@Ksheeeep hat mich auf dieses Fundstück aufmerksam gemacht. Es mutet fast unglaublich an wie akkurat David Gerrold vor fast genau 20 Jahren die Zukunft vorhergesagt hat, indem er technologische Entwicklungen antizipiert und die damals schon vorhandene Digitalfunktionalität in ein einziges Gerät projiziert, sowie neue Software Features, with Echtzeitübersetzer und Sprachassistenten, die genug Rechenpower benötigen, erdenkt. Gleichzeitig verspürt er aber auch schon den Pain In The Ass der damit einhergehen sollte.
Die "PITA Agency"
Gerrold nennt dieses Gerät, das wir heute einfach nur als „Handy“ oder vor einigen Jahren noch als „Smartphone“ bezeichneten, PITA: Personal Information Telecommunication Agent!
Dies ist für mich der erste interessante Aspekt: Er verwendet den Kontext der „Agency“ für ein solches Gerät, was weit mehr darstellt als eine „dumme“ Maschine, sondern eine Form von Autonomie vorsieht. „Agency“, so Wikipedia, bezieht sich nämlich auf
the abstract principle that autonomous beings, agents, are capable of acting by themselves; see autonomy
Dass unsere heutigen Pocket-Agents, a.k.a. Handies, auch oder vor allem auch Agenten im Sinne alter Vorstellungen von Spionage sind macht dieser kürzliche New York Times Artikel deutlich:
Die NYT hat Zugang zu Ortungsdaten der Handies von „nur“ 12 Millionen Bürgern in den USA erhalten. Diese kamen nicht mal von einem der großen Techunternehmen des Silicon Valley, sondern von einer von vielen Ortungsdatenfirmen. Über diese Information liest sich das Leben der Handyhalter wie ein offenes Buch für die, die Zugang haben. Eindrücklich ist das im NYT Artikel so beschrieben.
[The data] didn’t come from a telecom or giant tech company, nor did it come from a governmental surveillance operation. It originated from a location data company, one of dozens quietly collecting precise movements using software slipped onto mobile phone apps. You’ve probably never heard of most of the companies — and yet to anyone who has access to this data, your life is an open book. They can see the places you go every moment of the day, whom you meet with or spend the night with, where you pray, whether you visit a methadone clinic, a psychiatrist’s office or a massage parlor.
Unsere Pocket-Agents machen das über die installierten Apps „autonom“ und quasi by default. Das schlimme dabei ist, dass wir der Meinung unterliegen, dass wir, wenn wir PITAs im eigentlichen Sinne des Technology Enablements als personal information and telecommunication agents nutzen wollen, wir keine Wahl haben und Privatsphäre abgeben müssen! Als wäre dies auswegs- oder im Merkel’schen Sinne alternativenlos. Im NYT Artikel dazu dieses Zitat:
“The seduction of these consumer products is so powerful that it blinds us to the possibility that there is another way to get the benefits of the technology without the invasion of privacy. But there is,” said William Staples, founding director of the Surveillance Studies Research Center at the University of Kansas.
Tiny Brother der Datenschwamm, oder Pain In The Ass
Die 12 Millionen Handy-Ortungsdatensätze sind nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was die Location-Data-Industrie täglich an Datenmengen umsetzt. Handies, als „Tiny Brothers“ oder Datenschwämme sind die neue Norm, wie William Staples mit dem Begriff der „everyday surveillance“ treffend formuliert:
“All the companies collecting this location information act as what I have called Tiny Brothers, using a variety of data sponges to engage in everyday surveillance.”
Das Zweite interessante an David Gerrold’s Vorhersage finde ich ist, dass er das Akronym PITA auch in der Bedeutung als „Pain In The Ass“ vorhersieht. Denn, wie er sagt, mit der permanenten Konnektivität wird das was ein jeder als Privatssphäre noch um sich trägt auch verloren gehen.
Es ist schon irre, dass es David Gerrold vor 20 Jahren so glasklar vor Augen hatte, was die Möglichkeiten der Technologie im positiven Sinne bringen werden und was diese gleichzeitig aber auch für den Einzelnen im Negativen bedeuten werden.
Surveillance Capitalism und Opt-Out
Der „Pain In The Ass“ des privatwirtschaftlich irgendwie entstandenen Überwachungssystems hat mittlerweile die Begrifflichkeit des „Surveillance Capitalism“ hervorgebracht und Künstler wie Bill Posters beschäftigen sich prominent damit, wie es zB auf der diesjährigen 1E9 Konferenz zu sehen war (wer Bill Poster’s „Spectre“ noch nicht kenn unbedingt den Anfang des Panel Mitschnitts ansehen):
Gleichzeitig erfreuen sich auch andere Formate wie der Paralelni Polis Hacker Kongress in Prag wachsender Beliebtheit:
Hier ging es heuer unter dem Motto „Opt-Out“ sogar um das systemische Große und wiederum Technologie, die uns eine neue Realität ermöglichen kann:
Use cryptographic technology to regain privacy, to save freedom, to step up from the first constrained realm and to build the second one.
Achieve new freedom using globality and flexibility.
Opt-out of the system!
Ähnlich dem werden Technologien, die Dezentralisierung und Privacy vorantreiben auch gerne als Freedom Technologies bezeichnet. Ein kleiner Eindruck dazu findet sich in diesem Artikel:
Was David Gerrold wohl „im wertesten Hintern heute so spüren“ würde, wenn er im Kopfe ein „second realm“ oder „freedom technologies“ vor Auge hätte?