California Forever: Die Tech-Elite des Silicon Valley will eine eigene Stadt bauen

Ein geheimnisumwittertes Unternehmen hat eine riesige Landfläche in Kalifornien aufgekauft. Hinter der Firma stehen Silicon-Valley-Größen und Milliardäre wie Marc Andreessen und Reid Hoffman. Die wollen nun eine eigene Stadt bauen. Aber so einfach ist das offenbar nicht.

Von Michael Förtsch

Es war vielen ein Rätsel. In den vergangenen fünf Jahren kaufte eine ominöse Firma namens Flannery Associates über 210 Quadratkilometer Ackerland und Brachen in Solano County nördlich von San Francisco auf. Die Firma war spendabel. Sie zahlte den Eignern der bislang rund 140 Grundstücke oft das Drei-, Vier- oder sogar Fünffache des Marktwertes. Knapp 800 Millionen US-Dollar hat Flannery Associates bereits investiert. Das merkwürdige Treiben der Firma beschäftigte bald sowohl die Einwohner des kleinen Countys als auch die Behörden. Schon deshalb, weil in direkter Nachbarschaft der Luftwaffenstützpunkt Travis liegt. „Wir sind sehr, sehr besorgt“, sagte etwa John Garamendi, der Vizegouverneur von Kalifornien. Es verbreiteten sich Gerüchte, wonach hinter Flannery Associates wahlweise chinesische oder russische Geheimdienste stecken könnten. Auch Amazon, Google und Elon Musk wurden als Kandidaten gehandelt. Mittlerweile ist das Rätsel gelöst.

Die New York Times enthüllte Ende August, dass sich hinter der obskuren Firma namhafte Silicon-Valley-Größen und Milliardäre zusammengefunden haben. Ihr Ziel: Auf dem zusammengekauften Land eine eigene Stadt errichten. Zu den Geldgebern von Flannery Associates zählen unter anderem der LinkedIn-Co-Gründer Reid Hoffman, der Investor Marc Andreessen, der ehemalige Github-Chef Nat Friedman oder auch Laurene Powell Jobs, die Geschäftsfrau und Witwe von Steve Jobs. Geleitet werden die Geschicke des Unternehmens wiederum vom ehemaligen Goldman-Sachs-Spekulanten Jan Sramek.

Sramek und die Mitarbeiter des Unternehmens sollen teils aggressiv vorgegangen sein, um die zahlreichen Grundstücke zu akkumulieren. Wollte ein Bauer einen Hof in Gemeinschaftsbesitz nicht verkaufen, hätten sich Vertreter von Flannery Associates an andere Familienmitglieder gewandt und Druck aufgebaut. Intrigant und verschwörerisch wie in Game of Thrones seien die Verhandlungen abgelaufen, zitiert der San Francisco Chronicle einen Landwirt. Familien und Nachbarn hätten sich daher zerstritten. Der Aufkauf der Ländereien habe sich wie „eine feindliche Übernahme“ der Gemeinden angefühlt.

Die Enthüllung der Köpfe hinter und der Ziele von Flannery Associates sorgten zwischenzeitlich für Aufsehen, Verunsicherung und Wut. Nicht zuletzt, weil sich die Einwohner und politischen Entscheider von Solano County überrumpelt, getäuscht und hintergangen fühlen. Der Kreisverwalter Bill Emlen erklärte etwa, ihm sei nach Rückfragen „vor einer ganzen Weile“ versichert worden, dass Flannery Associates auf den Grundstücken die Tierzucht und landwirtschaftliche Bewirtschaftung weiterführen wolle. Die Firma wolle in familiär geführte Betriebe investieren. Dabei sei in Wahrheit das komplette Gegenteil der Fall. Das sei „kein guter Ausgangspunkt“ für eine mögliche Zusammenarbeit, so Emlen. Der Kongressabgeordnete John Garamendi bezeichnete das Vorgehen der Firma sogar als „abscheulich, geheimniskrämerisch und schrecklich“.

Eine Stadt als Ventil für San Francisco

Was Flannery Associates und seine Geldgeber planen ist, wie die New York Times enthüllte, eine „Stadt mit Zehntausenden von neuen Wohnungen, großen Solarfarmen, Obstgärten mit über einer Million neuer Bäume und über zehntausend Hektar neuer Parks und Freiflächen“. Denn es brauche eine Alternative zum überlasteten San Francisco und dessen Bay Area, der Heimat zahlreicher Start-ups, etablierter Technologiekonzerne, Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen und Kreativbetrieben. Die Stadt und ihre Ausläufer seien in den vergangenen Jahren zunehmend weniger lebenswert geworden – und teurer. Die Lebenshaltungskosten in San Francisco liegen inzwischen 25 Prozent über dem kalifornischen Durchschnitt. Die Kosten für den Kauf eines Hauses oder die Miete für eine Wohnung stiegen auf über 200 Prozent über dem US-Durschnitt, so RentCafé. Die florierende Tech-Branche ist daran keineswegs unschuldig.

Sowohl Unternehmen wie Einwohner kritisieren die Stadtführung, weil zu wenig Wohnungen gebaut und Baugenehmigungen erteilt werden. Auch der Umgang mit Kriminalität und Obdachlosigkeit, das Aussterben der Innenstädte und der Leerstand von Bürogebäuden werden beklagt. Das noch namenlose Stadtprojekt soll daher ein Ventil für San Francisco schaffen – und Druck vom Häuser- und Wohnungsmarkt der 7-Millionen-Einwohner-Metropole nehmen. Außerdem soll es einen Gegenentwurf schaffen. Das hat mittlerweile auch California Forever bestätigt, die bislang unbekannte Muttergesellschaft von Flannery Associates, die jetzt auf einer gleichnamigen Website die Ziele für Solano County ausführt.

Nachdem „verständlicherweise Interesse, Besorgnis und Spekulationen“ aufgekommen seien, so heißt es dort, solle nun der Dialog mit den Bewohnern und Entscheidungsträgern des Landkreises gesucht werden. Laut California Forever sei „das Gebiet im östlichen Solano County bereit für eine neue Gemeinde“. Und zumindest laut den Befragungen, die das Unternehmen insgeheim durchgeführt habe, wären auch viele der Einwohner des Countys dafür – irgendwie jedenfalls. Rund 81 Prozent der Eltern wären etwa der Ansicht, dass sich ihre Kinder in ihrer eigenen Nachbarschaft kaum eine Zukunft aufbauen könnten.

Für immer Kalifornien

Was Flannery Associates beziehungsweise California Forever nun versprechen, ist, die gut bezahlten Jobs und die moderne Industrie des Silicon Valley in das derzeit hauptsächlich von einer schrumpfenden Agrarwirtschaft geprägte Solano County zu bringen. Und damit auch die Ressourcen, um eine moderne Infrastruktur aufzubauen. Allem voran soll jedoch viel und erschwinglicher Wohnraum geschaffen werden, inklusive einer schnellen Verkehrsanbindung an die Ballungsgebiete im Süden und den Rest der USA. „Anstatt zuzusehen, wie unsere Kinder abwandern, haben wir die Möglichkeit, eine neue Gemeinde aufzubauen“, so die Website von California Forever. Solano sei „in der glücklichen Lage“ genau die richtigen Voraussetzungen und den geographisch passenden Standort für ein solches Projekt zu bieten.

Die – offenbar mit KI-Bildgeneratoren geschaffenen Bilder – auf der Website zeigen Hügel, Wälder, Felder und darin eine idyllische Kleinstadt im viktorianischen Stil, wie er in San Francisco zu finden ist. Dazwischen dörflich angehauchte Platze, Flüsse, Seen und Handwerker, die eine Solaranlage montieren. Eine idyllische Gemeine schwebt den Machern also vor – eine Stadt, die kleinstädtische Sicherheit und Atmosphäre bieten soll und in der alles zu Fuß zu erreichen ist. Um das umzusetzen, hat California Forever nach eigenen Angaben bereits ein „Team von Weltklasse“ aus den Bereichen Architektur, Stadtplanung, Infrastruktur, Design und Mobilität rekrutiert. Dennoch: Wie und ob der gigantische Plan überhaupt umsetzbar ist, ist noch fraglich.

Eine Stadt bauen? Keine leichte Sache!

Einfach damit beginnen, eine Stadt zu bauen, ist auch für eine Gruppe von Millionären und Milliardären nicht möglich. All die Grundstücke, die die Investoren mit ihrer Firma aufgekauft haben, sind laut dem hiesigen Raumordnungsgesetz für die landwirtschaftliche Nutzung gedacht, nicht für eine Stadtentwicklung mit Wohn-, Industrie- und Gewerberäumen. Daher müsste eine Umwidmung durchgesetzt werden. Das ist in Kalifornien und vielen seiner Countys nur sehr schwer zu erreichen, wie Medien seit Jahren berichten und kritisieren. „Unsere Politik sieht vor, dass großflächige Wohnbebauung in den Städten stattfindet“, wird daher auch Kreisverwalter Bill Emlen zitiert. Städtische Gebiete sollen also dort geplant werden, wo schon Städte sind.

Jedoch will California Forever nicht überall einfach bauen. Stattdessen sollen in und um die geplante Stadt großflächig Äcker, Felder und Wälder als grüne Zonen und Gürtel erhalten bleiben. Wohl auch, wie einige Kommentatoren anmerken, da Flannery Associates bisher eher einen Flickenteppich statt einer zusammenhängenden Fläche an Grundstücken erworben hat. Nachdem nun bekannt ist, wer und wieviel Geld hinter dem Projekt steht, könnten sich viele noch zögernde Landeigner gegen einen Verkauf entscheiden oder deutlich höhere Preise einfordern. Flannery Associates hatte übrigens bereits gegen mehrere Landbesitzer geklagt, weil sich diese bei den Preisen abgesprochen haben sollen.

Eine weitere Hürde für das ambitionierte Projekt ist, dass „die glückliche Lage“ der geplanten Stadt nicht so ideal ist, wie von den Möchtegern-Stadtbauern propagiert wird. Vielmehr sei das Projekt mit vielen Herausforderungen konfrontiert, insbesondere was die Wasserversorgung betrifft. Denn die östliche Region von Solano County verfügt nur über magere Grundwasserreserven, wie die Solano County Water Agency attestiert. Nicht genug, um eine neue Stadt zu versorgen. Ohnehin wird eine zuverlässige und günstige Wasserversorgung in immer mehr Teilen der USA zum Problem. Für Debatten sorgte gerade erst die Lage im US-Bundesstaat Arizona, dessen Grundwasser zur Neige geht. In mehreren Städten genügt es nicht mehr, um den Bedarf einer wachsenden Bevölkerung zu decken. Daher erwägt der Bundesstaat ein aufwendiges und milliardenschweres Projekt, um entsalztes Meerwasser über Hunderte Kilometer aus Mexiko zu importieren.

Doch zurück nach Solano County: Wie California Forever auf der Website des Projektes eingesteht, müsse die Versorgung mit Trinkwasser für die geplante Stadt wohl mit einer Erweiterung des North Bay Aqueduct gesichert werden. Dabei handelt es sich um eine Pipeline, die Wasser aus dem San Joaquin River Delta an derzeit 500.000 Einwohner verteilt. Das könnte allerdings zu wenig sein. Wie auch andere Reservoirs ist das Delta vom Klimawandel betroffen. Der Wasserstand sinkt vor allem in den Sommern dramatisch. Dazu kommt, dass im Jahr 2021 eine Barriere errichtet werden musste, um das Einströmen von Salzwasser zu unterbinden, das die Trinkwasserversorgung gefährdete.

Daher wären wohl zusätzliche Quellen und andere Wasserbeschaffungsmaßnahmen notwendig, um eine völlig neue Stadt mit Tausenden von Einwohnern, Industrie und Gewerbe zu ermöglichen. „Natürlich können wir das Problem der Trinkwasserversorgung […] nicht allein lösen“, heißt es von California Forever dazu. „Aber wir wollen Teil einer größeren Lösung sein, um sowohl die bestehenden Städte als auch unser Projekt mit sauberem und zuverlässigem Wasser zu versorgen.“

Große Skepsis

Die Skepsis gegenüber den Stadtplänen der Silicon-Valley-Reichen ist groß. Es werden Umweltschäden, eine Vertreibung der ursprünglich ländlichen Bevölkerung und eine Verknappung von Ressourcen befürchtet. Aber auch, dass die privaten Stadtentwickler die neue Gemeinde zu einem Testareal ihrer Unternehmen machen. Es könnten selbstfahrende Fahrzeuge und Drohnen auf die Einwohner losgelassen werden, bevor sie als sicher gelten, oder eine Smart-City erwachsen, in der keine Privatsphäre und kein Datenschutz herrschen. Catherine Moy, die Bürgermeisterin der County-Verwaltung Fairfield, hat angekündigt, gegen das Projekt vorzugehen und mit Gleichgesinnten einen „Verteidigungsplan“ aufzustellen. Wie viele kritisiert sie das Vorgehen der Unternehmer und fürchtet einen negativen Einfluss auf das County.

California Forever verweist jedoch darauf, dass alte, regionale Entwicklungspläne bereits vor Jahrzehnten „zu dem Schluss [gekommen sind], dass im Osten von Solano neue Industrien und Gemeinden aufgebaut werden könnten, um unsere Region erschwinglich, wohlhabend und ausgeglichen zu halten“. Insbesondere müsse eine Möglichkeit her, „einige der Belastungen im Silicon Valley zu lindern, die wir alle spüren“, wie Michael Moritz, einer der Investoren von Flannery Associates, gegenüber der New York Times sagte. Die neue Stadt sei eine dieser Möglichkeiten.

Neben all der Kritik hat das Konzept durchaus auch Fürsprecher. Die angesprochenen Probleme in und um San Francisco und das ganze Silicon Valley sind real und sichtbar – und die wirtschaftlichen Chancen für die Region nicht zu verleugnen. Von California Forever heißt es daher, dass man sich auf einen ausführlichen Dialog mit der Region einlassen will. Es solle ein Rat aus Bürgern gebildet werden, um das Projekt zu begleiten. Dabei will man Kritik, Anregungen und Ideen einsammeln. Außerdem müsse eine Entwicklung wie die Planstadt von California Forever von den Einwohnern des Countys in einer Abstimmung genehmigt werden. „Wir unterstützen diese Grundsätze voll und ganz“, so die Projektwebsite. „Wir werden die Wähler letztendlich bitten, das Projekt gutzuheißen.“

Andere Städte?

Dass sich Silicon-Valley-Größen an einer eigenen Stadt versuchen wollen, ist nicht neu. Der frühere Facebook-Investor und Palantir-Gründer Peter Thiel investierte einst in das 2008 gestartete und auch heute noch bestehende Seasteading Institut, das Möglichkeiten entwickeln wollte, von nationalen Gesetzen unabhängige Siedlungen auf Plattformen in internationalen Gewässern zu errichten. Mit Sidewalk Labs hatte Google 2015 eine Firma eröffnet, die das urbane Leben mit technischen Hilfsmitteln und Digitalisierung transformieren und effizienter gestalten sollte. Dafür sollte ein Stadtteil von Toronto, Kanada zum Testareal erklärt werden. 2020 wurde das Toronto-Projekt jedoch eingestellt, Sidewalks Labs existiert jedoch weiter.

Und der Bitcoin-Millionär Jeffrey Berns wiederum kaufte 2018 ganze 268 Quadratkilometer Wüstenland in Nevada, um dort eine Blockchain City zu starten. Es soll eine vollends digitalisierte und smarte Stadt werden, die natürlich auch auf Kryptowährungen, Blockchains und Smart Contracts aufbauen soll. Seit der Ankündigung hat sich jedoch wenig getan. Ähnliches gilt für Bill Gates Stadtutopie. Der Microsoft-Gründer hatte bereits 2017 ein großes Grundstück nahe Phoenix, Arizona erworben, um eine Stadt für 80.000 Einwohner zu errichten, die von Beginn an auf Digitalisierung, Automatisierung und Nachhaltigkeit setzen solle.

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Bereits bewohnt wird hingegen Próspera beziehungsweise St. John’s Bay, eine Gemeinde, die in einer Sonderentwicklungszone auf der Insel Roatán in Honduras errichtet wurde. Ihr Gründer ist der ehemalige Seasteading-Aktivist Patri Friedman, einer der Investoren Peter Thiel. Próspera wird nicht von einer gewählten Regierung gelenkt, sondern vom Unternehmen Pronomos Capital und einem Rat. Wer dort wohnen will, muss einen Mitgliedsbeitrag und eine Einheitssteuer von 10 Prozent, aber sonst keine Gebühren entrichten. Aufgrund der intransparenten Praktiken, der Ablehnung der honduranischen Rechtsprechung und kolonialer Praktiken ist Próspera jedoch hochumstritten. 2022 hatte Próspera gegen Honduras geklagt, da rechtliche Grundlagen annulliert wurden, die die libertäre Gemeinde ermöglichen.

Ebenso real, wenn auch rudimentär ist Snailbrook, Texas. Hinter diesem Stadtprojekt nahe Austin steht Elon Musk – und auch seine Ex-Freundin Claire Boucher alias Grimes sowie der Oracle-Chef Larry Ellison sollen involviert sein. Derzeit besteht Snailbrook aus einigen schmalen Straßen, ein paar Bungalows, einer Sporthalle samt Fußballplatz unweit mehrerer Hallen, die zu SpaceX gehören. Denn leben sollen in dem „texanischen Utopia entlang des Colorado River“ vor allem die Angestellten der Musk-Firmen – und das auch nur so lange, wie sie dort arbeiten.

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