Wie soll unsere 1E9-Redaktion mit der Community zusammenarbeiten?

Wahrscheinlich habt ihr schon mitbekommen, dass wir bei 1E9 eine neue Art von Journalismus ausprobieren wollen, intern nennen wir ihn Community Powered Journalism. Bevor ich erkläre, was ich damit meine, will ich kurz ausführen, warum wir das probieren wollen. Wir hätten ja auch das Geschäftsmodells des inoffziellen Vorgänger, der deutschen WIRED übernehmen können. Doch das wollten wir ganz bewusst nicht.

Die meisten Online-Medien finanzieren sich nach wie vor über Werbeeinnahmen. Die nach wie vor wichtigste Einnahmequelle bleibt für die meisten Publisher der Verkauf von Banner-Werbeflächen. Der Erlös richtet sich in der Regel nach den Ad-Impressions. Das bedeutet: Je häufiger die Nutzer einer Seite eine Anzeige zu sehen bekommen, umso mehr verdient der Publisher. Ein ziemlich einfaches Geschäftsmodell, das aber gravierende Folgen hat.

Das heutige Medien-Geschäftsmodell führt oft zu Clickbaiting

Wenn Klicks zählen, dann steigt gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten der Druck auf Redaktionen, möglichst viele Klicks zu erzeugen. Gepaart mit immer kleiner werdenden Redaktionen – die digitalen Werbeerlöse steigen in vielen Häusern langsamer als die Printerlöse fallen – führt das zum schleichenden Qualitätsverlust. Eigene Hintergrundberichte werden ersetzt durch klickträchtigen, schnellen Content. Am Ende bringen alle dieselben News, für Tiefgang und Einordnung bleibt immer weniger Raum. Die Algorithmen von Traffic-Treibern wie Google oder Facebook bestimmen oft die Inhalte. Verbleibendes journalistisches Personal wird zur SEO-Optimierung oder als Social Media Manager eingesetzt.

Der zahlende Kunde der meisten Medien ist genau genommen nicht mehr die Leserin oder der Nutzer. Der Kunde ist das werbetreibende Unternehmen. Doch es gibt inzwischen neue Konkurrenz: Google, Facebook und Amazon eignen sich viel besser, um simple Werbebotschaften, etwa für Produkte, zu platzieren. Sie haben viel mehr Daten über ihre User als Publisher, können Anzeigen also viel gezielter schalten. Die Folge: Über zwei Drittel der digitalen Werbeausgaben landen inzwischen bei Google, Facebook und Amazon. Dann kommen andere Digitalkonzerne wie Microsoft. Den kläglichen und schrumpfenden Rest dürfen die Publisher unter sich verteilen. Selbst junge Superstars der Branche wie BuzzFeed oder Vox Media mussten inzwischen ihre Prognosen senken oder sogar Stellen streichen.

Bei 1E9 wollen wir deshalb neue Weg gehen. Wir wollen unsere Mitglieder zu unseren Kunden machen. Mehr als das: zu unseren Partners in Crime, Unterstützern, Mitgestaltern, Mitdenkern, Co-Autoren. Die Frage ist: Wie kann das funktionieren?

Deshalb wollen wir die Community einbinden

Unsere Idee des Community Powered Journalism ist nicht völlig neu, sondern baut auf vielen Projekten auf, die es in der Branche schon gab. Eine wichtige Inspirationsquelle für uns war erstaunlicherweise ein Zitat aus einem Artikel des Nieman Lab, der schon ein paar Jahre auf dem Buckel hat. Er stammt aus dem Jahr 2012. Hier ist der Abschnitt, der wiederum ein Zitat enthält:

As Michael Skoler suggested a couple of years ago in Nieman Reports, when paywall thinking gives way to membership thinking, the business model becomes community rather than audience. “To harness this model,” Skoler wrote, “news organizations need to think of themselves first as gathering, supporting, and empowering people to be active in a community with shared values, and not primarily as creators of news that people will consume.

Aus der anonymen Audience wird die engagierte Community. Aus Journalisten, die Newslieferanten sind, werden Journalisten, die Menschen dabei unterstützen, in einer Community aktiv zu sein, die sich durch gemeinsame Werte auszeichnet. Ich persönlich habe große Lust darauf, diesen Rollenwechsel auszuprobieren!

Im Gegenzug für die Unterstützung durch die Redaktion beteiligt sich die Community über Mitgliedsbeiträge an den Kosten. Gerade für kleinere Organisationen, die keine mächtige Marke wie die New York Times oder die Washington Post mitbringen, könnte das eine gute Alternative zur Paywall werden.

Für ein Projekt wie 1E9, das zu einer Denkfabrik werden will, von deren Ergebnissen möglichst viele Menschen profitieren sollen, wäre eine rigorose Paywall ohnehin ein Problem. Wie soll die Welt von unseren Ideen erfahren, wenn sie hinter der Bezahlschranke stehen. Deswegen wollen wir nach unserem offiziellen Launch im Juli um Mitgliedsbeiträge bitten. Wer zur Community dazu gehören will, soll sich an den Kosten dafür beteiligen. Der Großteil unserer Inhalte im Magazin soll dennoch frei zugänglich bleiben.

Wie soll der Austausch mit den Mitgliedern stattfinden?

Vorneweg: Für uns ist das Konzept Neuland, deswegen sind unsere Ideen alle noch nicht von uns erprobt. Aber ich schildere mal, wie wir uns die Zusammenarbeit zwischen Redaktionsteam und Community vorstellen.

Ein zentraler Ort dafür wird die Magazinwerkstatt auf dem Campus sein. Dort wird die Redaktion um Input für geplante Themen bitten oder um Fragen für anstehende Interviews. Auch wollen wir dort abstimmen lassen, welche Themen, die wir uns vorstellen können, zuerst umgesetzt werden. Außerdem sollen unsere Mitglieder ihre Themenwünsche posten können: Welche Fragen haben sie? Welche aktuelle Thematik sollte mal gründlich durchleuchtet werden? Wen sollen wir um ein Interview bitten?

Von Mitgliedern verfasste Beiträge, die im Bereich Bleibendes auf dem Campus veröffentlicht wurden, können es auch in unser Magazin schaffen, das die höchste Sichtbarkeit hat. Ist die Autorin eine ausgewiesene Expertin oder bekommt der Beitrag eines Nutzer besonders viel Zustimmung aus der Community, so wird das Redaktionsteam den Text in Absprache mit der Urheberin bzw. dem Urheber noch einmal checken, formatieren und dann ins Magazin verschieben.

Auch die Zirkel spielen eine Rolle für den Journalismus von 1E9. Das Team beobachtet die Diskussionen, die dort stattfinden, ist (so wie hier gerade) selbst dort aktiv und kann in Absprache mit den anderen Zirkelmitgliedern Themen und Ideen aufgreifen, um daraus Artikel fürs Magazin zu machen. Oder die Redaktion unterstützt jemanden aus der Community dabei, den Artikel selbst zu schreiben.

Natürlich beobachtet das 1E9-Team auch die Debatten unter den Magazinartikeln. Gibt es dort gute Ergänzungen wird der Text überarbeitet und bekommt ein Update. Liegen wir falsch, korrigieren wir die Story. Oder es ensteht durch die Diskussion schon das nächste Thema.

Unsere Hoffnung ist: Wenn die Redaktion auf die Wünsche und Interessen der Community eingeht, kommen am Ende Artikel und Inhalte heraus, die wirklich relevant für die 1E9-Mitglieder sind. Wer an der Entstehung von Storys beteiligt war, vertraut den Journalistinnen und Journalisten auch wieder mehr. Das heißt, auch das Glaubwürdigkeitsproblem lässt sich durch diesen Ansatz möglicherweise lösen. Und: Wer selbst involviert war, teilt Beiträge eher mit seinem Netzwerk. Am Ende könnte also sogar die Reichweite profitieren, ganz ohne Clickbaiting.

Was meint ihr @Journalismus ?

Soweit die Theorie. Jetzt kommt ihr ins Spiel: Findet ihr unsere Überlegungen schlüssig? Oder sind wir naiv? Wie sollte die Community einbezogen werden? Wie würdet ihr selbst gerne mitmachen? Und habt ihr vielleicht noch Tipps dafür, wie wir später auch zahlende Mitglieder bekommen?

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Hi Wolfgang,

mal ganz ehrlich gesagt mochte ich als „Kunde“ oder „Konsument“ von Journalismus eigentlich ganz gern die „Berieselung“ von Inhalten. Also, ich bezahle Geld dafür dass ich Inhalte bekomme die die Journalisten schon recherchiert und aufbereitet haben.
Wenn ich andersrum selbst Autor bin, recherchiere ich meine Artikel auch und freue mich dann zwar über Kommentare als Feedback, fände es aber auch nervig wenn mir da jemand „reinquatscht“.
Über euren neuen Weg des, ich sags jetzt mal extra plakativ, kollaborativen Journalismus bin ich daher wirklich gespannt und neugierig ob und wie sich das entwickelt.

Vor allem die Frage, ob die Community sich einbringt und gleichzeitig bezahlt ist ja eine spannende. Man könnte ja auch sagen „ich hab mich am Artikel beteiligt, dann will ich dafür nicht auch noch bezahlen“ - weißt du wie ich mein?
Jetzt dem ersten Bauchgefühl nach würde ich persönlich lieber monatlich bezahlen um gut recherchierte Inhalte zu bekommen, gerne mit Kommentarfunktion. Aber ohne den „Druck“ mitarbeiten zu „müssen“.

Ja ganz schön viele " " hier aber ich tu mich grad noch schwer genau zu erklären wie ich das meine, weil es einfach neu ist und wahrscheinlich muss man einfach auch mal abwarten wie sich alles entwickelt und WIE GENAU ihr das alles meint.

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