beziehung. Während die Künstliche Intelligenz einen qua Konstruktion kühlen, distanzierten und wenig dynamischen Konversationspartner abgibt, wird die Forscherin mit jeder Stunde mitteilsamer.

Die Künstliche Intelligenz ist der einzige Ansprechpartner, den Ellery hat, während sie versucht, den Weg und das Tun von Minae Nomura nachzuvollziehen. Zunehmend bereitwilliger breitet Ellery daher ihre Ängste, Sorgen, aber auch Hoffnungen vor der Computersoftware aus. Es entsteht eine surreale Art von Intimität. Und immer wieder ergeben sich auch Situationen, in denen man der armen Forscherin nur zu gerne eine echte Antwort geben würde – statt nur einfache Ja- oder Nein-Signale zurückzusenden. Für Gareth Damian Martin ist diese einseitige Interaktion auch eine Interpretation dessen, „wie wir die Beziehung zu den meisten Videospielcharakteren“ erleben.

„Auch wenn viele Spiele so tun, als wäre das nicht der Fall, sind wir doch in einer sehr begrenzten Art der Interaktion mit den Spielcharakteren gefangen“, sagt Martin. „Ich wollte diese Beschränkung deutlich machen, um die Art der Beziehung zu erforschen, die wir mit einem Charakter haben können, wenn wir nicht in der Lage sind, direkt mit ihm zu sprechen.“ Denn nicht trotz, sondern auch gerade wegen der sehr einseitigen und sehr limitierten Interaktionsmöglichkeit, könnte eine Verbindung zu einer fiktiven Figur erwachsen. Tatsächlich: Obschon die Forscherin nie als Person zu sehen ist, entsteht dennoch ein Bild von ihr vor Augen. Es lässt sich nach- und mitfühlen, was sie erlebt.

Aber auch die außerirdische Naturwelt nimmt mit der Zeit durch die Erzählungen der Xenobiologin, durch geborgene und ausgelesene Logbuch-Einträge und andere Fundstücke allmählich konkrete Form an. Immer greifbarer, farbiger und lebendiger werden die Unterwassergefilde mit ihren flachen, tiefen und zum Teil stockdüsteren Gestaden. Denn sehr bildlich sind die Beschreibungen von Vas und die taxonomischen Analysen, die die Sensoren des Anzugs anfertigen und in einer Datenbank speichern: Bakterien, Pilze und kleine marine Tierchen werden dadurch vorstell- und greifbar. Es sind Korallenstängel wie der Caulis Cautis, dessen Enden im klaren Wasser schimmern. Die Legulus Striatus, kleine quallenartige Kreaturen, die sich mit Wasserspritzern bewegen und nach Pilzsporen schnappen. Dazu kommen Würmer, Krebstierchen, Muscheln oder auch Seeseiden, die mit ihren mal haarfeinen, mal kabeldicken Ausläufern ein lebendes Netz über Felsformationen und durch Sandbänke bilden.

Nach und nach werden selbst die zunächst willkürlich erscheinenden Bewegungen der kleinen Symbole und Punkte verständlich. Sie werden als ein dynamisches Ökosystem begreifbar. „Das zentrale Thema hier ist die Symbiose und eines meiner frühen Ziele war es, die vernetzte Natur allen Lebens widerzuspiegeln, da ich das Gefühl habe, dass das etwas ist, was Spiele sehr selten tun“, sagt Martin. Er habe bei der Ausarbeitung der Flora und Fauna von Gliese 667Cc zunächst einen Lebensraum erdacht und dann mit ersten Lebewesen gefüllt und versucht, daraus zu schließen, welche Beziehungen diese wiederum mit anderen fiktiven Tier- und Pflanzenwesen aufbauen könnten. „Ich habe dafür auch viel über Meeresbiologie recherchiert“, ergänzt der Entwickler. „Und viele der Ideen in In Other Waters basieren auf echten ökologischen Gegebenheiten, die wir in unseren Ozeanen beobachten können – nur habe ich manches davon etwas verdreht oder in die Extreme getrieben.“

Eine spielbare Kurzgeschichte

In Other Waters erscheint auf den Screenshots nicht sonderlich aufregend oder gar spannend. Aber Gareth Damian Martin schafft es mit seinen Beschreibungstexten, der Musik- und Klangkulisse die Wasserwelt vor dem inneren Auge zum Leben zu erwecken. Gliese 667Cc ist kein Planet mehr, der 22,18 Lichtjahre entfernt und damit unerreichbar ist, sondern ein realer Ort, den man besucht und erkundet hat. Martin geizt nicht einfach mit Grafiken oder Spielinhalten, sondern liefert genau so viel, um die außerirdischen Welt in der eigenen Vorstellung entstehen zu lassen. Und auch dessen finsteres Geheimnis, das es natürlich aufzudecken gilt – das aber den Planeten fast noch besonderer macht.

Insgesamt fühlt sich In Other Waters durch all das weniger wie ein klassisches Videospiel an, sondern eher wie eine interaktive Science-Fiction-Kurzgeschichte, die über die Interaktion von Menschen und Maschine, die Ethik des interstellaren Kolonialismus, den Entdeckerdrang der menschlichen Spezies und noch so manches mehr spekuliert. Aber allem voran ist In Other Waters eine durchdachte Blaupause einer faszinierenden Welt, die zwar fremd, aber auch plausibel erscheint. Eine, die man gerne auch noch auf andere Arten und Weisen entdecken würde, weil sie eine so vielfältige, wundervolle und andersartige Flora und Fauna bereithält, die sich letztlich jedoch nicht mal so sehr von der der Erde unterscheidet.

In Other Waters ist für PC und Nintendo Switch verfügbar.

Teaser-Bild: Jump over the Age

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Das klingt ganz wunderbar, @Michael! Als Science-Fiction-Fan bekomme ich große Lust darauf das Spiel zu spielen!

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Sehr gut. Genauso muss das sein : ) Viel Spaß beim Spielen.

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Ein wirklich tolles Spiel - ich habe den Artikel gleich mal meiner Lebensgefährtin geschickt, Sie schreibt gerade an einer Habilitation zu Erzählenden Apps. Einfach ein wunderbares Spiel leider nur für PC, wäre die Gelegenheit Parallels auf dem Mac zu installieren.

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Jetzt stehen Sohn und ich wieder vor der Entscheidung: Switch oder PS4? :wink:

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Jetzt Switch. Und Ende des Jahres die neue PS5 ; )

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