Zwar gibt es schon jetzt Mammut-Fleischbällchen – doch die Zukunft des Laborfleischs dürfte langweiliger sein

Mehr Auswahl, besser fürs Klima und fürs Tierwohl: Firmen, die an Fleisch aus dem Labor arbeiten, bringen viele gute Argumente für ihre Produkte vor. Doch welche Auswirkungen hätte die großflächige Markteinführung des sogenannten „Kulturfleischs“ wirklich? Der australische Wissenschaftler Hallam Stevens fürchtet ähnliche Entwicklungen wie bei gentechnisch veränderten Nutzpflanzen.

Von Hallam Stevens

Ende März machte das australische Start-up Vow weltweit Schlagzeilen mit einem Fleischbällchen aus dem Fleisch eines Wollhaarmammuts – oder zumindest aus etwas, das diesem sehr ähnlich ist. Die Wissenschaftler von Vow kombinierten die Technologien, um Fleisch aus Zellkulturen im Labor wachsen zu lassen, und, um ausgestorbene Arten durch De-Extinktion zurückzuholen. Das Ergebnis sind Muskelproteine auf der Grundlage von DNA-Sequenzen der längst ausgestorbenen Rüsseltiere.

Die Frikadelle war nicht für den menschlichen Verzehr bestimmt, doch Vow wollte mit der PR-Aktion den geringeren ? von im Labor gezüchtetem Fleisch hervorheben. Das Mammut wurde dabei zum „Symbol für den Verlust der Artenvielfalt und für den Klimawandel“. Das Hackbällchen war außerdem ein Ausblick auf eine mögliche neue Vielfalt und Verspieltheit beim Fleischkonsum.

Aber ist es wirklich wahrscheinlich, dass durch im Labor gezüchtetes Fleisch Mammuts, Dodos und andere Exoten auf unseren Speiseplan kommen? Berücksichtigt man die Sicherheitsanforderungen und die wirtschaftlichen Hürden, die die Industrie überwinden muss, scheint ein anderes Ergebnis wahrscheinlicher – eines, das dem Markt für genetisch veränderte Nutzpflanzen ähnlich könnte: weniger Vielfalt und unvorhersehbare soziale und ökologische Auswirkungen.

Wie reagiert unser Körper auf Laborfleisch?

Der Wissenschaftler Ernst Wolvetang aus Queensland, der an der Entwicklung der Mammutkugel beteiligt war, räumte ein: „Wir haben dieses Protein seit Tausenden von Jahren nicht mehr gesehen und haben daher keine Ahnung, wie unser Immunsystem reagieren würde, wenn wir es essen.“ Wolvetang glaubt, dass solche Probleme schnell gelöst werden könnten. Doch selbst bei im Labor gezüchtetem Fleisch aus konventionellen Tierbeständen wie Rind oder Huhn sind die Gesundheits- und Sicherheitsrisiken noch lange nicht geklärt.

Zu den immer wieder geäußerten Bedenken gehören die Verwendung von Wachstumshormonen in kultiviertem Fleisch, das Potenzial für neue oder unerwartete Allergene, die Art und Weise, wie kultivierte Zelllinien ihre Form und Funktion im Laufe der Zeit verändern, die Wahrscheinlichkeit einer mikrobiellen Kontamination und die Ungewissheit über den Nährstoffgehalt.

Selbst eine Veränderung der Textur oder Zusammensetzung von Fleisch kann gesundheitliche Auswirkungen auf unser Verdauungssystem haben. Diese Probleme dürften sich bei Lebensmitteln, die auf wiederauferstandenen Proteinen aus der fernen Vergangenheit basieren, noch verschärfen.

Hinter Fleisch steckt ein ganzes System.

Gesundheit und Sicherheit sind nicht die einzigen Probleme.

Kritiker der De-Extinction-Bewegung argumentieren, dass die Wiederansiedlung von Tieren wie dem Wollhaarmammut in der Umwelt unvorhersehbare Auswirkungen haben und das Ökosystem stören könnte.

Würden sich Raubtiere anpassen? Würden Graslandschaften zertrampelt werden und verschwinden? Sollten wir unsere Bemühungen nicht stattdessen auf die Erhaltung noch lebender Arten richten, auf Nashörner zum Beispiel? Sind wir angesichts der zumindest in der Theorie bestehenden Möglichkeit, das Aussterben von Tieren rückgängig machen zu können, weniger besorgt über die Auswirkungen des menschlichen Handelns auf die biologische Vielfalt, als wir es sein sollten?

In einem ähnlich breiten Rahmen sollten wir auch über die Auswirkungen von im Labor gezüchtetem Fleisch nachdenken. Mit anderen Worten: Wir sollten nicht nur über das Fleisch selbst diskutieren, sondern auch über die „Fleischsysteme“, die es produzieren.

Wie werden Lieferkette und Wirtschaftssystem der Fleischproduktion im Labor aussehen? Wie wird Laborfleisch die Landwirtschaft und die bäuerlichen Gemeinschaften beeinträchtigen? Wie könnte es den Konsum beeinflussen? Werden wir mehr oder weniger Fleisch essen, wenn wir Zugang zu „ethisch korrektem“ Fleisch bekommen?

Was wir von gentechnisch veränderten Lebensmitteln lernen können.

Die Einführung gentechnisch veränderter Organismen (GVO) in den letzten drei Jahrzehnten kann uns wichtige Hinweise darauf geben, wie sich solche Dinge entwickeln können. Wie Fleisch aus dem Labor versprachen die GVO zunächst eine neue Vielfalt an Nutzpflanzen, gesundheitliche Vorteile (wie beim Goldenen Reis) und Mehrwert für den Verbraucher (wie durch die Flavr-Savr-Tomate).

Nur wenige dieser Versprechen wurden tatsächlich eingelöst. Stattdessen kamen die meisten Vorteile der GVO den Agrarunternehmen zugute, die das Saatgut entwickelten und verkauften. Anstatt die Auswahl an Lebensmitteln zu erhöhen, vergrößerten GVO die Monokulturen und verringerten die Vielfalt der Lebensmittel. Dies wiederum führte zu negativen ökologischen und sozialen Folgen für die landwirtschaftlichen Gemeinschaften.

Bei Fleisch aus dem Labor besteht ein ähnliches Risiko. Auch wenn Vow’s Mammut erstmal etwas anderes versprecht, ist es zumindest kurzfristig wahrscheinlich, dass Fleisch aus dem Labor für die Kunden erst dann erschwinglich wird, wenn es in großem Maßstab produziert wird.

Das lässt darauf schließen, dass wir auf unseren Speisekarten wahrscheinlich kein Alligator- oder Dodo-Fleisch finden werden, sondern standardisierte Versionen von Rind-, Hühner- oder Schweinefleisch. Die Produktion wird sich wahrscheinlich auch auf Muskelgewebe konzentrieren und nicht auf Innereien, Füße, Knochenmark oder die anderen Teile von Tieren, die viele von uns verzehren.

Das wahrscheinlichste Ergebnis von im Labor gezüchtetem Fleisch ist also nicht eine größere Vielfalt an Proteinen, sondern eine deutlich geringere.

Diese Antwort gibt Italien darauf:

Während das Mammut-Fleischbällchen sein Debüt feierte, kündigte die italienische Regierung an, Fleisch aus dem Labor zu verbieten, und begründete dies mit der Gesundheit und dem gastronomischen Erbe des Landes. Synthetische Lebensmittel, so argumentierten die Minister, würden die italienischen Lebensmitteltraditionen untergraben und Mortadella, Pancetta und Guanciale bedrohen.

Werde Mitglied von 1E9!

Hier geht’s um Technologien und Ideen, mit denen wir die Welt besser machen können. Du unterstützt konstruktiven Journalismus statt Streit und Probleme! Als 1E9-Mitglied bekommst du frühen Zugriff auf unsere Inhalte, exklusive Newsletter, Workshops und Events. Vor allem aber wirst du Teil einer Community von Zukunftsoptimisten, die viel voneinander lernen.

Jetzt Mitglied werden!

Coldiretti, ein italienischer Bauernverband, der das Verbot unterstützte, fügte hinzu, dass der Schritt die Landwirtschaft vor den „Angriffen multinationaler Unternehmen“ schützen würde. Andererseits wurde das von Italien geplante Verbot auch als „innovationsfeindlich” und als Rückschlag für den Tierschutz gebrandmarkt.

Doch die Vorsicht, welche negativen Folgen die Einführung von Fleisch, das im Labor kultiviert wurde haben könnte, scheint begründet. Denn die Geschichte der gentechnisch veränderten Nutzpflanzen hat auch gezeigt, dass die Umwandlung von Lebensmitteln in eine Technologie nicht nur die Produktvielfalt verringert, sondern auch die Kontrolle der Unternehmen über die Lebensmittelversorgung verfestigt.

Das heißt: Selbst, wenn die gesundheitliche Unbedenklichkeit von im Labor gezüchtetem Fleisch nachgewiesen ist, müssen wir zusätzlich sicherstellen, dass seine Einführung auch wirtschaftlich, politisch und kulturell sicher ist.

Hallam Stevens ist Professor für interdisziplinäre Studien an der James-Cook-University in Australien. Er ist Wissenschafts- und Technikhistoriker und hat sich auf die Geschichte der Biowissenschaften und der Informationstechnologie spezialisiert. Sein erstes Buch, „Life out of sequence: a data driven history of bioinformatics“ (Chicago, 2013), untersucht die transformative Rolle von Computern und Datenbanken in der Biologieforschung. Außerdem ist er Autor von „Biotechnology and society: an introduction“ (Chicago, 2016) und Mitherausgeber (mit Sarah Richardson) von „Postgenomics: Perspectives on Biology After the Genome“ (Duke, 2015).

Dieser Artikel erschien zunächst unter Creative Commons Lizenz auf Englisch bei The Conversation. Die deutsche Übersetzung stammt von 1E9.

Titelbild: Das Mammut-Fleischbällchen von Vow. Bild: Vow

Hat dir der Artikel gefallen? Dann freuen wir uns über deine Unterstützung! Werde Mitglied bei 1E9 oder folge uns bei Twitter, Facebook, Instagram oder LinkedIn und verbreite unsere Inhalte weiter. Danke!

Sprich mit Job, dem Bot!

Job, der Bot

War der Artikel hilfreich für dich? Hast du noch Fragen oder Anmerkungen? Ich freue mich, wenn du mir Feedback gibst!

1 „Gefällt mir“