Lange haben wir darauf gewartet, dass die Versprechen der Science Fiction wahr werden und Roboter unsere Straßen bevölkern. Nun, da es nach und nach dazu kommt, reagieren viele Menschen aggressiv. Immer wieder werden Roboter angegriffen und verletzt. Warum das so ist, ist bisher ein Rätsel. Immerhin: Erklärungsansätze gibt es.
Von Michael Förtsch
Sie kommen, um uns das Leben einfacher und komfortabler zu machen. Sachte, aber sichtbar beginnt in diesen Jahren die Zeit der Roboter. Natürlich sind Roboter nichts wirklich Neues. In Fabrikhallen helfen sie bereits seit Jahren bei der Fertigung von Fahrzeugen oder Computerchips. Und der Roboterhund Aibo machte schon 1998 seine ersten unbeholfenen Schritte. Aber die Industrieroboter und die netten Gadgets waren mehr dumpfe Maschinen und High-Tech-Kuriositäten. Doch mittlerweile werden Roboter zunehmend zu Bestandteilen unseres Alltags. Dabei zeigt sich allerdings ein irritierendes Phänomen. Menschen attackieren und zerstören sie. Sie verhalten sich brutal und ziemlich gemein gegenüber den Robotern.
Ende 2015 etwa wurde Hitchbot, ein Roboter, der per Anhalter durch die Welt reiste, von Unbekannten geschlagen, verbeult und so zertreten, dass er nicht mehr zu retten und reparieren war. Ein Sicherheitsroboter in San Francisco wurde umgestoßen, in Folie gewinkelt und mit BBQ-Sauce beschmiert. Auf einer Messe wurde ein Sex-Roboter misshandelt. Besucher brachen ihm die künstlichen Finger. Kleine Lieferroboter werden getreten und umgestoßen. Und die selbstfahrenden Robo-Autos von Waymo und anderen Start-ups werden mit Steinen beworfen. Es wurden sogar schon Waffen gezogen, um auf sie zu schießen.
Laut Forschern sind Ereignisse, die zu Titelzeilen wie Armloser Roboter verliert Kampf gegen Betrunkenen führen, keine Einzelfälle mehr, sondern ein sehr realer und bemerkenswerter Trend. Immer wieder und rund um die Welt werden Menschen den Robotern gegenüber handgreiflich. Vorkommnisse wie die in den USA haben sich auch in Japan, Russland, China und weiteren Ländern wiederholt. Videos, in denen wehrlose Roboter, nun, gemobbt werden, werden Millionenfach geklickt und mit hämischen und belustigten Kommentaren wie „Wir müssen sie fertig machen, bevor sie sich gegen uns erheben können!“ unterschrieben. Aber: Wieso? Was führt dazu, dass einige Menschen so aggressiv auf die elektronischen Helfer reagieren? Und was lässt sich dagegen unternehmen?
Aggressiv aus Angst?
Die US-amerikanische Philosophin Susan Schneider beschäftigt sich an der University of Connecticut mit der Entwicklung und den Folgen von Künstlicher Intelligenz und hat die Gewalt gegen Roboter mitbekommen. Aber, wie sie zugeben muss, ließe sich noch nicht sagen, was da genau vorgeht – denn der Trend sei neu und belastbare Untersuchungen habe es daher noch nicht gegeben. „Wir sehen erst jetzt, dass da tatsächlich etwas passiert, das interessant werden könnte“, meint Susan Schneider im Gespräch mit 1E9. „Und ich glaube, dass wir uns das ansehen sollten. Denn es ist etwas, das unsere Vorstellung von der Zukunft und unsere Gesellschaft betreffen könnte.“
Als einen möglichen Faktor für die Gewalt gegen Roboter sieht Schneider die unheilvollen Ankündigungen und Prognosen, die es in den vergangenen Jahren gab. Nämlich, dass Roboter alsbald die Menschen ersetzen und arbeitslos machen. Roboter-Taxis und autonome LKWs brauchen beispielsweise keine Fahrer mehr. Mit Sensoren, Nachtsicht und Bewegungssensoren ausgestattete Wach-Roboter könnten Millionen Menschen in der Wach- und Sicherheitsbranche ersetzen. Automatisierte 3D-Drucker könnten den Bedarf an Bauarbeitern und Handwerkern reduzieren. Selbst Ärzte, Piloten und Steuerprüfer könnten verschwinden.
„Wir wissen, dass Menschen fürchten, durch die Digitalisierung und immer fähigere Roboter ihre Anstellung zu verlieren“, sagt Schneider. „Diese Angst ist nicht grundlos: Es wird Arbeitsfelder geben, in denen Menschen nicht mehr nötig sein werden – auch weil Roboter einfach besser darin sind, diese Arbeiten auszuführen“. Aber es ist ein Prozess, an dem nicht die Roboter die Schuld tragen. Sondern jene Menschen, die die Roboter anstellen. Ebenso wird dieser Prozess, glauben Wirtschafts- und Arbeitsforscher, keine Massenarbeitslosigkeit hervorrufen, sondern zu neuen Jobs führen und vielleicht sogar eine neue Arbeits- und Gesellschaftsethik nachsichziehen.
Dennoch: Die Job-klauenden Roboter sorgen für Unsicherheit. Unsicherheit wiederum führt bei vielen Menschen zu Wut und Gewalt. Und deren einfachstes, weil leicht zu identifizierendes Ziel, sind eben jene Roboter, meint die Philosophin. „Für einen LKW-Fahrer ist es sicher ein irritierender Anblick, wenn er einen Tesla sieht, der ganz alleine fährt“, sagt Schneider. „Es sieht da die Technik, die ihn überflüssig machen könnte – und das macht ihn wütend.“ Das gab es schon einmal: Als die sogenannten Maschinenstürmer während der Industriellen Revolution in Fabriken Webstühle und Fließbänder zerstörten, da sie durch sie ihre Arbeitsplätze, ihre Bezahlung, ihre Privilegien und ihren Selbstwert gefährdet sahen.
Einige Gesellschaftstheoretiker glauben daher, dass die Gewalt eine Vorstufe zu einem zweiten Maschinensturm sein könnte. Also zu einem Aufbegehren gegen die Roboter, zu Protesten gegen die Maschinen. Durchaus vergleichbar auch mit den teils gewalttätigen Widerständen der Taxifahrer gegen Uber in Paris, die nicht direkt gegen die Fahrer gerichtet waren, die für Uber unterwegs waren, sondern gegen die App, das Konzept und das digitale Unternehmen. Andere Wissenschaftler sehen das Problem hingegen viel grundsätzlicher und im Menschsein selbst verhaftet.
Der Roboter, der Fremdling
Die italienische Neurowissenschaftlerin Agnieszka Wykowska des Italian Institute of Technology ist überzeugt, dass viele Menschen aggressiv und irrational auf Roboter reagieren, weil sie als Eindringling in die bislang bekannte Welt gewertet werden. „Du hast einen Agenten, den Roboter, der in einer anderer Kategorie als der Mensch stattfindet“, schreibt Agnieszka Wykowska in einer Studie. Als einfache Maschine lassen sich moderne Roboter nicht klassifizieren. Genau das löse unbewusst einen „psychologischen Mechanismus der sozialen Ausgrenzung“ aus, der sich in asozialem Verhalten oder eben auch Gewalt gegenüber den Fremdlingen äußern kann.
Diese Hypothese wird durch experimentelle Studien gestützt. Vor drei Jahren studierten japanische Forscher über 13 Tage die Reaktion von Kindern auf einen Roboter in einer Shopping Mall. Die Kinder beschimpften die Roboter, stellten sich ihnen in den Weg oder begannen sogar, sie zu stoßen und zu schlagen. Im Nachgang befragten sie 23 der Kinder, die angaben, dass sie den Roboter aus Spaß und Neugier gequält hätten – denn er sei ein unbekanntes Wesen. Die Hälfte der Kinder sagte, dass sie glauben, der „Roboter hätte unter ihren Taten gelitten“. Weitere Experimente in Kindergärten führten zu ähnlichen Ergebnissen. Kinder würden stellenweise regelrecht brutal werden, Roboter treten und „echt nicht nett sein“, sagt Wykowska.
Roboter würden dieser These nach also attackiert, weil sie keine Menschen sind, aber dennoch nicht als reine Maschine gesehen werden. Einige Forscher sehen in diesem Verhalten und Denkkonzept durchaus Parallelen zum Missbrauch von Tieren. „Ich glaube nicht, dass ein Roboter so bald ein Bewusstsein haben wird – aber es könnte irgendwann dazu kommen“, sagt Susan Schneider daher. „Deswegen sollten wir Angriffe auf Roboter strafbar machen. Nicht nur als Sachbeschädigung, sondern als expliziten Angriff auf einen Roboter.“
Wir können auch nett sein
Aber Menschen sind nicht immer und vor allem nicht ausschließlich fies zu Robotern. Wie eine Studie der Radboud University in den Niederlanden und der Ludwig Maximilians Universität München zeigt, können Menschen durchaus eine starke Empathie und Zuneigung zu Robotern entwickeln. „Roboter werden immer präsenter in unserem Leben“, sagt Sari Nijssen, die die Studie mitorganisierte und an der Radboud University rund um Mensch-Roboter-Interaktion forscht. „Aber vor allem gibt es immer mehr Roboter, die speziell gemacht sind, um mit uns zu interagieren. Daher wollten wir wissen, wie weit unsere Bereitschaft geht, für einen Roboter einzustehen.“
In der Studie wurden Probanden vor das bekannte moralische Dilemma des Trolley-Problem gestellt – das allerdings mehrfach abgewandelt wurde. Die grundsätzliche Fragestellung: Würden sie eine Einzelperson auf die Gleise vor einen Zug schubsen, um eine Gruppe von Menschen zu retten? Jedoch handelte es sich bei der Einzelperson aber einmal um einen anderen Menschen, einmal um einen humanoiden Roboter mit klar erkennbar menschlichen Zügen. Und ein weiteres mal um einen Roboter, der ganz klar als Maschine zu identifizieren ist. Um die Situation zu intensiveren, wurden den Studienteilnehmern noch kleine Geschichten präsentiert, die den Roboter in sozialen Situationen und als emotionales Wesen zeigen.
Mehrere Teilnehmer hatten keine Skrupel, die klar erkennbare Maschine auf die Gleise zu stoßen. Aber bei dem menschenähnlichen Roboter entschlossen sie sich mehrfach, ihn zu verschonen – selbst, wenn dadurch mehrere Menschen zu Schaden kämen. Insbesondere wenn sie den Roboter als fühlendes Wesen kennenlernten, wollten sie ihn nicht verletzen. „Das zeigt, dass wir Robotern einen moralischen Status und Attribute wie Gedanken und Gefühle zusprechen können“, sagt Sari Nijssen gegenüber 1E9. „Und dass das umso stärker der Fall ist, je menschlicher oder menschenähnlicher sie gestaltet sind.“
Gebt Robotern Augen!
Laut Sari Nijssen könnte der Gewalt gegen Roboter begegnet werden, indem Roboter menschlicher und lebendiger designed werden. Das würde die Angriffe auf Roboter nicht gänzlich verhindern – aber vielleicht vermindern. „Diese anthropomorphischen Eigenschaften müssten nicht einmal besonders stark sein“, denkt Nijssen. Bereits Robotern erkennbare LED-Augen zu verpassen, die blinzeln und traurig schauen können, könnte helfen. „Oder man könnte einen Roboter so etwas wie ,Autsch! Das war nicht nett von dir!‘ sagen lassen, wenn er getreten wird“, schlägt die niederländische Forscherin vor. „Dadurch wird bereits eine emotionale Brücke aufgebaut, die eine Vermenschlichung zulässt.“
Aber zu menschlich sollten die Roboter auch nicht werden – jedenfalls nicht ohne Grund. Denn das könnte wiederum mit ihrem Zweck kollidieren, auch Arbeiten zu übernehmen, die Menschen nicht tun sollten – beispielsweise, weil sie zu gefährlich sind. „Ein Roboter, der etwa in einem Kriegsgebiet gefährliche Bomben entschärfen soll, braucht nicht menschenähnlich auszusehen“, erklärt Nijssen. „Das wäre unnötig und kontraproduktiv. Es muss davon abhängen, ob und wie die Roboter mit echten Menschen interagieren sollten.“
Ganz geklärt ist also nicht, wieso Menschen auf Roboter losgehen und sie verletzten. Dafür braucht es noch mehr Forschung und Beobachtung. Klar ist aber: Letztlich müssen wir Menschen einen Weg finden, ohne Gewalt mit Robotern zusammenzuleben. Denn: „Roboter sind ein Teil unserer Welt“, sagt Nijssen. „Und sie werden es auch bleiben.“
Teaser-Bild: Getty Images