Während der Wochen des „Lockdowns“ ging durch viele Medien ein Raunen, befeuert von Zukunftsforschern, Philosophen oder einfach nur Menschen mit viel Zeit und noch mehr Hoffnung. Dieses Raunen hatte etwas Utopisches, woran ja erst einmal auch gar nichts schlecht ist. Von der Zäsur war die Rede, der neuen Normalität, der Zeitenwende gar, dem Punkt, von dem ab an die Gesellschaft, ihr Verhalten, ihr Wirtschaften, ja alles sich ändern würde. Verbunden war diese Analyse mit einer oftmals utopischen Projektion eines neuen Miteinanders, denn jetzt würde, nein musste alles besser werden. Mehr Achtsamkeit im Umgang miteinander und mit der Natur – die inhaltlich unzulässige Verknüpfung mit dem Klimawandel zog sich wie ein roter Faden durch viele Beiträge. Weniger Ausbeutung, sozialere Arbeitsverhältnisse, mehr Respekt vor den tatsächlich essentiellen Tätigkeiten, vor allem im Bereich der Gesundheit. Im Ganzen eine solidarischere Gesellschaft, die ihre Prioritäten neu ordnet.
Wie bei vielen Utopien, so haben auch die Verfechter dieses Gedankens die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Die Tatsachen sprechen für sich selbst: vollmundig angekündigte finanzielle Anerkennungen für wichtige Berufsgruppen versanken teilweise fast sofort in zähen Verhandlungen um die Finanzierbarkeit. Die Hoffnung, dass Maßnahmen sozialer Distanz und Achtsamkeit auch bei Lockerungen der Regelungen von selbst eingehalten werden, wurde beim bloßen Blick auf die Szenen mancher Warteschlangen vor Baumärkten und Möbelhäusern ad absurdum geführt. Auch die kurze Einigkeit der Politik in der Bewältigung gemeinsamer Zukunftsfragen – Pandemie, ökonomische Krise, Klima und natürlich immer noch Migration – hielt nur für wenige Wochen, was die Aussicht auf gemeinsame und tragfähige Zukunftsentwürfe eher fraglich macht. Wer die tatsächlichen Konsequenzen von Corona aufmerksam beobachtet, muss sehr schnell ernüchtert zu dem Schluss kommen, dass mit allergrößter Wahrscheinlichkeit die Welt auch nach Bewältigung der Krise im Großen und Ganzen so bleibt, wie sie auch vorher war.
Natürlich werden wir unsere Lehren ziehen, aber diese werden sehr praktischer Natur sein. Mit etwas Vernunft werden wir auf die nächste Pandemie besser vorbereitet sein, die Lager mit dem notwendigen Material füllen, grenzüberschreitende Krisenmechanismen stärken oder überhaupt erst einmal etablieren. Mit Vernunft wie auch Einsicht werden viele Chefs akzeptieren, dass sie den Geist der Digitalisierung nicht mehr zurück in die Flasche stopfen können und die Behauptung, „Home Office“ ginge ja gar nicht, künftig nicht mehr so leichtfertig äußern werden. Der Staat hat den größten Tritt in den Hintern bekommen, die zum Teil flächendeckende Unfähigkeit des Bildungssystems, digitale Bildungsangebote bereitzuhalten und auch richtig zu managen (zwei übrigens voneinander unabhängig zu bearbeitende Aufgaben) ist nur ein Aspekt, der da richtig weh getan hat. Dass Hunderttausende von Beamte beim „Home Office“ tatsächlich nur tatenlos im heimischen Wohnzimmer sitzen durften, weil die Bundesrepublik auf allen Behördenebenen die Digitalisierung kollektiv verpennt hat, ist hoffentlich der lange überfällige Weckruf, daran schnellstens etwas zu ändern. Und möglicherweise wird es zur Mode, zumindest bei einer Erkältung einfach mal aus Höflichkeit eine Gesichtsmaske zu tragen, wie es etwa in Asien schon lange üblich ist.
Aber abgesehen von diesen durchaus wichtigen und unser künftiges Leben möglicherweise zumindest etwas beeinflussenden Veränderungen ist es illusorisch anzunehmen, dass jetzt ein Ruck durch die Gesellschaft gegangen sei und nun alles neu und anders wird. Die Corona-Krise hat mit einem Scheinwerfer ausgeleuchtet, was bei uns nicht gut funktioniert, aber das waren alles Baustellen, die wir schon kannten. Der Elan, diese nun endlich anzugehen, wird einige Zeit nach Bewältigung der Krise wieder erlahmen, und wir dürfen dann schon über kleine Verbesserungen glücklich sein. So in etwa geschah es nämlich auch nach all den anderen Pandemien in der Geschichte, und es gibt keinen belastbaren Hinweis, warum es diesmal anders sein sollte.