Ein Schweizer Start-up will Lieferungen rund um die Welt so schnell machen wie nie zuvor. Dafür arbeitet es an einer Düsendrohne, die mit sauberem Wasserstoff durch die obere Erdatmosphäre sausen und dabei mit mehrfacher Schallgeschwindigkeit unterwegs sein soll. Irgendwann soll das Flugzeug auch Menschen transportieren.
Von Michael Förtsch
Die Luftfahrt soll wieder schneller werden. Zahlreiche Start-ups rund um die Welt arbeiten an neuartigen Flugzeugen, die die Reisedauer von Kontinent zu Kontinent drastisch verkürzen sollen. Denn seit das legendäre Überschallflugzeug Concorde seinen Dienst einstellte, rückten die Weltstädte wieder weiter auseinander. Statt dreieinhalb Stunden von Paris nach New York braucht es heute acht Stunden. Boom Aerospace, Hermeus und Exosonic sind einige der Unternehmen, die das ändern wollen. Mit Mach 1,5 oder sogar Mach 5 sollen ihre Flugzeuge in wenigen Jahren Passagiere um den Globus transportieren. Doch Mikhail Kokorich ist das nicht schnell genug. Bei weitem nicht. Mit seinem erst Ende 2021 im schweizerischen Vaud gegründeten Unternehmen Destinus – das auch Niederlassungen in München, Madrid und Toulouse hat – arbeitet Kokorich an einem Flugzeug, das deutlich schneller unterwegs sein soll.
Die Menschheit hat schon immer von Geschwindigkeit geträumt.
Mikhail Kokorich
„Die Menschheit hat schon immer von Geschwindigkeit geträumt“, sagt er im Gespräch mit 1E9. Nach der Entwicklung des Düsenantriebs und dem Aufkommen der ersten Passagiermaschinen mit diesem neuartigen Antrieb habe es das Goldenen Zeitalters der Luftfahrt gegeben, in dem zahlreiche Fortschritte und Durchbrüche erreicht wurden. In den letzten Dekaden habe sich jedoch wenig getan. „Wir wollen dieses Goldene Zeitalter zurückbringen, indem wir es den Menschen ermöglichen, innerhalb weniger Stunden an jeden Ort der Welt zu fliegen“, sagt Kokorich. Denn letztlich gehe darum, den Menschen zu ermöglichen, soviel von ihrer Lebenszeit zu nutzen, wie möglich – statt sie in eine Röhre zu sperren, die durch die Luft gleitet.
Das von Mikhail Kokorich und seinem Team erdachte Hyperplane soll vorerst aber noch keine Menschen transportieren. Auch Piloten brauche es nicht. Stattdessen soll es eine voll-autonome Drohne von der Größe eines kleinen Passagierflugzeugs werden, die bis zu einer Tonne Fracht rund um die Welt sausen lassen soll. Und das mit bis zu 15-facher Schallgeschwindigkeit – also rund 18.500 Kilometern pro Stunde. Ein Flug von Frankfurt am Main nach Tokio soll damit in 1,5 Stunden statt 11,5 Stunden möglich sein. Nach Sydney soll es nur 15 Minuten länger dauern.
Um das zu ermöglichen, soll die Drohne in bis zu 60 Kilometer Höhe steigen – in die Thermo- und Mesosphäre, in der ein Beinahe-Vakuum vorherrscht. Dort gibt es kaum Kräfte, die das Hyperplane ausbremsen könnten. Außerdem ist es nur in dieser Höhe möglich, derartige Geschwindigkeiten zu erreichen, ohne dass das Flugzeug durch die Reibungshitze zu schmelzen beginnt.
Die Prototypen fliegen schon
Für Mikhail Kokorich ist sein aktuelles Start-up Destinus nicht das erste ehrgeizige Unterfangen. Der aufgrund seiner Kritik an der Putin-Regierung in Russland als Persona non grata geltende Unternehmer hatte bereits die Satelliten-Start-ups Dauria und Astro Digital mitgegründet. Ebenso startete er 2017 das US-Unternehmen Momentus Space, das unter anderem an intelligenten Satelliten arbeitet, die irgendwann andere Satelliten, aber auch Raumschiffe warten und auftanken sollen. Dessen Leitung gab Kokorich jedoch 2021 ab. Die Gründe? Sicherheitsbedenken von US-Behörden aufgrund seiner noch geltenden russischen Staatsbürgerschaft. Zusätzlich ermittelte die US-Börsenaufsicht gegen Momentus – denn das Unternehmen soll Investoren vor einem geplanten Börsengang falsch über Tests seiner Technologie informiert haben.
Für Kokorich ist das Vergangenheit – und Destinus jetzt die Zukunft. Daher legt er ziemlich Tempo vor. Zwei Prototypen seines Hyperplanes hat Kokorich mit seinem Team schon konstruiert. Der erste hört auf den Namen Jungfrau und ist mit sieben Metern nicht größer als eine Limousine. Im November 2021 hob er für mehrere Minuten auf einem Flugfeld nahe München ab und wiederholte das im Juli dieses Jahres. Mit dem kleinen Flugzeug sollen vor allem Daten über das Flugverhalten des keilförmigen Vehikels gesammelt werden. Diese Form ist zwar für Geschwindigkeiten jenseits der Schallmauer und bei niedrigem Luftwiderstand ideal – Bedingungen, unter denen das Flugzeug weniger fliegt, sondern eher kontrolliert um die Erde fällt. Doch bei „normalen“ Unterschallgeschwindigkeiten ist der Keil eher schwierig zu kontrollieren.
Der zweite Prototyp des Hyperlplane nennt sich Eiger und ist mit rund zehn Metern so lang wie ein Bus. Er absolvierte im April 2022 seinen Jungfernflug bei München– aber legte nach einer „aerodynamischen Instabilität“ eine „harte Landung hin“, wie es Destinus in einem Blogpost umschreibt. Mittlerweile sei der Prototyp jedoch wieder einsatzfähig und soll langfristig als Testbed für die Hard- und Software dienen, die die fertige Drohne irgendwann sicher starten, durch die hohen Höhen lenken und landen soll, um genau solche Abstürze zu verhindern.
Sauberer Flug?
Derzeit sind in beiden Prototypen von Destinus konventionelle Düsentriebwerke verbaut. Mit diesen sind sie zwar vergleichsweise schnell unterwegs, aber von Überschall- oder Hyperschall [also einer Geschwindigkeit jenseits von Mach 5] sind sie mit diesen noch weit entfernt. Doch laut Mikhail Kokorich soll es bis zum ersten Überschallflug nicht mehr lange dauern. Die Vorbereitungen laufen demnach bereits. „Unser Plan ist es, einen ersten Überschallflug im nächsten Jahr zu starten“, sagt er. „Den ersten Hyperschallflug peilen wir für 2024 bis 2025 an.“ In den zwei Jahren darauf soll die erste kleine Hyperschall-Drohne für eine Zertifizierung durch die Behörden bereit sein.
Dabei könnten die Drohnen zunächst noch mit Triebwerken von bekannten Herstellern starten, die bereits etabliert und erprobt sind – ebenso wie bei anderen Überschall-Start-ups. Aber Destinus arbeitet auch an einem eigenen Düsenmotor. „Das Antriebssystem ist das Herzstück eines jeden Flugzeugs“, sagt Mikhail Kokorich. „Wir verwenden das TBCC-Antriebskonzept – Turbine Based Combined Cycle. Dabei handelt es sich um ein Turbinentriebwerk in Kombination mit einem Staustrahltriebwerk.“ Dieses Antriebsprinzip sollte auch bei Hyperschall-Projekten wie der Boeing X-43 zum Einsatz kommen.
Was den Düsenmotor des Hyperplane besonders machen soll ist, dass er keine toxischen Rückstände in der Atmosphäre zurücklassen soll, sondern lediglich Wasser. „Denn, Tatsache, wir bauen ein Hyperschall-Flugzeug, das Wasserstoff als Treibstoff nutzt“, meint der Gründer. Der sei der ideale Treibstoff für solch ein Vehikel. Gekühlt in flüssiger Form sei Wasserstoff kompakt und somit gut für lange Strecken geeignet. Nach Berechnungen der Ingenieure sei der Energieaufwand der Wasserstoffdrohne wohl letztlich sogar niedriger als der eines normalen Flugzeugs auf der gleichen Strecke. Wichtig sei nur, dass sichergestellt wird, dass der Wasserstoff mit Energie aus sauberen Quellen hergestellt wurde.
Ein Zukunftsgerät aus Europa
Aber was soll das Hyperplane nun eigentlich mit solch einer Geschwindigkeit von einem Ort zum anderen schaffen? In einem Promo-Video der Firma ist es ein Spenderherz, das in Windeseile von Spanien nach Malaysia geflogen wird. Dramatisch – und sicherlich eher die Ausnahme als die Regel. Doch auch spezielle Bauteile für die Industrie und High-Tech-Anwendungen, Dokumente und Daten, die nicht durch das Internet gesendet werden sollen, oder auch Luxuslieferungen für Millionäre und Milliardäre soll die Wasserstoffdrohne um die Welt schleppen. Einfach alles, was irgendwie besondere Dringlichkeit hat und für das jemand bereit ist, zu zahlen.
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Jetzt Mitglied werden!Wie Mikhail Kokorich jedoch sagt, sei der Frachttransport für Destinus im Grunde nur ein großangelegter und ausführlicher Test. „Fracht ist ein guter erster Anwendungsfall, an dem wir unsere Technologie erproben und trainieren können“, erklärt der Gründer. „Der Hauptmarkt für uns liegt im Passagiertransport.“ Wie Boom Aerospace, Hermeus und Exosonic wolle auch Destinus letztlich ein Fluggerät bauen, das neben Fracht auch Menschen in kürzesten Zeitspannen rund um den Globus trägt. Nur eben nicht sofort. Wenn es aber so weit ist, soll Destinus noch schneller und sicherer unterwegs sein als die Konkurrenz.
Unser Hyperschallflugzeug in voller Größe wird etwa 100 Meter lang sein und mit Treibstoff und Nutzlast fast 500 Tonnen wiegen.
Mikhail Kokorich
„Unser Hyperschallflugzeug in voller Größe wird etwa 100 Meter lang sein und mit Treibstoff und Nutzlast fast 500 Tonnen wiegen“, kündigt Kokorich an. „Es wird Dutzende von Tonnen an Fracht oder mehr als 300 Passagiere befördern können.“ Dass das noch nach Science Fiction klingt, ist dem Destinus-Gründer bewusst. Aber er ist sicher, dass neue Materialien, Fertigungsmethoden und vor allem ein gutes Team aus Forschern und Ingenieuren das möglich machen werden. „Wir in Europa sind es gewohnt, nicht an uns selbst zu glauben und zu denken, dass große Dinge nur im Silicon Valley oder in China möglich sind“, sagt Kokorich. „Ich glaube, dass das nicht stimmt und dass wir Europäer das große Produkt des 21. Jahrhunderts erschaffen können – das Hyperschallflugzeug.“
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