Reisen zu neuen Welten jenseits unseres Sonnensystems erscheint bisher schwierig. Auch weil diese Hunderte oder Tausende von Jahren dauern könnten. Eine Möglichkeit, solche interstellaren Missionen zu bewältigen, wären riesige Raumschiffe, auf denen Menschen leben, sterben und geboren werden. Doch wie könnten solche Generationenschiffe aussehen und funktionieren? Das will eine Initiative jetzt mit einem internationalen Wettbewerb herausfinden.
Von Michael Förtsch
Es ist erstaunlich. Bis vor 30 Jahren war die Existenz von mehr als unseren acht Planeten – und damals noch Pluto als neuntem – nur eine Vermutung, die auf kosmologischen Modellen, physikalischen Theorien und indirekten Hinweisen beruhte. Erst 1992 konnten Planeten außerhalb unseres kosmischen Vorgartens tatsächlich nachgewiesen werden. Dabei handelte es sich um die heute als Draugr, Poltergeist und Phobetor bezeichneten drei Planeten, die den etwa 2.300 Lichtjahre von der Erde entfernten Pulsar Lich PSR B1257+12 umkreisen. Seit dieser Entdeckung wurden mit neuen Messmethoden und modernen Weltraumteleskopen mehrere tausend weitere sogenannte Exoplaneten entdeckt, einige davon in so genannten habitablen Zonen. Das heißt, sie befinden sich in einer Umlaufbahn um einen Stern, die theoretisch Leben und eine neue Heimat für die Menschheit ermöglichen könnte.
Doch eine Reise zu einem solchen Planeten ist bislang kaum machbar. Denn selbst unser nächster potenziell bewohnbarer Nachbar, der Exoplanet Proxima Centauri b, ist 4,2 Lichtjahre – also 39,7341 Billionen Kilometer – entfernt. Er wurde 2016 von der Europäischen Südsternwarte entdeckt. Die Reise dorthin würde mit konventionellen Raketentriebwerken 50.000 bis 70.000 Jahre dauern. Die mit 692.000 Kilometern pro Stunde fliegende Raumsonde Parker Solar Probe, das schnellste von Menschen entwickelte Fahrzeug, würde etwa 6.000 Jahre benötigen. Mit futuristischen, aber theoretisch realisierbaren Antriebskonzepten wie nuklearen Pulsantrieben, Fusionsraketen oder Sonnen- und Lasersegeln könnten vielleicht einige Prozent der Lichtgeschwindigkeit erreicht werden, was die Reise auf einige Jahrhunderte, oder im besten Falle mehrere Jahrzehnte verkürzen könnte. Doch selbst das wäre immer noch so lange, dass die Mitglieder einer bemannten Expedition ihre Ankunft nicht mehr oder bestenfalls im hohen Rentenalter erleben würden.
Die Lösung? Diejenigen, die die unbekannte Welt erkunden sollen, werden während der Reise geboren. Das ist die Idee der sogenannten Generationsschiffe. Der Raketenpionier Robert Goddard formulierte das Konzept bereits 1918 in einem Aufsatz mit dem Titel The Last Migration. Er spekulierte über die Möglichkeit, kosmische Archen zu bauen, auf denen Menschen leben, sterben und geboren werden, um die Menschheit zu einer interstellaren Spezies zu machen. Bisher gibt es sie allerdings nur in der Science Fiction. Zum Beispiel in Romanen wie Starship: Reise ohne Ende von Brian Wilson Aldiss, Rendezvous mit 31/439 von Arthur C. Clarke, Ring von Stephen Baxter, Folgen von Serien wie Star Trek: Voyager und The Expanse. Aber das könnte sich in nicht allzu ferner Zukunft ändern.
Dafür will zumindest der Raumfahrttechniker Andreas Hein sorgen. Er studierte einst an der TU München, arbeitete bei der ESA, forschte am MIT und an der Universität Paris-Saclay. Heute ist er Präsident der Initiative for Interstellar Studies, die interstellare Reisen erforscht, und Leiter des 2011 gestarteten Projekts Hyperion, mit dem er und einige Gleichgesinnte herausfinden wollen, ob und wie ein solches Generationenraumschiff realisiert werden und funktionieren könnte. „Über ein Jahrzehnt haben wir Stück für Stück an grundlegenden Fragen gearbeitet“, sagt er zu 1E9. Jetzt sei es an der Zeit, mit dem konkreten Design eines solchen Raumschiffs zu beginnen.
Daher rufen Andreas Hein und seine Mitstreiter weltweit dazu auf, Konzepte für ein Generationenschiff zu entwerfen und bei einem Wettbewerb einzureichen. Das Siegerteam kann 5.000 US-Dollar gewinnen.
Ein Schiff für ein ganzes Dorf
Wie Andreas Hein sagt, haben er und die anderen Mitglieder des Projekts Hyperion in den vergangenen Jahren bereits zahlreiche Voruntersuchungen durchgeführt und Studien erarbeitet. Vor allem darüber, welche Anforderungen ein Generationenschiff erfüllen und welche Probleme es lösen müsste. Zum Beispiel, wie viele Menschen nötig wären, um eine gesunde Population auf einer Generationenreise zu erhalten. „2022 haben wir einen Artikel im Journal Acta Futura der europäischen Raumfahrtagentur ESA publiziert, in dem wir den Stand der Forschung zum Thema Bevölkerungszahl zusammenfassen“, berichtet Hein. Außerdem hat er selbst intensiv zum Thema Wissenstransfer gearbeitet – das beispielsweise für die Wartung und Steuerung eines Generationenschiffes und das bevorstehende Überleben auf der neuen Welt essentiell wäre.
„Es gibt die weit verbreitete Annahme, dass man Wissen irgendwo abspeichern und dann bei Bedarf abrufen kann, zum Beispiel in einer Bibliothek“, sagt er. „Jeder, der schon einmal handwerklich gearbeitet hat, weiß aber, dass man Fertigkeiten so nicht speichern kann. Hinter jeder Technologie steckt eine Vielzahl von Fähigkeiten. Technologien können nicht beliebig gespeichert und abgerufen werden. Man braucht große Gruppen und Organisationen, die die entsprechenden Fähigkeiten vorhalten.“ Für eine kleine, hermetisch abgeschlossene Gesellschaft sei es daher eine Herausforderung, wenn nicht gar unmöglich, das Wissen und die Fähigkeiten für die nachrückenden Generation zu erhalten. Wissen, Technologien und Fähigkeiten könnten auf diesem Weg aussterben. Das müsse bei der Planung eines solchen Schiffes berücksichtigt werden.
Aber auch in anderer Hinsicht verlangt das Projekt Hyperion den Wettbewerbsteilnehmern einiges ab. Neben Antrieb, Architektur, Energie- und Sauerstoffversorgung, Kommunikation und Strahlenschutz soll zum Beispiel auch das Leben auf dem Schiff ausgearbeitet werden – und das für eine Reisezeit von 250 Jahren. „Wir erwarten Einreichungen, die sich intensiv mit der Wechselwirkung zwischen Gesellschaft und Technologie auseinandersetzen“, so Hein. Beispielsweise müsse die Frage beantwortet werden, ob die Nahrungsmittelproduktion mit Hilfe von Technologien wie Robotern automatisiert oder allein menschlichen Arbeitskräften überlassen werden sollte. Denn beide Extreme könnten große Vor- und Nachteile haben. Menschliche Arbeiter könnten weniger effizient sein, während Roboter aufgrund von Fehlfunktionen plötzlich ausfallen könnten.
Auch Faktoren wie Sprache, Ethik, Religion und Spiritualität, Reproduktion und eine „angenehme Lebenswelt“ für die zwischen 500 bis 1.500 Personen starke Besatzung des Generationenschiffes sollen möglichst adressiert werden. Es solle also ein Gesamtsystem skizziert werden, mit dem eine Crew eine solch epische Reise antreten und mit hoher Wahrscheinlichkeit überstehen könnte. Laut Andreas Hein habe das bisher noch niemand getan – jedenfalls nicht in einem wissenschaftlichen Kontext. „Das wurde immer der Science Fiction überlassen“, sagt er. „Aber gerade das macht es spannend. Wir explorieren. Wir betreten hier Neuland.“
Beginn der Reise frühestens in 300 Jahren?
Ein Generationenschiff sei grundsätzlich keine Spinnerei, sondern durchaus machbar. Davon sind Andreas Hein und das Team hinter dem Projekt Hyperion überzeugt. Allerdings noch nicht jetzt. Allein schon wegen des Ingenieurs- und Konstruktionsaufwands und der Kosten. „Grob geschätzt wiegt so ein Schiff Hunderttausende bis Millionen Tonnen, also mehrere Empire State Buildings“, kalkuliert Hein. Um ein derartiges Konstrukt aufzubauen, bedürfte es einer internationalen Kraftanstrengung – und viel Geld. „Dafür bräuchte man eine hundert oder tausendmal höhere Wirtschaftsleistung als heute“, sagt Hein.
Werde Mitglied von 1E9!
Hier geht’s um Technologien und Ideen, mit denen wir die Welt besser machen können. Du unterstützt konstruktiven Journalismus statt Streit und Probleme! Als 1E9-Mitglied bekommst du frühen Zugriff auf unsere Inhalte, exklusive Newsletter, Workshops und Events. Vor allem aber wirst du Teil einer Community von Zukunftsoptimisten, die viel voneinander lernen.
Jetzt Mitglied werden!Erst in 300 bis 1.000 Jahren könnte es soweit sein, dass die Konstruktion in den Bereich der Umsetzbarkeit rückt. Vorausgesetzt, die Weltwirtschaft wächst weiter und dehnt sich womöglich auf den Weltraum, auf Mond, Mars und andere Himmelskörper aus. „Eine solche Zivilisation wird sich ein Generationen-Raumschiff als Luxus leisten können“, sagt Hein. „Nicht als Verzweiflungstat“, um etwa einer Katastrophe zu entgehen. Die Vorarbeit von Initiativen wie Project Hyperion sollen die Realisierung vereinfachen, wenn es irgendwann soweit ist und bei der Eroberung des Alls und der Besiedlung neuer Welten helfen.
Bis zum 15. Dezember können sich Teams für den Wettbewerb anmelden. Hunderte von Voranmeldungen sollen bereits eingegangen sein. Der Wettbewerb selbst wird im kommenden Jahr in zwei Phasen stattfinden. Im Juni sollen die Gewinner bekannt gegeben werden. „Wir sind überwältigt von der großen Resonanz“, sagt Hein. „Das Thema löst Emotionen aus. Es provoziert. Es ist reich an kulturellen Bezügen. Nirgendwo scheint der Grat zwischen Utopie und Dystopie schmaler zu sein als hier.“
Hat dir der Artikel gefallen? Dann freuen wir uns über deine Unterstützung! Werde Mitglied bei 1E9 oder folge uns bei Twitter, Facebook, Instagram oder LinkedIn und verbreite unsere Inhalte weiter. Danke!
Sprich mit Job, dem Bot!
War der Artikel hilfreich für dich? Hast du noch Fragen oder Anmerkungen? Ich freue mich, wenn du mir Feedback gibst!