Von Achim Fehrenbach
Eine schwach beleuchtete Wohnung. Ein bläulicher Bildschirm. Hektisch hackt der Programmierer Sven die letzten Codes in die Tastatur. Enter. Fertig. Im Raum erscheint das Hologramm einer blonden Frau im roten Kleid. Helena ist geboren. „Kann es sein, dass du eine Diät machst? Du bist wunderschön“, lauten ihre ersten Worte. Sven ist begeistert…
Der Beginn der Web-Serie Helena: Die Künstliche Intelligenz ist ein bunter Klischee-Mischmasch aus Her , Blade Runner 2049 und diversen anderen Hollywood-Filmen. Der KI-Programmierer ist ein besessener Nerd, dem jegliche Distanz zu seiner Schöpfung abgeht. Die KI ist ein holografisches, verführerisches Wesen. Würde Uwe Boll einen Film über KI machen, sähe dieser Film wahrscheinlich genau so aus.
Bei der Web-Serie Helena allerdings ist das Klischee Konzept: Erst wird es ausgebreitet und dann genüsslich zerpflückt. Die satirische Rahmenhandlung holt all die KI-Stereotype hervor, die wir als Medienkonsumenten mit uns herumtragen – nur, um sie dann mit dem tatsächlichen Entwicklungsstand Künstlicher Intelligenz zu konfrontieren. Aber funktioniert das auch?
Zu Besuch im Kindergarten für Roboter
Jede der sieben Helena -Folgen ist rund zehn Minuten lang. Alle Folgen sind bereits in den Mediatheken abrufbar. Die Einleitung ist stets fiktional, dann folgt der Besuch bei KI-ForscherInnen. Zu den bekanntesten Persönlichkeiten, die in Helena zu Wort kommen, gehören die Futuristin und Konzernkritikerin Amy Webb, der Turing-Preisträger Yann LeCun und die Medienpsychologin Martina Mara. Die Serienmacher besuchen aber auch den Vater von iCub, Giorgio Metta, der in Genua eine Art Roboterkindergarten betreibt. Sie schauen in Israel bei der Firma General Robotics vorbei, die KI-gesteuerte Kampfdrohnen entwickelt. Und sie porträtieren den niederländischen Forscher Gusz Eiben, der auf die eigenständige Fortpflanzung von Robotern setzt. „Wir haben Beispiele für KI-Trends ausgewählt, anhand derer man einen ganz guten Überblick bekommt“, sagt Showrunnerin Christiane Miethge im Interview mit 1E9. „So wollen wir die Menschen zum Nachdenken bringen.“
Die Serie setzt so gut wie kein Wissen über KI voraus – bis auf die SciFi-Klischees, die in unseren Köpfen herumspuken. „Wir haben vor dem Dreh viele Leute gefragt, was sie mit dem Thema KI verbinden, welche Fragen sie haben“, sagt Christiane Miethge. „Fast immer kam die Aussage: Wir wissen gar nicht, warum das überhaupt intelligent heißt.“
Diese Grundlagen will Christiane in der ersten Folge anhand des Roboters iCub erklären, der wie ein Baby lernt. Wir sehen den kulleräugigen Kinderroboter, wie er schwankend ein paar Schritte läuft, Gegenständen betastet oder sie von seinem Schöpfer Giorgio Metta entgegennimmt. Für eine Einsteiger-Serie über KI ist das ein großartiger Beginn: Die Künstliche Intelligenz bekommt hier gleich ein Gesicht, bleibt nicht im Abstrakten. „Das Thema Künstliche Intelligenz kann sehr komplex und trocken sein“, sagt die Filmemacherin. „Uns war es wichtig, auch die Menschen abzuholen, die sich noch nicht eingehend mit dem Thema auseinandergesetzt haben. Jeder sollte grundsätzlich wissen, was Künstliche Intelligenz ist und was sie kann.“
Die Botschaft von Folge 1 ist in etwa die: Von einer künstlichen Superintelligenz sind wir noch weit entfernt. „Die Roboter sind immer noch mit dem Greifenlernen beschäftigt und können – anders als ein Kind – nicht so leicht viele unterschiedliche Dinge lernen“, sagt Christiane Miethge.
Dogo und Pitbull als Akteure auf dem Schlachtfeld
Dieser Bruch mit KI-Klischees zieht sich durch die ganze Serie. Folge 4 beginnt damit, dass Helena Tausende von Social-Media-Profilen analysiert. Ihr Ziel ist, die beliebteste KI überhaupt zu werden. Deshalb postet Helena schließlich eine Mischung aus dem, was am meisten Likes erhält: Katzen, Brüste und Waffen. Von da springt die Folge zum Waffenhersteller General Robotics („Fighter’s Best Partners“) in Tel Aviv, der verschiedene Arten von KI-unterstützten Kampfrobotern herstellt: Etwa die leichte Kampfdrohne Dogo, die laut Hersteller primär gegen Terroristen zum Einsatz kommen soll, oder die fernlenkbare Geschützstation Pitbull, die beispielsweise auf Panzerfahrzeuge montiert werden kann. KI-Algorithmen dienen bei diesen Robotern als Zielhilfe. Soldaten und Sondereinsatzkräfte steuern die Kampfmaschinen über ein Display und entscheiden, wann und wo geschossen wird.
Die Bilder der Folge erinnern bezeichnenderweise an Computerspiele wie Watch Dogs 2 oder Battlefield , in denen ebenfalls Kampfdrohnen zum Einsatz kommen. Wir sehen den General-Robotics-CEO Shahar Gal, wie er begeistert eine Dogo-Drohne lenkt: „Ganz leicht. Einfach zielen und schießen. Jeder kann das! […] Fünf Schüsse! Eins, zwei, drei, vier, fünf. Kein Mensch ist so akkurat, besonders unter Druck!“ Im nächsten Atemzug darf Gal den Zuschauern dann seine Unternehmensphilosophie darlegen: „Wir leben in aufregenden Zeiten. Wir stehen erst am Anfang und wir werden immer mehr Roboter auf dem Schlachtfeld sehen. Wir wollen immer weniger Menschen auf dem Schlachtfeld haben, stattdessen sollen sich die Roboter gegenseitig bekämpfen. Am Ende sind es Maschinen, die man ersetzen und reparieren kann. Menschen nicht.“
Sollen Maschinen über Leben und Tod entscheiden?
Dass sich aus diesem Konzept ethisch höchst schwierige Fragen ergeben, weiß jeder, der sich schon einmal ansatzweise mit autonomen Waffensystemen beschäftigt hat. Tatsächlich gelingt es auch der Web-Serie, die Aussagen Gals nachträglich zu problematisieren – indem sie einen weiteren Experten zu Wort kommen lässt: den Politikwissenschaftler Frank Sauer von der Universität der Bundeswehr München. „Maschinen haben kein Verständnis davon, was menschliches Leben ist“, sagt Sauer. „Und deswegen würde ich es aus einem ethischen Beweggrund heraus für grundsätzlich falsch halten, diese Entscheidung über Leben und Tod auf dem Schlachtfeld einer Maschine zu delegieren. Ich würde es für falsch halten, wenn wir Menschen zu Objekten degradieren, indem wir sie quasi in Datenpunkte umwandeln, die wir dann durch eine Maschinerie füttern und an diesem ganzen Geschehen gar nicht mehr teilhaben.“
Wir müssen uns Sorgen machen, weil die Waffen ziemlich dumm sind.
Frank Sauer, Universität der Bundeswehr
Anschließend schildert Sauer, welch komplexe Gemengelagen sich auf Schlachtfeldern ergeben können, die eine KI – zumindest heute – kaum durchschauen kann. Etwa dann, wenn Kämpfer zu Täuschungszwecken eine weiße Flagge hissen. „Die Vorstellung, dass sich die Waffen irgendwie selbstständig machen, ist wirklich Science-Fiction“, sagt Sauer am Ende des Beitrags. „Davor muss man keine Angst haben. Man muss auch keine Angst davor haben, dass diese Waffen übermäßig intelligent wären. Im Gegenteil: Wir müssen uns Sorgen machen, weil die Waffen ziemlich dumm sind.“
Die Serie soll den Zuschauern nicht zu viel abverlangen
Die Web-Serie leistet in ihren rund zehminütigen Folgen also durchaus Beachtliches: Sie lässt verschiedene Meinungen pointiert zu Wort kommen und vermittelt dadurch einen ersten Eindruck von der Komplexität des Themas. Das Gesamtkonzept geht aber auch nur dann auf, wenn es zum Nachdenken und zu Eigenrecherchen anregt. „Wir würden von den Zuschauern wahrscheinlich zu viel verlangen, wenn wir bis ins kleinste Detail erklären würden, wie KI funktioniert“, sagt Christiane Miethge.
Das kompakte Serienformat haben die Macher bewusst gewählt, um Diskussionen in Gang zu bringen – eine Fokussierung auf Details würde den Blick auf das große Ganze verdecken. In dem Online-Serienpaket bieten BR und Arte auch Verlinkungen auf externe Quellen, um die Eigenrecherchen anzustoßen. Laut Christiane Miethge soll die Serie später allerdings auch im Fernsehen ausgestrahlt werden. Bleibt zu hoffen, dass das Konzept dann ebenfalls funktiniert – und die Aussagen der ExpertInnen dann nicht als Glaubenssätze übernommen werden.
Mit Amy Webb und Martina Mara sind jedenfalls zwei spannende Stimmen an Bord. Besonders Webb erweist sich als wohltuend kritischer Widerpart zu den Berufsoptimisten des Silicon Valley. Webb kritisiert beispielsweise, dass die Zukunft der KI im Wesentlichen von neun börsennotierten Unternehmen gestaltet wird: drei in China (Alibaba, Tencent, Baidu) und sechs in den USA (Google, Microsoft, Apple, Facebook, IBM, Amazon). Diese Unternehmen würden mit ihren Server-Architekturen und Patenten bestimmen, wohin die KI-Reise geht. Webb nennt die sechs US-Firmen „G Mafia“ – und wirft ihnen vor, Geschwindigkeit und Profit vor gesellschaftliche Interessen zu stellen.
Martina Mara kritisiert, dass sämtliche Sprachassistenten in der Grundeinstellung imme weibliche Stimmen haben: „Das erinnert natürlich schon verdächtig an dieses traditionelle Bild der Sekretärin, die 24/7 immer erreichbar und verfügbar ist.“ Auch „Helena“-Showrunnerin Christiane kritisiert im 1E9-Interview den strukturellen Rassismus und Sexismus der KI-Industrie, wie er zum Beispiel bei Amazons KI für Stellenbesetzungen zutage trag. Wie schwierig es ist, KI-Expertinnen vor die Kamera zu bekommen, musste Miethge bei ihren Recherchen feststellen: „Die Mehrheit der KI-Forscher besteht aus weißen Männern.“
Wuchtige Kritik und ein blasser Preisträger
Angesichts der wuchtigen Kritik von Mara und Webb wirkt auch der Turing-Preisträger Yann LeCun ziemlich blass. LeCun sitzt im europäischen KI-Forschungszentrum von Facebook, lobt die Offenheit des Forschungsansatzes und sagt Sätze wie: „In der Zukunft werden wir Maschinen haben, die genau so intelligent sind wie der Mensch.“ Er könnte jetzt sicher spannende Vorträge über sein Spezialgebiet halten, die convolutional neural networks – doch das würde natürlich Rahmen der Web-Serie sprengen.
Womit wir wieder bei den Stärken und den Schwächen des Formats wären: Helena kann und will einen ersten Eindruck von KI vermitteln, aber eben nicht tiefer in das Themengebiet eintauchen. Für Christiane Miethge und ihr Team ging es vor allem darum, mit klischeeinduzierten Ängsten aufzuräumen – und den Blick der Zuschauer auf ganz reale Chancen und Gefahren von KI zu lenken. „Es gibt heute viel dringende Probleme, bei denen Künstliche Intelligenz helfen kann, zum Beispiel beim Schutz des Klimas oder bei der Verteilung von Ressourcen“, sagt sie. Mit ihrem spielerisch-dokumentarischen Ansatz führt die Web-Serie Helena Zuschauer gekonnt an das Thema heran – und bietet auch sonst genügend Diskussionsstoff.
Titelbild: Felix Beßner