Bremst politisches Mikromanagement die deutschen Innovationsagenturen SPRIND und DATI aus?

Staatlich finanzierte Agenturen sollen Deutschland wieder innovativ machen. Doch der ehemalige Spitzenpolitiker und Topmanager Thomas Sattelberger bezweifelt, dass SPRIND und DATI ähnlich erfolgreich sein können wie ihre amerikanischen Vorbilder. Denn die Bundesregierung wolle ihnen nicht die dafür nötige Freiheit geben, die er in seiner Zeit als Staatssekretär im Forschungsministerium vorgesehen hatte.

Ein Gastbeitrag von Thomas Sattelberger

Die amerikanische DARPA gilt – abgesehen davon, dass sie Technologien mit militärischer Relevanz im Blick hat – auch in Deutschland als großes Vorbild. Hat die Forschungsagentur des US-Verteidigungsministeriums doch Innovationen vorangetrieben, ohne die es das Internet, die moderne Robotik und Fortschritte im Bereich KI so nicht gegeben hätte.

Mit einigen Jahrzehnten Verspätung gönnte sich der Bund 2019 die SPRIND, die Bundesagentur für Sprunginnovationen. Sie soll visionäre und disruptive Forschungsideen identifizieren und ihre Weiterentwicklung und Kommerzialisierung finanzieren. Bis Ende 2023 wurde sie allerdings massiv gehemmt von Bürokratie und zu wenig Geld. Hier hat die Ampel inzwischen etwas nachgeholfen – mit ein bisschen mehr Geld und etwas mehr Freiheit. Mit der DATI, der Deutschen Agentur für Transfer und Innovation, steht außerdem eine weitere Organisation des Bundes in den Startlöchern, die dazu beitragen soll, dass Forschung endlich schneller zur Anwendung kommt. Mit der Förderlinie DATIpilot läuft bereits seit 2023 ein Förderprogramm für Innovation und Transfer, mit dem Erfahrungen für die spätere Agentur gesammelt werden sollen.

Aber werden die beiden Agenturen wirklich so arbeiten können, wie sie es müssten, um den Innovationsstandort Deutschland voranzubringen?

Im Augenblick jubilieren viele ob des sogenannten Freiheitsgesetzes für die SPRIND und ob der überzeichneten Pilot-Förderlinie der DATI. Dabei lassen sie außer Acht, dass die EFI-Kommission – die Expertenkommission Forschung und Innovation – wiederholt kritisiert hat, dass durch die Aufrechterhaltung der ministeriellen Fachaufsicht die mikropolitische Kontrolle über die SPRIND erhalten bleibt. Und ich erwarte ein noch restriktiveres Vorgehen beim Freiheitsrahmen für eine DATI. Daran ändert auch die Freude einiger über die „Innovationssprints“ und „Innovationscommunities“ im Rahmen von DATIpilot nichts. In angespanntester Haushaltslage sind sie nichts anderes als „panem et circenses“ für die Forschungswelt.

Tanker oder Schnellboote: Es geht um politischen Dirigismus versus autonome Agenturmodelle

Fast unterm Radar begann schon Anfang des Jahrzehnts eine Strategiedebatte zwischen zwei renommierten Innovationsstrategen, interessanterweise zwischen dem alten und dem neuen EFI-Vorsitzenden, zwischen Dietmar Harhoff, Direktor des Max-Planck-Instituts für Innovation und Wettbewerb, und seinem Nachfolger Uwe Cantner, VWL-Professor an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Zentrale Frage der Debatte war, wie man Bürokratie so bändigen könne, dass in diesem Lande eine andere Qualität von Innovation möglich würde.

Harhoff plädierte etwa am 11. Mai 2021 in der Zeit und dann wieder am 12. Juli 2022 im Handelsblatt dafür, gut abgrenzbare Innovationsaufgaben aus verkrusteten ministeriellen Organisationen auszulagern, und zwar nicht in die Projektträger, die sich längst kulturell den Ministerien angepasst hätten, sondern in viele neue Agenturen.

Ohne es so zu benennen, vertrat Harhoff die Position der strukturellen Ambidextrie, wie sie von US-amerikanischen Wissenschaftlern wie Robert B. K. Duncan (Northwestern Kellog University), Michael Tushman (Harvard), Charles A. O’Reilly (Stanford) und James G.March (ehemals Stanford) entwickelt wurde. Sie bedeutet nicht nur inkrementelle Verbesserung, Effizienzsteigerung und Optimierung bestehender Prozesse, Strukturen und Kulturen in der bisherigen Organisation (Exploitation), wie sie Uwe Cantner vorschlägt, wozu wir gleich kommen, sondern zusätzlich Experimentieren und Agilität in neu geschaffenen Strukturen, um dadurch Innovation zu ermöglichen (Exploration): quasi duale Strukturen.

Hingegen schlugen Cantner und sein EFI-Team am 24. September 2021 anstelle des Denkens in neuen Agenturen folgendes vor: „Viel wichtiger sind eine grundlegende agilitätsorientierte Reform der Strukturen und Prozesse in Ministerien und Verwaltung sowie ein verändertes Mindset“.

Die SPRIND war für die EFI wegen ihres potenziell disruptiven Charakters noch eine begründbare Ausnahme. Weitergehende Ansätze wie die DATI lehnte sie ab, weil es für die Innovationen, die sie vorantreiben soll, bereits projektbezogene Förderung gäbe. Und erst recht sollte es keinen Prototyp für weitere neue, anti-bürokratische Strukturplattformen geben, obwohl diese doch strukturpolitische Alternativen zum jahrzehntelangen Marsch durch die öffentliche Verwaltung wären.

Während die alte Organisation meist durch hierarchische Strukturen, Formalisierung, strukturierte Routineprozesse und klassische Arbeitsmethoden geprägt ist, verlangt Exploration autonome und risikotolerante Start-up-ähnliche Strukturen, geprägt von einem experimentellen Vorgehen und iterativen, agilen Prozessen – also Innovationsermöglichung in Schnellbooten statt in Tankern. In der Tech-Ökonomie inzwischen Selbstverständlichkeit, im deutschen Wissenschafts-System eine Unbekannte.

Warum ich die Position der EFI für falsch halte – und eine „Entmachtung der Ministerialbürokratie“ für notwendig

Die EFI sorgt sich, dass ausgelagerte Agenturen die Politik ihrer Verantwortung und ihrer Handlungsspielräume für die Forschungs- und Innovationsstrategie berauben würden. Dieses Argument wird offensichtlich von der US-amerikanischen Politik nicht geteilt. Dort entscheiden Agenturen wie die National Institutes of Health, die NASA oder die schon genannte, berühmte Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA) in Autonomie. Übrigens ähnlich wie Agenturen in Schweden, der Schweiz oder Großbritannien.

Ich empfehle der EFI-Kommission den über 15 Jahre alten Buchbeitrag „Über die Veränderbarkeit des Seins: Scheitern Verwaltungsreformen?“ von Heinrich Reinermann, emeritierter Professor der deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer. In diesem Beitrag werden zentrale verwaltungsreformerische Herausforderungen, ja Paradoxien beschrieben – von der Unberechenbarkeit der Handlungen politischer Akteure, den Bruchstellen bei Regierungswechseln, der Überbewertung von Sachinformationen im Politikdiskurs bis hin zur Komplexität und dem langen Dauern von Paradigmenwechseln in versteinernden Systemen.

Der Bildungsjournalist Jan-Martin Wiarda schrieb 2021 in seinem Blog, dass das Zauberwort einer neu strukturierten Forschungspolitik nicht allein „Agenturen“, sondern vor allem „Entmachtung der Ministerialbürokratie“ hieße. Er beschrieb, wie Beamten mit Argusaugen über „ihre“ Forschungsorganisationen wachten, dass es um Sicherung ihres persönlichen Einflusses ginge, im Zweifel auch im Kampf der Ministerien gegeneinander. Und um die Minimierung ihrer eigenen Risiken! Er wünscht sich geradezu Forschungsorganisationen frei von ministeriellen Machtspielchen als „Vision am Reißbrett“. Doch leider taucht diese Vision in seinen weiteren Blogposts und Kolumnen nicht mehr auf.

Die EFI hat nicht einmal diese Vision. Stattdessen postuliert sie ein technokratisches Systemverständnis, welches nur neue Strukturen und Prozesse der Forschungskoordination und Zentralisierung in der Steuerung vorsieht. Verbunden wird dies mit dem geforderten Wandel im Mindset, den man immer dann bemüht, wenn einem nichts anderes mehr einfällt. Statt die Psychologie politischer Macht zu verstehen, versieht sie deren Akteure mit dem Mythos des ‚homo rationalis’.

Und was die Exekutive betrifft: Es ist die hohe Risikoaversion des Apparates, der die Konsequenzen einer fehlerhaften Genehmigung sehr viel mehr fürchtet als die einer fehlerhaften Untersagung. Und es ist die Überschätzung der Risikofreude von Menschen, die bei sehr hoher Arbeitsplatzsicherheit relativ gering verdienen.

Ein Denkfehler kommt bei der EFI dazu – oder: Freiheit für Menschen und Agenturen!

„Die Expertenkommission befürchtet durch die Gründung zusätzlicher Agenturen mit Verwaltungsaufgaben eine Doppelung der bereits bestehenden institutionellen Kapazitäten zur Administration von F&I-Förderprojekten“. Eigentlich hätte die Kommission nicht nur die Kapazitäten bei den Projektträgern, sondern auch die in Ministerien und Ressort-Forschungseinrichtungen mitdenken müssen. Doch wie werden aus öffentlich Bediensteten in Tankern agile Teams in Schnellbooten?

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Innovating Innovation : Zu meiner Zeit als Personalvorstand bei der Deutschen Telekom hatte die Firma unter ihren rund 150.000 deutschen Beschäftigten circa 40.000 Beamtinnen und Beamte. Gleichzeitig musste dieser Personalkörper die Hauptlast der Transformation tragen. Personalpolitisch gelang dies, indem die Beamtenschaft „in sich beurlaubt“ war. Die beamteten Mitarbeiter behielten zwar ihren Beamtenstatus, hatten aber die von den allermeisten wahrgenommene Option, einen privatrechtlichen Vertrag mit der Firma zu schließen, mit allem, was damit zusammenhing: Zielvereinbarungen, Performance Management, variable Vergütung nach Zielerreichung, Einbettung in das Karrieresystem. Und beide Seiten konnten dies rückgängig machen.

Wie spannend wären autonome Agenturen des Bundes zu zwei Dritteln rekrutiert aus „in sich beurlaubten“ Angehörigen des öffentlichen Dienstes und zu einem Drittel aus Angehörigen des privaten Sektors! Also keine Doppelkapazitäten, sondern organisatorische Verlagerung personeller Kapazitäten.

Dass die Politik selbst vor härteren Lösungen nicht zurückschreckt, hat sie erst jüngst deutlich gemacht, als sie anstelle des Projektträgers Arbeitsgemeinschaft für industrielle Gemeinschaftsforschung (AiF) das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) mit der Projektträgerschaft für das Förderprogramm Industrielle Gemeinschaftsforschung (IGF) betraute. Betriebsbedingte Kündigungen bei der AiF waren die Folge.

Egal wie, Strukturpolitik und Personalpolitik gehören zusammen zu einer innovativen Innovationspolitik: die strukturpolitische Schaffung autonomer Agenturen ohne Fachaufsicht, sondern nur in Rechtsaufsicht gekoppelt mit einer personalpolitischen Lösung der „In-Sich-Beurlaubung“ ist die ideale Lösung für die Förderung von Innovation in diesem Lande. Freiheit für Menschen und Organisationen! Mit SPRIND und DATI anfangen. Längst überfällig.

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Lieber @t.sattelberger, ich stimme Dir und Dietmar Harhoff zu :100: Prozent zu. Das sind genau die Schlüsse, die ich nach >10 Jahren eigener intensiver Beobachtung, Begleitung und Beratung der Innovationspolitik in Deutschland auch ziehe. Veränderung ist möglich – und dringend nötig.

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