Computer-Demos sind jetzt UNESCO-Kulturerbe – und diese Beispiele zeigen, wieso!

Als erste digitale Kunstform ist die sogenannte Demoszene gerade ein immaterielles UNESCO-Kulturerbe in Deutschland geworden. Dahinter steckt die Initiative ‚The Art of Coding‘, die 1E9-Mitglied Tobias Kopka mit ins Leben gerufen hat. Wir gratulieren, schauen uns die Entwicklung der Szene näher an und lassen uns seine Lieblingsdemos zeigen.

Von Krischan ‚X-Bone‘ Lehmann

Wer in den 80ern oder 90ern mit einem Heimcomputer wie dem C64, dem Atari ST oder dem Amiga aufgewachsen ist, kam an Demos eigentlich nicht vorbei. Raubkopien von Computerspielen waren damals die Regel und die ersten Demos waren Markenzeichen, die die sogenannten Crackergruppen an den Anfang ihrer geknackten Spiele als Intro setzten, um sich in der Szene einen Namen zu machen. Zunächst bestanden diese digitalen Graffitis meist nur aus einem Logo, etwas Sound und ein bisschen Text. Mit der Zeit aber wuchsen sie sich zu ihrer ganz eigenen Kunstform aus – der schließlich auf tage- und nächtelangen „Demopartys“ mit zahlreichen Coding-Wettbewerben gehuldigt wurde.

Ein klassisches Cracker-Intro aus den frühen Jahren der Szene – von der dänischen Gruppe „Papillons“, 1988. Von ihren illegalen Wurzeln haben sich die Demogruppen mittlerweile längst emanzipiert.

Es ging darum, die nach heutigem Standard schwachbrüstigen Maschinen an die Grenzen ihrer physikalischen Leistungsfähigkeit zu treiben, weit über die Vorgaben des Betriebssystems hinaus jede technische Möglichkeit zu nutzen, um einen einzigartigen grafischen Effekt zu erzielen, einen bestimmten Klang zu erzeugen oder eine besondere Geschichte zu erzählen. Unter den gestrengen Augen der Peers, im dauernden Wettstreit mit anderen Coder-Gruppen. Und da der Speicherplatz – gerade mal 64 Kilobyte Arbeitsspeicher hatte der danach benannte C64 – stark begrenzt war und ja meist auch das geknackte Spiel beherbergen musste, wurden alle Tricks angewandt, um die Filegröße gering zu halten. „Cool, aber klein“, lautete der olympische Gedanke der Demoszene – was freilich kein Manko war. Gerade die Beschränkung ist ja allzu oft der Motor der Kreativität.

Die Kunst der Verknappung

Noch heute ist der Wettbewerb um die beste 4K(ilobyte) große Intro fester Bestandteil vieler Demopartys. Und Demopartys sind nach wie vor fester Bestandteil einer eigenen Kultur, die sich rund um die programmierten Kunstwerke und die längst aus den Jugendzimmern verschwundene Hardware über die Jahre gebildet hat. „Demos werden nicht einfach nur ins Internet released, obwohl die Szene eigentlich komplett digital ist. Die Partys sind das Herzstück“, erzählt uns Tobias Kopka, Mitgründer der Demogruppe Haujobb und heute einer der engagiertesten Fürsprecher der Demoszene in Deutschland. Mit der Initiative Demoscene – The Art of Coding ist es ihm und seinen Mitstreitern vom Kölner Digitale Kultur e.V. gerade gelungen, die Demoszene als immaterielles UNESCO-Kulturerbe in Deutschland zu verankern – als erste digitale Kunstform überhaupt.

6c-Evoke_Koeln_2014_Foto_Tobias_Kopka-3 Eine enge Gemeinschaft und ein harter Wettbewerb schließen sich in der Demoszene nicht aus: Hier ein nächtlicher Eindruck von der Evoke-Demoparty 2014. (Foto: Tobias Kopka)

Für den von CGI-Effekten aus Hollywood-Filmen und Werbespots verwöhnten Laien dürften viele Facetten der Demokunst verborgen bleiben. Gerade wenn sie auf Geräten läuft, die schon 30 bis 40 Jahre auf dem Buckel haben. Denn die wahre Kunstfertigkeit der Demomacher offenbart sich oft hinter den audiovisuellen Kulissen – im virtuosen Umgang mit Kompressionsalgorithmen und Verfahren zur Generierung von bewegten Objekten und deren Texturen. „Die Königsklasse sind heute ausführbare Dateien in der Größe von eins bis vier Kilobyte, bei denen alle Grafiken, Animationen und Effekte bis hin zum orchestralen Soundtrack rein mathematisch berechnet werden“, erklärt Tobias Kopka. „Da kommt kein 3D-Objekt aus Maya oder 3ds Max.“

Kleiner als ein leeres Word-Dokument: Das vier Kilobyte große PC-Demo ‚Elevated‘ von Rgba & TBC aus dem Jahr 2009 zeigt die ganze Schönheit der Mathematik.

Entsprechend stolz ist Tobias Kopka, dass es seiner Initiative gelungen ist, die Jury der UNESCO von der kulturellen Relevanz der Demoszene zu überzeugen. Weder Videogames, Wikipedia oder YouTube kam diese Ehre bisher zuteil. Ein wesentlicher Faktor dabei dürfte die Beharrlichkeit sein, mit der die Demoszene ihrer Leidenschaft frönt: „Bei uns war nie etwas ‘retro’“, sagt Tobias Kopka schmunzelnd. „Wir haben die Computer seit den 80ern einfach weiter verwendet.“ Jahr um Jahr kommen gerade in Deutschland Demogruppen aus der ganzen Welt zusammen. Die weltgrößte Demoparty „Revision“, die in pandemielosen Zeiten in Saarbrücken stattfindet, feiert vom 2. bis 5. April ihr zehnjähriges Jubiläum.

Eine typisch europäische Kulturform

„Die Demoszene ist eine transnationale Gemeinschaft“, betont der studierte Kulturwissenschaftler. „Aber die Wurzeln sind klar in Europa – was stark mit der Ausbreitung des Commodore 64 zu tun hat.“ Natürlich seien viele Protagonisten der Szene inzwischen mit ihren Maschinen mitgealtert, aber auch die Generation, die mit dem Smartphone sozialisiert sei, könne sich der Faszination der Demopartys nicht entziehen. Ein Umstand, den auch die UNESCO-Jury zu würdigen wusste: "Insbesondere die praxisorientierte und dynamische Weitergabe des generationsübergreifenden Wissens im digitalen Raum betont den lebendigen und zugleich immateriellen Charakter dieser kulturellen Ausdrucksform”, heißt es in der offiziellen Begründung zur Auszeichnung.

Nach diesem großem Erfolg hofft Tobias Kopka auf weiteren Zulauf und hat für 1E9 schon mal einige seiner Lieblingsdemos zusammengestellt und kommentiert. (Eigentlich ist es ja ein kleines Sakrileg, sich die Demos in Form von Youtube-Videos anzuschauen. Idealerweise holt man sich die „Executables“ auf der bekannten Community-Seite Pouet.net und lässt sie auf der Original-Hardware laufen.)

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Eine kleine Auswahl der Lieblingsdemos von Tobias Kopka, Mitinitiator von „The Art of Coding“:

Metamorphosis von ASD

„Eine simple, synästhetische Schönheit in 2,5D aus Griechenland.“

Rove von Farbrausch

„Für ein bisschen Melancholie: das letzte auf der Breakpoint gezeigte Demo, das eine legendäre Party-Reihe in Bingen beschließt. Die Breakpoint war der Nachfolger der Mekka & Symposium und Vorgänger der Revision, und damit traditioneller Teil der Reihe von Oster-Partys, die immer der internationale Höhepunkt des Demoszene-Jahres sind.“

Aether von MFX

„Eine perfekte Synchronizität von Audio und Video Sync. Und ‚true Finnish style‘. Ein Klassiker von 2005.“

EON von The Black Lotus

"Ein Musikstück, das dich nicht loslässt, und ein Meilenstein auf dem Amiga 500 – und das veröffentlicht aus Schweden in 2019! Dahinter stehen die Spieleentwickler von Battlefield, also das Studio ‚Dice‘. "

Intrinsic Gravity von Still

„Für perfekte Übergänge und zeitloses Design, u.a. Berlin 2014.“

Wir sind Einstein von United Force & Digital Dynamite

„Einfach, weil es Spaß macht, von 2010.“

Heaven 7 von Exceed

„Eins der meist gesehenen Demos überhaupt. Auf den ersten Blick wirkt es unspektakulär, war aber im Jahr 2000 ein Meilenstein durch Raytracing in 64 Kilobytes. Setzt sich auch heute noch durch den Soundtrack in der Hirnrinde fest. Mit Grüßen aus Ungarn!“


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Titelbild: Screenshot aus Metamorphosis von ASD

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Und wer ein bisschen tiefer einsteigen will:

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Fundstück von @schaefer: Eine Demo, die nur auf dem C64-Floppy-Drive 1541 läuft.

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