Atommüll-Endlager --> ist das wirklich nötig?!

Hallo 1E9-Community,
ich dachte von den vorhandenen Themen passt Endlager am besten zur „Nachhaltigkeit“
Bin grad mal wieder über einen Artikel zur Endlager-Suche gestoßen und möchte anregen, daß sich einer der Journalisten unter Euch mal mit futuristischem Blick des Themas annimmt.

Ich habe noch nie die Grundannahme verstanden, warum man Atommüll zentral für Jahrtausende mit Riesenaufwand möglichst tief unter die Erde bringen muß. Und wenn man ihn dann nicht ständig im Blick hat, kommt so was wie Asse dabei raus.

Mein Vorschlag wäre, den Müll bewußt nochmal 50 Jahre mit bestmöglicher Überwachung in den Zwischenlagern zu lassen und schauen, was der Stand der Technik dann ermöglicht.

  • Könnte die Raumfahrt bis dahin so sicher und günstig sein, daß man den Atommüll einfach in die Sonne fliegt?
  • Könnte es neue Entsorgungstechniken geben, die die Reststrahlung auf ein unbedenkliches Niveau bringen?
  • Könnte es sogar neue und konsensfähige Nutzungsmöglichkeiten geben wie neulich britische Forscher es publizierten?

Ein Gegenargument ist, daß wir nach einem Zusammenbruch unseres Staates oder gar unserer Zivilisation nicht mehr in der Lage sind, das Freisetzen von Strahlung zu verhindern. Doch wenn so eine Katastrophe passieren sollte, wird dann etwas Atommüll wirklich noch ins Gewicht fallen? Es ist anzunehmen, daß unsere - dann primitiven - Nachfahren im Lauf der Jahrhunderte merken , daß die betroffenen Gegenden ungesund sind und sie als Wohngegend meiden würden.

was meint Ihr? LG, Stefan

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Oh, sehr spannendes Thema! Danke für die Anregung, @exploredesign! Atommüll in die Sonne schießen… der Sache würde ich gerne mal auf den Grund gehen. Ist hiermit notiert. Hat vielleicht noch jemand Input zum Thema?

Die Republik aus der Schweiz hat vor ein paar Monaten mal auf die neuen Entwicklungen rund um Atomkraft geschaut. In einem Abschnitt des Artikels ging es auch um neue Reaktoren, die wohl mehr Energie aus einzelnen Brennstäben ziehen können, als die „klassischen“ Reaktoren. Allerdings war ich nach dem Lesen nicht ganz schlau, ob man diese neuen Reaktoren auch mit Brennstäben betreiben könnte, die derzeit als „Müll“ gelagert werden. Werde ich nochmal nachprüfen… Aber definitiv ein lesenswerter Text:

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Hallo Wolfgang,
Danke daß Du es gleich aufgegriffen hast.
„Zur Sonne“ klingt irgendwie nach einer endgültigeren Lösung als „zum Mond“, sonst muß man dauernd an den Plot von Mondbasis Alpha denken…

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Ein langanhaltendes Thema – für etwa 1 Million Jahre. In der Schweiz ist die Nagra (Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle) dafür zuständig, da laut Kernenergiegesetzt «die radioaktiven Abfälle von ihren Verursachern entsorgt werden» müssen.

Ich halte es für sinnvoll und richtig, dass die Unternehmen, die die Kernenergie kommerziell nutzen auch zeitgleich die Verantwortung für entstehende Konsequenzen wahrnehmen. Somit müssen sie sich im Hier und Jetzt um eine Lösung bemühen und diese nicht den nächsten Generationen überlassen. Nicht zuletzt da diesen ohnehin zu viel zugemutet wird.

Die Nagra vertritt die Ansicht, dass Raketenstarts zu hohe Risiken bergen. Hochaktives Material, das bei einem unvorhergesehenen Unfall in der Atmosphäre freigesetzt würde, wäre «verheerend». Auch meine vergleichsweise marginale Lebenserfahrung, lässt mich vermuten, dass man eigentlich niemals 100% sicher sein kann (sein wird?!). Daher würde ich eine Lösung favorisieren, die unserer gegenwärtigen Verantwortung versucht gerecht zu werden, aber auch in Zukunft reversibel ist. So sollte m.E. ein Tiefen- oder Endlager zum einen nicht in Vergessenheit geraten und zum anderen zugänglich bleiben, um die Möglichkeit einer besseren Lösung, Technologie oder Umnutzung aufrecht zu erhalten.

Ersteres mutet jedoch als fast übermenschliche Aufgabe an. Denn welche Sprache, welche Schrift oder welche Kultur könnte die Zeitspanne von Hundertausenden von Jahren überdauern? Wir kennen heute kaum die Komplexität der Kulturen vor mehr 10 000 Jahren, geschweige denn von früheren. Es gibt etwa 40 000 Jahre alte Steinritzungen von Neandertalern in der Höhle von Gibraltar, aber was sie wohl genau bedeuten?

Eine primitive Gesellschaft in einer fernen Zukunft, die von den Hinterlassenschaften der Vergangenheit nichts weiss, wird an die Oberfläche tretende Radioaktivität nicht unbedingt registrieren oder detektieren können. (Noch-)Mensch und Natur würden kontaminiert von einer Substanz, die in gewissen Mengen, nicht sofort tödlich oder wahrnehmbar ist. Aber wir würden unsere Nachfahren nachhaltig massiv schädigen. Ich erinnere mich als ich als kleines Kind kurz nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl nicht mehr in den Garten durfte. Warum war mir unbegreiflich, denn es war draussen vermeintlich alles wie immer, und das Gift war unsichtbar. Aber Europa hatte Angst vor der radioaktiven Wolke und ihren Langzeitfolgen. Aber nur, weil die Nachrichten aktuell davon berichteten.

Für die Zeit, in der keine Nachrichten mehr berichten werden, macht man sich Gedanken – der Begriff dazu lautet Atomsemiotik. Die NZZ berichtete kürzlich über einige Konzepte zur Überlieferung der Lagerorte an die Zukunft:
Speichermedien, fast unzerstörbare Materialen etc., jedoch: was überdauert das Ende einer Zivilisation? Eine dennoch bemerkenswerte Idee, finde ich: Man feiert das Wissen in gesamtgesellschaftlich verankerten Riten an den Standorten. In den 70er Jahren dachte man lt NZZ an eine Priester Riege, die das Wissen um die Standorte überliefern sollte (da fällt mir der Mönch in The 5th Element ein). Nicht die begrenzte Priesterschaft, sondern die gesamte Gesellschaft, ist aber heute angedacht, die Möglichkeit des Überdauerns zu steigern. Eine Atom-Kultur, würde ich sagen.

Vllt könnte man sich mit einer solch breiteren Streuung und gezielteren Überlieferung, kombiniert mit Speichermedien, heute noch erinnern, wozu eigentlich Stonehenge genau erbaut wurde? Es ist aber nur 5000 Jahre alt. Um so mehr ist es zwingend notwendig, dass wir diese Aufgabe und Verantwortung ernst nehmen.

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Hallo Barbara,
danke, daß Du Dich intensiv damit auseinandesetzt. Die „Nagra“ war mir zum Beispiel völlig neu.

Transport: Vergleichen wir es mit der Eisenbahn. Im 21. Jahrhundert ist diese Technologie einigermassen beherschbar und doch gibt es viele Leute, die Atommüll lieber nicht mit der Eisenbahn transportiert sehen möchten (Stichwort „Castor“-Behälter). Schätze, in hundert Jahren wird es mit der Raumfahrt ähnlich sein.

Wo wir uns völlig einig sind, ist, die Abfälle nie aus dem Blick zu verlieren:

So sollte m.E. ein Tiefen- oder Endlager zum einen nicht in Vergessenheit geraten und zum anderen zugänglich bleiben, um die Möglichkeit einer besseren Lösung, Technologie oder Umnutzung aufrecht zu erhalten.

LG, Stefan

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Hi Stefan,

ja, das Thema ist so wichtig, sodass man sich intensiv damit beschäftigen muss :blush:.

Bei der Erdatmosphäre, der einzigen die wir haben, würde ein einigermassen beherrschbares Transportmittel oder eine Schätzung nicht ausreichen. Die Nagra bringt da in meinen Augen triftige Gründe. Das radioaktive Material würde sich auf den Kilometern bis zum All bei einem Vorfall zu sehr über den Planten verteilen können, mehr als bei einem Vorfall am Erdboden. Auch wenn das Risiko bei einem einzigen Transport gering ist, es müssten unzählig viele Raketen hochgeschossen werden, da summiert sich das Risiko sehr auf, ob der Menge des produzierten Abfalls. Da geht es nicht um Aversion gegen (künftige)Technik. Die angedachten Endlager als geologische Tiefenlager in 600 Metern unter der Oberfläche (in der Schweiz wird die Opalinuston Schicht favorisiert), werden aber als risikoärmer erachtet, als andere Lösungen der Entsorgung. Es gibt im Jura ein Felslabor mit Besucherzentrum, das darüber wissenschaftlich informiert.

Darauf vertrauen, dass es die anderen später schon lösen werden möchte ich auch moralisch nicht. Und so war zumindest auch der gesetzgebende Konsens in der Schweiz.
Vor allem finde ich, dass wir für die Vorteile, die wir jetzt haben, jetzt Verantwortung übernehmen müssen. Auch wenn ich es persönlich meinen Vorfahren übel nehme, das sie ohne finales Konzept des Mülls in die zivile Kernkraft eingestiegen sind und uns das Risiko übertragen haben, wir sollten nicht 100 Jahre warten. In diesem vom ENSI (Eidgenössisches Nuklearsicherheitsinspektorat) veröffentlichten Papier wird das als Verursacherprinzip nach der Ethik des Utilitarismus begründet (Seite 32). Wir müssen auch die finanziellen Mittel für all diese enormen Interventionen im Auge behalten.

Wir nutzen jetzt die Kernenergie zu einem erheblichen Teil in unserem Strommix und sind auch wegen der Netzstabilität auf sie angewiesen, bis das Smart Grid soweit ausgebaut ist für die Erneuerbaren (und auch dann: die CO2 Bilanz der Kernenergie muss auch berücksichtigt werden). Die Zukunft wird wohl mit einer Klimaerwärmung zu kämpfen haben und von den Vorteilen, die wir jetzt als Lebensstandart geniessen, nicht mehr selbst profitieren. Da müssen wir sie nicht auch noch verstrahlen. Ich finde: Das sind wir der Zukunft schuldig.

Aber wie sagt man so schön: Der Feind des Guten ist das Bessere!
Im Schweizer Konzept ist eine Rückholbarkeit integriert, auch wenn diese sicherlich nicht einfach ist. Sofern also in Zukunft etwas erfunden wird, was die Probleme anders löst, als das hochaktive Material 1 Million Jahre lang zu lagern bis es nicht mehr aktiv ist, so soll es eingesetzt werden. Sofern man es sich dann eben leisten kann, sich daran noch erinnert und nicht gerade in Kriege um Wasser und Nahrung verstrickt sein muss, wegen dem Konsumverhalten der Vorfahren.

LG, Barbara

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Hallo Barbara,
dann kommst Du aus der Schweiz, nehme ich an? Das dortige Vorgehen klingt wesentlich besser als das endlose Gewürge, das wir beim Atommüll in Deutschland haben.

Wie könnten wir in Deutschland von dem Schwarzer-Peter-Spiel mit dem Endlager zu einem ähnlich vernünftigen Prozess kommen?
LG, Stefan

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Hi Stefan,

ich bin Bayerin, aber seit ingesamt 10 Jahren in der Schweiz.

Oh, eine grosse Frage, die ich nur aus persönlicher Sicht beantworten kann.

Nun, es ist auch hier noch nicht gelöst, denn die Standortsuche läuft noch. Es gibt durchaus Widerstand gegen Standortüberlegungen (wie im erwähnten NZZ Artikel auch die Aktion des Landwirtes zeigt, der aus Protest einen Fels aufgestellt hat auf seinem Land). Es ist ein sehr komplexes und auch emotionales Thema, vor allem wenn es konkret wird.

Ich würde allerdings hoffen, das generell und allerorten vernünftige und wissenschaftlich-basierte Kommunikation hilft.
Über die Wahl Opalinuston (unter anderen Alternativen, wie in den Weltraum schiessen, ins Meer verklappen…) wird hier zumindest informiert – es gab eine Wanderausstellung mit geologischen Informationen dazu.

Und man macht sich eben Gedanken, wie man die Standorte überliefert, wie oben beschrieben. Und das finde ich für alle Länder/ Kulturen/ Gesellschaften und den einen Planten wichtig. In 100 000 Jahren und später wird es heutige Kategorien wie Nationen wohl ohnehin nicht mehr geben.

En Schöne!
Barbara

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