Für 40 Tage haben sich mehrere Menschen in einer Höhle in Frankreich einschließen lassen. Ziel war es herauszufinden, wie sich ohne Uhr und Tageslicht die Wahrnehmung der Zeit verändert. Am Samstag haben die Probanden die Höhle gesund verlassen. Sie hatten nicht damit gerechnet.
Von Michael Förtsch
Am 14. März ist ein Trupp von 15 Freiwilligen in eine Felsenhöhle in Tarascon-sur-Ariège im Südwesten Frankreichs geklettert und hat sie dann verschließen lassen. 40 Tage sollten sie untertage verbringen. Abgesehen vom Initiator des Deep Time getauften Experiments, dem Entdecker und Forscher Christian Clot, handelte es sich bei den Teilnehmern um ganze normale Menschen, die keine Erfahrung mit Extremlagen oder Isolation haben. Unter ihnen waren beispielsweise ein Mathematiklehrer, eine Schmuckverkäuferin, eine Neurowissenschaftlerin und ein Arbeitssuchender. Die Gruppe hatte keinen Kontakt zur Außenwelt und keine Möglichkeit, festzustellen, wie viel Zeit seit ihrem Abstieg vergangen ist.
An Ausrüstung stand den Freiwilligen nur Nahrung für 40 Tage, ein Muskelkraftgenerator für Strom, kleine Lampen und ein Elektroherd zur Verfügung. Wasser mussten sie aus einem natürlichen Brunnen schöpfen. Das durch Spenden und Unterstützung von Organisationen wie der französischen Raumfahrtbehörde ermöglichte Projekt soll Einblicke in die Anpassungsfähigkeit des Menschen in Ausnahmesituationen ermöglichen. Denn abseits von Dunkelheit herrschen in der Höhle ebenso 10 Grad Celsius und 100 Prozent Luftfeuchtigkeit.
Allem voran sollte das Experiment jedoch nachvollziehbar machen, wie sich die Zeitwahrnehmung bei einem sogenannten Referenzverlust verändert – wenn also die Einschätzbarkit des Zeitflusses durch das Fehlen von Tageslicht oder Uhren verloren geht. Um das zu ermitteln, standen die Probanden unter steter Beobachtung. Mit Sensoren wurden ihre Körperfunktionen mit gezeichnet und mit Kameras ihr Tagesablauf observiert. In unregelmäßigen Abständen mussten sie zudem Koordinations- und Konzentrationstests absolvieren.
Endlich raus
Am Samstag, den 24. April durften die Teilnehmer nun die Höhle wieder verlassen. Sie mussten ihre Augen mit Sonnenbrillen vor der ungewohnten Helligkeit schützen. Laut ersten Aussagen sei die Zeit für sie spürbar langsamer abgelaufen. Laut Marina Lancon, eine der Freiwilligen, sei es gewesen, „als hätte jemand den Pauseknopf gedrückt.“ Daher sei das Team überrascht gewesen, als am Freitag die Nachricht kam, dass sie die Höhle schon bald wieder verlassen könnten. „Für uns war das eine echte Überraschung“, so Christian Clot. Nach den Schätzungen der Teammitglieder wären sie erst zwischen 23 bis 30 Tagen im Untergrund gewesen.
Einer der Gründe dafür ist, dass die Probanden die Zeit nicht mehr in Stunden und Minuten zählten, sondern in Wach- und Schlafzyklen. Und die hätten sich ohne Licht, klare Aufgaben oder präzise getaktete Verpflichtungen nach und nach verschoben und verlängert. Statt 24 Stunden hätte ihr Tag rund 32 Stunden gezählt. Das hätte auch dazu geführt, dass Treffen und gemeinsame Projekte nur schwerlich zu koordinieren waren. Denn die Anpassung des Schlafrhythmus entwickelte sich bei den Teilnehmern unterschiedlich schnell. Während manche bereits seit Stunden wach waren, schliefen andere erst ein und umgekehrt.
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Jetzt Mitglied werden!Trotz des beschwerlichen Lebens in der Höhlen, hätten einige Probanden das Experiment gerne fortgesetzt, um gemeinsam begonnene Projekte weiterzuführen. Stattdessen werden die Höhlenmenschen aber nun zunächst von erfahrenen Psychologen begleitet und müssen zahlreiche medizinische Untersuchungen über sich ergehen lassen. Unter anderem wurden sie bereits am Samstag für Hirnscans in eine Pariser Klinik gebracht, um mögliche Veränderungen in der Hirnaktivität zu protokollieren. Ebenso soll sichergestellt werden, dass der Aufenthalt in der Höhle keine langfristigen psychologischen oder körperlichen Schäden verursacht hat.
Die ersten Studien und Resultate des Experiments will das Forscherteam bereits in wenigen Monaten veröffentlichen. Laut Stéphane Besnard, Mediziner vom Klinikum der Universität Caen, würden die Daten die Forschungsgemeinde aber wohl auf viele Jahre beschäftigen. Sie könnten unter anderem helfen, Menschen auf eine Reise zum Mars, dem Aufenthalt auf Außenposten auf dem Mond oder einer Raumstation vorzubereiten. Aber sie könnten auch von Nutzen sein, um Besatzungen von Frachtschiffen, U-Booten und Forscher in Stationen in der Arktis und Antarktis besser zu betreuen.
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