Wird die Seine nach 100 Jahren Schwimmverbot für die Olympischen Spiele sauber sein?

Seine in Paris. Quelle: Unsplash. Free Nomad.

Die Seine soll bei den Olympischen Spielen in Paris 2024 eine zentrale Rolle beim Freiwasserschwimmen spielen. Im Herzen der Stadt sollen die Schwimmerinnen und Schwimmer dabei an ikonischen Orten vorbeischwimmen. Trotz der umfangreichen Investitionen in die Wasserqualität bleibt die Frage offen, ob in der Seine tatsächlich geschwommen werden kann, da seit einem Jahrhundert ein Schwimmverbot aufgrund der großen Verschmutzung herrscht. Im Gastbeitrag erklärt Ian A. Wright wo die Hürden und Risiken bei der Reinigungsaktion der Seine liegen.

Ein Gastbeitrag von Ian A. Wright

Fünf mit besonderer Spannung erwartete Wettkämpfe bei den Olympischen Spielen in Paris sind die zehn Kilometer Marathon-Schwimmwettkämpfe der Männer und Frauen sowie die 1.500 Meter Schwimmstrecke bei drei Triathlon-Wettkämpfen. Und warum? Weil sie alle in der Seine im Zentrum von Paris ausgetragen werden sollen. Die Schwimmerinnen und Schwimmer werden auf ihrem Weg durch das historische Zentrum der Stadt an berühmten Sehenswürdigkeiten wie dem Musee d’Orsay vorbeischwimmen. Zudem bietet die Seine auch den Zuschauerinnen und Zuschauern eine imposante Kulisse.

Aber ist es sicher, in der Seine zu schwimmen? Flüsse in Großstädten sind oft verschmutzt, sei es durch Regenwasser, chemische Verschmutzung oder ausgelaufene Abwässer. Vor allem beim Vorbeischwimmen am Pariser Kanalisationsmuseum könnten sich die Marathon-Schwimmer fragen, ob das Wasser tatsächlich sauber ist.

Seit mehr als 100 Jahren ist das Schwimmen in der Seine verboten, da Bedenken bestehen, dass das Wasser der menschlichen Gesundheit schaden könnte. Die Behörden arbeiten auf Hochtouren daran, das Wasser zu reinigen und haben 1,4 Milliarden Euro für die Verbesserung der Wasserqualität ausgegeben. Das Ziel: die bakterielle Verunreinigung um 75 Prozent zu senken, bevor der erste Schwimmer das Wasser berührt. Die Maßnahmen zeigen zwar Wirkung – aber die jüngsten starken Regenfälle haben die Bakterienwerte in die Höhe schnellen lassen.

Während die Behörden sich zuversichtlich geben, gibt es nun einen Notfallplan für den Fall, dass die Seine doch nicht rechtzeitig als sicher eingestuft wird.

Warum überhaupt in der Seine schwimmen?

Städtische Flüsse haben einen fragwürdigen Ruf. Aber es ist nicht das erste Mal, dass die Seine für olympische Schwimmwettbewerbe genutzt wird.

Bei den Olympischen Spielen 1900 in Paris wurden sieben Schwimmwettbewerbe in der Seine ausgetragen. Diese Spiele waren die ersten modernen Olympischen Spiele, bei denen Frauen in einigen Sportarten antreten durften. Schwimmen gehörte allerdings nicht zu den erlaubten Sportarten.

Der australische Schwimmer Frederick Lane, der an den Spielen im Jahr 1900 teilnahm, musste damals unter der Flagge des Vereinigten Königreichs schwimmen, da Australien bis zur Föderation im folgenden Jahr keine eigene Flagge hatte. Dabei gewann er zwei Goldmedaillen. Die eine gewann er im 200-Meter-Freistil-Rennen und die andere für ein kurioses Rennen, das nie wieder ausgetragen wurde: das 200-Meter-Hindernisrennen, bei dem die Schwimmer über Stangen und Boote klettern mussten. Bei diesen Olympischen Spielen fand auch das erste und letzte Unterwasserschwimmen statt, das ebenfalls in der Seine ausgetragen wurde.

Bei den Olympischen Spielen 1900 in Paris, als der Fluss noch sauberer war, stürzten sich die Schwimmer in die Fluten der Seine. Quelle: Wikimedia Commons.

Damals war das Wasser der Seine noch sauberer. Das lag daran, dass es eine große Nachfrage nach menschlichen Abfällen auf Bauernhöfen gab – und Städte die Hauptquelle dafür waren. Zu jener Zeit hatten Fäkalien einen echten Marktwert – und niemand hätte daran gedacht, sie in Flüsse zu kippen.

Doch mit der Zeit entwickelten sich Kanalisationssysteme und Düngemittel wie Guano und Mineraldünger kamen auf den Markt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde dann der größte Teil des städtischen Abwassers in die Seine geleitet, bis im Jahr 1923 ein Schwimmverbot in Kraft trat. Ein Jahr später war Paris zum zweiten Mal Gastgeber der Olympischen Spiele – und die Schwimmer traten in 50-Meter-Becken an.

In den letzten Jahren haben viele Städte weltweit daran gearbeitet, ihre städtischen Gewässer zu reinigen. Das Schwimmen in Flüssen ist nun in Städten wie Kopenhagen, Berlin und Wien verbreitet, wo sich die Wasserqualität der Flüsse erheblich verbessert hat.

Wie kann man einen Fluss wie die Seine reinigen?

Die Reinigung der Seine ist eine Herausforderung. Paris hat 11 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner plus zahlreiche Industriebetriebe. Städtische Flüsse werden nahezu unvermeidlich durch Abfälle aus der umliegenden Stadt verschmutzt, das betrifft auch die Seine.

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Undichte und überlaufende Abwassersysteme sind eine Hauptquelle der Verschmutzung. In Ländern wie dem Vereinigten Königreich ist das Auslaufen von Abwässern in Gewässer zu einem wichtigen politischen Thema geworden.

Wenn Abwässer in Flüsse gelangen, enthalten sie Schadstoffe und gefährliche Mengen an krankheitsverursachenden Mikroorganismen wie Escherichia coli (allgemein bekannt als E. coli). Unbehandeltes Wasser kann Viren, Bakterien und krankheitsverursachende Protozoen enthalten.

Im Vorfeld der Spiele in Paris haben die Behörden daran gearbeitet, die Wasserqualität so weit zu verbessern, dass in der Seine wieder olympisches Schwimmen möglich ist. Das Regenwasser, das oft durch Hundekot oder überlaufende Abwässer verunreinigt ist, wird gereinigt, bevor es in den Fluss geleitet wird.

Trotz des Aufwands und der Investitionen ist es fraglich, ob die Sicherheit der Schwimmer gewährleistet werden kann. Die Bakterienwerte erreichten an den meisten Tagen im Juni aufgrund der für die Jahreszeit ungewöhnlich starken Regenfälle riskante Werte, aber im Juli hat sich das Wasser verbessert

Vor einigen Tagen schwamm die französische Sportministerin Amélie Oudéa-Castéra einige Meter in der Seine, um die Bedenken auszuräumen. Begleitet wurde sie vom Triathlon-Goldmedaillengewinner der Paralympics 2020 in Tokio, Alexis Hanquinquant.

Im Gegensatz zu den Freiwasserwettkämpfen werden die anderen olympischen Schwimmwettbewerbe in einem neu errichteten 50-Meter-Becken mit sehr guter Wasserqualität stattfinden. Das Beckenwasser wird gefiltert und mit einem Desinfektionsmittel wie Chlor oder Brom behandelt. Es wird regelmäßig getestet, um so eine optimale Wasserqualität sicherzustellen.

Bei den Olympischen Spielen 2020 in Tokio schwammen die Triathletinnen und Triathleten in der verschmutzten Bucht von Tokio. Ähnliche Bedenken zur mangelnden Wasserqualität und Krankheiten erwiesen sich damals als unbegründet. Die wahre Herausforderung war dann die drückende Hitze

Was steht auf dem Spiel?

Die wahrscheinlichste Folge von Freiwasserrennen, die bei unsicheren Bakterienwerten stattfinden, wäre eine Magen-Darm-Infektion. Darüber haben die Verantwortlichen jedoch ein gewisses Maß an Kontrolle.

Viele Schwimmer – insbesondere diejenigen, die in Freiwasserwettkämpfen antreten – sind es allerdings gewohnt, in Wasser mit einem gewissen Verschmutzungsgrad zu schwimmen. Für einige ist es das Risiko auch wert. Der italienische Doppelweltmeister Gregorio Paltrinieri sagte im Januar:

Auch wenn das Wasser verschmutzt ist, würde ich lieber in einer elektrisierenden Atmosphäre im Zentrum von Paris schwimmen als in einem anonymen Gewässer.

Die Organisatoren von Paris 2024 hatten zuvor gewarnt, dass es keinen Plan B für die zehn Kilometer Marathonstrecke in der Seine gebe, falls die Tests eine ungeeignete Wasserqualität nachwiesen. Doch das hat sich nun geändert. Sollte der Fluss nicht sauber genug sein, wird das Freiwasserschwimmen in die Ruderhalle verlegt.

Auch der olympische Triathlon ist mit einer Schwimmstrecke in der Seine geplant. Den Triathleten wurde jedoch mitgeteilt, dass die Schwimmstrecke möglicherweise ausgelassen wird, wodurch das Rennen in einen Duathlon aus Laufen und Radfahren umgewandelt würde.

Während die Aufmerksamkeit der Welt sich auf Paris richtet, hoffen viele besorgte Verantwortliche im Hintergrund, dass sich ihre harte Arbeit, die Seine schwimmbar zu machen, auszahlt.

Ian A. Wright ist Associate Professor für Environmental Science an der Western Sydney University. Er ist bekannt für seine umfassenden globalen Analysen von Pflanzeneigenschaften, seine präzise Untersuchung der Beziehungen zwischen Pflanzenstruktur und -funktion sowie für die Anwendung mikroökonomischer Konzepte zur Erforschung der Pflanzenökologie und -evolution.

Dieser Artikel erschien am 17.07.2024 unter einer Creative Commons Lizenz auf Englisch bei The Conversation. Die Übersetzung stammt von 1E9.

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