Die elektrischen Tretroller, besser: E-Scooter, sind in Deutschland angekommen. Sie machen Spaß und sind praktisch. Aber: Es gibt einiges, was dafür spricht, dass dem großen Hype irgendwann eine Phase der Ernüchterung folgen könnte. Die Scooter leben offenbar nicht lange. Und die Firmen dahinter verbrennen viel Geld.
Von Wolfgang Kerler
Seid ihr auch schon E-Scooter gefahren? Ich habe am Wochenende zum ersten Mal einen der unzähligen Elektro-Tretroller getestet, die in Berlin, München und anderen Großstädten über Nacht von mehreren Sharing-Diensten aufgestellt wurden.
Es hat wirklich Spaß gemacht. Die Anmeldung beim Sharing-Anbieter war in einer Minute erledigt, das Gerät funktioniert super einfach und man kommt schnell von A nach B. Der Preis war mir allerdings etwas zu hoch: Jede Freischaltung eines Rollers kostet bei der Firma, die ich getestet habe (zur Info: Tier) einen Euro, jede Minute Fahrt 15 Cent. Das ist der übliche Preis in der Branche. Die Kosten für eine ÖPNV-Strecke sind da aber schnell eingeholt. (Eine Fahrt in der vollgestopften, verschwitzten U-Bahn macht natürlich deutlich weniger Spaß.)
Ich fand es erstaunlich, wie schnell der Roller beschleunigt. Ich kann mir also gut vorstellen, dass wir auch bald erste Berichte über Unfälle lesen werden. Genau wie vergangenes Jahr in den USA. Aber kommen wir zu den zwei interessanten Feststellungen, auf die ich euch eigentlich hinweisen will.
Die Lebensdauer der Roller ist (zu) kurz
Vor ein paar Wochen hat sich Alison Griswold von QUARTZ basierend auf den öffentlich zugänglichen Daten über die Scooter-Nutzung in Louisville, im US-Bundestaat Kentucky, die durchschnittliche Lebenserwartung der E-Scooter angeschaut. Sie betrug für den betrachteten Zeitraum von August bis Dezember 2018 ihren Berechnungen zufolge gerade einmal 28,8 Tage.
Das heißt: Im Schnitt überlebten die Geräte nicht einmal einen Monat, bevor sie kaputt gingen oder verschwanden. Bis dahin brachten sie durchschnittlich 260 Kilometer Strecke hinter sich, bei rund 92 Fahrten. Nicht gerade die Welt. (Übrigens ein kurzes Lob an die Stadtverwaltung von Louisville, die eine konsequente Open Data Politik fährt. Wer selbst Scooter-Statistiken machen will, findet hier die Daten, die die Anbieter der Stadt zur Verfügung stellen.)
Verbrennen die Scooter-Firmen Geld?
Die kurze Lebensdauer könnte auch die Lebensdauer der Sharing-Anbieter verkürzen. Ebenfalls basierend auf den Louisville-Daten sowie auf einem Bericht von The Information über die Kostenstruktur der Scooter-Firma Bird (Paywall) stellt Alison Griswold eine weitere ernüchternde Berechnung auf.
Abzüglich aller Betriebskosten verdiente Bird in Louisville gerade einmal 67 Dollar über die durchschnittliche Lebensdauer eines Rollers. Der Anschaffungspreis für ein Gefährt dürfte demnach aber - und das ist ein Zielwert, den Bird laut The Information für die Zeit nach einer Kostensenkungen angegeben hat - bei mindestens 360 Dollar gelegen haben. Das bedeutet pro Roller einen durchschnittlichen Verlust von 293 Dollar. Wow.
Fairerweise sollte man nicht vergessen, dass Bird auf Nachfrage von Alison Griswold angab, die Lebensdauer der Scooter sei länger. Es handele sich um eine dynamische Flotte und es würden auch mal Roller in andere Städte transportiert, repariert und so weiter. Dennoch sagte der Bird-CEO selbst noch im März, dass man die durchschnittliche Lebensdauer der Roller auf sechs Monate erhöhen müsste, um profitabel werden zu können. Schon 2018 stellte der Anbieter robustere Geräte vor. Der Konkurrent Lime, der in Berlin bereits vertreten ist, präsentierte ebenfalls schon im vergangenen Jahr Roller, die mehr aushalten sollen.
Wir dürfen also davon ausgehen, dass die Scooter, die gerade Deutschland erobern, ein längeres Leben haben dürften als die mutmaßlichen 28,8-Tages-Geräte aus Louisville. Aber, wie Andy Hawkins von The Verge in diesem Video (das alles gut zusammenfasst) zu bedenken gibt: Robustere Scooter sind auch noch teurer.
Auf Basis anderer Zahlen kommt ARK Invest - ein New Yorker Investment-Berater, der auf disruptive Technologien spezialisiert ist - zum Schluss, dass die Scooter-Betreiber derzeit noch Geld verbrennen. ARK sieht allerdings Potential für erhebliche Kostensenkungen in Zukunft. Die größte Gefahr allerdings: zerstörte Scooter. Angesichts der Tatsache, dass es gerade ein Instagram-Trend zu sein scheint, Scooter vor laufender Kamera zu zerstören, ist das kein Problem, das die Anbieter einfach ignorieren können.
https://www.instagram.com/p/BzBw4EBl-1u/
Noch ist der Hype gut finanziert
Der Weg zur finanziellen Nachhaltigkeit ist für die Branche also noch weit. Über Nacht verschwinden werden die Scooter aber vorerst eher auch nicht. Die Firmen dahinter sind ausgesprochen gut finanziert. Hunderte Millionen Euro haben Wagniskapitalgeber schon investiert. Bird sammelte Anfang des Jahres 400 Millionen US-Dollar ein. Das Berliner Start-up Tier kommt da zwar noch nicht heran. Es konnte aber auch schon über 30 Millionen Euro einsammeln.
Kein Wunder: Der Markt für Elektromobilität könnte in Europa bis 2025 auf ein Volumen von 12 bis 15 Milliarden Euro anwachsen. Sollte die Scooter-Branche bis dahin das Kosten- und Lebensdauerproblem in den Griff bekommen, könnten sich die Investitionen also durchaus lohnen. Auf jeden Fall machen die Dinger Spaß und sind praktisch.
Teaser-Bild: Getty Images