Von Jan Meissner, bei 1E9 als @j.meissner, und Andrea vorm Walde, bei 1E9 als @AndreavW
Angst und Unsicherheit gehören zu unserem Leben. Angst ist vor allem ein Urinstinkt und ein wichtiges Signal, das uns vor Gefahren warnt und schützt. Wenn Angst aber unspezifisch wird, das heißt nicht auf einen realen und konkreten Auslöser fokussiert, oder wenn alltägliche Sorgen, die uns alle umtreiben, ein Ausmaß erreichen, das uns von einem normalen Leben abhält, dann ist Aufmerksamkeit geboten.
Die individuellen Sorgen im Alltag, aber auch wirtschaftliche Kapriolen und die Globalisierung setzen den Menschen zu. Der Druck in bestimmten Lebensphasen sorgt für Unsicherheit und die Kehrseite der fortschreitenden Digitalisierung und technischen Weiterentwicklung – unsere ständige Erreichbarkeit und eine damit verbundene Erwartungshaltung des Umfeldes – verhindert Phasen von Ruhe und Besinnung.
Was also liegt näher, als uns eben diesen Fortschritt zunutze zu machen und ihn umzudrehen zum Katalysator gegen eben diesen Stress und die drohende Angstspirale?
Technologie wird vom Fluch zum Segen
Wir hatten die Idee, ein Hilfsmittel zu finden, das den Betroffenen eine Möglichkeit zur Selbsthilfe gibt, bevor die Angst unter Umständen krankhaft wird. Wir wollten einen Weg für die Betroffenen schaffen, der individuellen Verunsicherung einen konstruktiv-kreativen Ausdruck zu verleihen, verbunden mit einer sozialen Komponente.
ÄNX ist das Ergebnis unseres Gedankenexperiments: Was wäre, wenn Technik uns zu einem konstruktiven Umgang mit unserer eigenen Unsicherheit anleitet? Unser Konzept vereint Generative Design mit Augmented Reality und motorische Ablenkung mit bewusster Atemtechnik. Individuelle Ängste werden zu positiven Kommunikationsanlässen. Es ist kein therapeutisch zugelassenes Heilmittel, sondern ein Alltagsgegenstand, der jedem Menschen erlaubt, seine negativen Gefühle, Ängste und Unsicherheiten zu kanalisieren und sich in kreativer Art und Weise davon zu lösen. Durch die Interaktion mit ÄNX entstehen virtuelle Kunstwerke.
ÄNX ist der Handschmeichler 4.0
Der Psychiater und Philosoph Karl Jaspers beschreibt die Angst als „ein häufiges und qualvolles Gefühl. Die Furcht ist auf etwas gerichtet, Angst ist gegenstandslos.“ Diese nicht zu greifende Gegenstandslosigkeit federn wir ab, indem wir dem Betroffenen (im wahrsten Sinne des Wortes) etwas in die Hand geben. Einen Handschmeichler, einen Fidget-Spinner, der nächsten Generation, wenn man so will.
Das bewusste lange Ausatmen aktiviert das ÄNX-Device und hilft den Betroffenen gleichzeitig einen entspannten Atemrhythmus wiederzufinden. Denn häufig geht Angst mit körperlichen Symptomen einher, die belastend und körperlich zehrend sind. Das bewusste oder auch unbewusste Spiel mit dem Gerät schafft im virtuellen Hintergrund eine einzigartige 3D-Skulptur aus Farben, Formen, Strukturen und Lichtern. Jede Skulptur ist dabei so einzigartig wie ihr Erschaffer und seine Gefühle in dem Moment.
Lässt der Stress nach bzw. ebbt die Angst ab, kann sich der Teilnehmer der ÄNX-Community auf beliebigen digitalen Endgeräten seine Skulptur anschauen. Sie steht in der Augmented Reality. Mitten in der Stadt, im Büro oder Zuhause. Statt also betreten ob der erlittenen Attacke dem Alltag wieder nachzugehen, hält ÄNX ihn oder sie dazu an, noch kurz im Moment zu verweilen und zu sehen, was er oder sie geschaffen hat: eine Skulptur seines aufgewühlten Geistes.
Die ÄNX-Community als soziales Umfeld
Danach liegt es am User, ob er sein Werk an Ort und Stelle löscht oder dauerhaft in die Augmented Reality entlässt, wo andere sie finden, sehen und darüber mit dem Erschaffer in Kontakt treten können. Denn als Teil der Änx-Community ist man mit seinen Sorgen nicht allein, sondern findet Artefakte im gesamten urbanen Raum. Eben dort, wo Büromenschen sich den Kopf zerbrechen und Stress empfinden, aber gleichzeitig aufgeschlossen gegenüber elektronischen Helfern sind.
Aktuell reden wir von einer Konzeptstudie. Das bedeutet: Leider können wir euch noch keine Testgeräte schicken. Allerdings findet die Idee bei vielen Kollegen und Freunden des Hauses Anklang, so dass es sich lohnt, weiter darüber nachzudenken und auch mal mit Experten und Betroffenen zum Thema Angststörungen zu sprechen.
Bis dahin freuen wir uns aber erst einmal über Euer Feedback als Leser des Artikels: Ist es angemessen, psychischer und emotionaler Belastung mit Technik entgegenzutreten? Welche Aspekte müssten wir noch trennschärfer herausarbeiten? Was sind Eure persönlichen Strategien im Umgang mit Stress und Angst? Wir freuen uns auf den Diskurs mit Euch!
Jan Meissner ist Designer und Projektmanager bei Indeed Innovation in Hamburg. Gemeinsam mit seinem Kollegen Xuan Liu hat er sich Gedanken über die steigende psychische Belastung gemacht und dieses Fidget entwickelt.