Werden selbstreplizierende Xenobots unsere Erde in grauen Glibber verwandeln?

Wissenschaftlern ist es mittlerweile möglich, winzige biologische Roboter zu erschaffen. Diese sogenannten Xenobots verfügen über die Fähigkeit, sich selbst zu vervielfältigen, indem sie weitere Zellen nach ihrem Ebenbild zusammensetzen. Das lässt ein altes Weltuntergangszenario immer realistischer erscheinen.

Von Simon Coghlan & Kobi Leins

Im Jahr 2020 machte ein Team von Wissenschaftlern der University of Vermont weltweit Schlagzeilen. Sie hatten es geschafft, sogenannte Xenobots zu erzeugen – winzige programmierbare Lebewesen, die aus mehreren Tausend Stammzellen von Fröschen zusammengesetzt sind. Diese kleinen Xenobots konnten sich gezielt durch Flüssigkeiten bewegen. Laut den Wissenschaftlern könnten sie beispielsweise eingesetzt werden, um in bestimmten Umgebungen radioaktive Strahlung und Schadstoffbelastungen zu messen. Oder sie könnten in Blutbahnen die Wirksamkeit von Medikamenten oder Ausbreitung von Krankheiten überwachen.

Die ersten Exemplare dieser Xenobots überlebten bis zu zehn Tage. Eine zweite Welle von Xenobots, die zu Beginn des Jahres 2021 präsentiert wurde, zeigte ganz unerwartete neue Eigenschaften. Sie lebten länger und konnten sich selbst heilen. Sie demonstrierten auch die Fähigkeit, in Schwärmen zu arbeiten, indem sie sich beispielsweise in einzelnen Gruppen zusammenfanden.

Ende 2021 präsentierte das Team von Biologen, Robotikern und Informatikern, das bereits diese Art von Xenobots entwickelt hatte, dann eine neue Art der Bioroboter. Wie schon die ersten Xenobots wurden auch diese mit Hilfe einer Künstlichen Intelligenz entwickelt, um virtuell Milliarden von Prototypen zu erproben und so langwierige Versuch-Irrtum-Prozesse im Labor zu umgehen. Der entscheidende Unterschied der neuen Xenobots zu den bisherigen Exemplaren: Diese können sich selbst replizieren.

Wie bitte? Sie können sich selbst reproduzieren?

Die neue Art von Xenobots erinnert etwas an Pac-Man. Sie können in einer Flüssigkeit herumschwimmen, Froschstammzellen aufnehmen und aus diesen weitere Xenobots bilden, die ihrem eigenen Bauplan entsprechen. Diesen Prozess können sie über mehrere Generationen hinweg aufrecht erhalten. Sie pflanzen sich also nicht im herkömmlichen biologischen Sinn fort. Stattdessen bringen sie mit ihren Mündern die Froschzellen mehr oder minder in die richtige Form. Ironischerweise hat der erst kürzlich ausgestorbene australische Magenbrüterfrosch seine Nachkommen durch den Mund zur Welt gebracht.

Die aktuellen Fortschritte bringen Wissenschaftler einen Schritt näher an die Möglichkeit, Organismen zu erschaffen, die sich selbst unbegrenzt vermehren können. Das ist eine Vorstellung, die nach einer Büchse der Pandora klingt. Aber ist sie das auch?

Das Konzept einer von Menschen angestoßenen Selbstreplikation einer künstlichen Lebensform ist nicht neu. In einem 1966 – und damit nach seinem Tod – erschienenem Buch debattierte der einflussreiche Mathematiker John von Neumann die Idee von „sich selbst reproduzierenden Automaten“.

Eric Drexler, ein US-Ingenieur und Mitbegründer der Nanotechnologie, warnte 1986 in seinem Buch Engines of Creation vor der Gefahr des gray goo – oder der grauen Schmiere. Er stellte sich winzige Nanoroboter vor, die sich unaufhörlich replizieren und beginnen, ihre Umwelt zu zersetzen, um Material zu gewinnen, um sich weiter zu vermehren und dabei alles in einen Schlamm verwandeln, der aus ihnen selbst besteht. Eine dystopische Vorstellung.

Obwohl Drexler später bedauerte, den Begriff der grauen Schmiere in die Welt gesetzt zu haben, wurde sein Gedankenexperiment immer wieder verwendet, um vor den existenziellen Risiken der Entwicklung neuer biologischer Formen zu warnen.

Im Jahr 2002 zeigte sich, dass ein künstlich erzeugtes Poliovirus, das ohne die Hilfe von Künstlicher Intelligenz aus DNA-Sequenzen maßgeschneiderten wurde, sich selbstständig vervielfältigen konnte. Begrenzt auf ein Versuchslabor konnte es Mäuse infizieren und töten.

Möglichkeiten und Nutzen

Die Entwickler der neuartigen Xenobots glauben, dass diese einen großen Wert haben können. Vor allem zeigen sie die Fortschritte in unserem Umgang mit Biologie, Künstlicher Intelligenz und Robotik.

Roboter könnten in Zukunft aus organischen Materialien gefertigt werden, die deutlich umweltfreundlicher sein könnten, da sie gebaut würden, um irgendwann kompostiert zu werden – und nicht, um ewig zu halten. Sie könnten genutzt werden, um gesundheitliche Probleme bei Menschen, Tieren und auch der Umwelt zu adressieren. Und sie könnten einen Beitrag zur regenerativen Medizin oder zur Krebstherapie leisten.

Xenobots könnten ebenso die Kunst inspirieren und neue Perspektiven auf die Natur des Lebens eröffnen. Die Nachkommen der Xenobots beispielsweise sind nach dem Vorbild ihrer Eltern geschaffen, aber nicht aus ihnen entstanden. Sie vermehren sich also, ohne sich wirklich im biologischen Sinne fortzupflanzen.

Möglicherweise existieren außerirdische Lebensformen, die sich auf ähnliche Weise vervielfältigen. Also ihre Kinder aus Materialien in ihrer Umgebung zusammensetzen und nicht durch einen Prozess in ihrem eigenen Körper hervorbringen.

Was sind die Risiken?

Es erscheint recht natürlich, dass es fast schon instinktiv Vorbehalte gegenüber der Forschung an Xenobots gibt. Ein Xenobot-Forscher sagte etwa, es sei ein „moralischer Imperativ“, diese selbstreplizierenden Wesen zu erforschen. Aber das Forscherteam ist sich auch der rechtlichen und ethischen Bedenken bewusst, die mit diesem Forschungszweig und der entsprechenden Arbeit verbunden sind.

Bereits vor einigen Jahrhunderten warnte der englische Philosoph Francis Bacon, dass manche Forschungen zu gefährlich sind, um sie bedenkenlos durchzuführen. Auch wenn wir selbst nicht davon ausgehen, dass das bei den aktuellen Xenobots der Fall ist. Aber bei zukünftigen Entwicklungen könnte das durchaus so sein.

Jeder aggressive Einsatz von Xenobots oder jeder Gebrauch von Künstlicher Intelligenz zur Entwicklung von DNA-Sequenzen, die gefährliche synthetische Organismen hervorbringen würden, ist durch das Biowaffenübereinkommen der Vereinten Nationen sowie das Genfer Protokoll und das Chemiewaffenübereinkommen von 1925 untersagt. Die Nutzung solcher Entwicklungen außerhalb der Kriegsführung ist jedoch weniger klar geregelt.

Die interdisziplinäre Natur der hier stattfindenden Entwicklungen, einschließlich Künstlicher Intelligenz, Robotik und Biotechnologie, macht es schwer, sie zu regulieren. Dennoch ist es wichtig, potenziell gefährliche Anwendungen im Auge zu behalten.

Hier gibt es einen bedenkenswerten Präzedenzfall. Im Jahr 2017 veröffentlichten die Nationalen Akademien für Wissenschaft und Medizin in den USA einen gemeinsamen Bericht zur damals allmählich aufkeimenden Forschung im Bereich der Modifikation des menschlichen Erbgutes.

In dem Bericht wurden Bedingungen dargelegt, unter denen es Wissenschaftlern erlaubt sein sollte, menschliche Gene so zu verändern, dass die Manipulationen an nachfolgende Generationen weitergegeben werden können. Der Bericht rät, diese Arbeit auf „zwingende Eingriffe zur Behandlung oder Verhütung schwerer Krankheiten oder Behinderungen“ zu beschränken. Und selbst dann sollten sie nur unter strenger Aufsicht stattfinden.

Sowohl in den Vereinigten Staaten als auch im Vereinigten Königreich ist die Genmanipulation beim Menschen inzwischen unter bestimmten Umständen genehmigt. Die Schaffung neuer Organismen, die sich selbst fortpflanzen könnten, lag aber weit jenseits dessen, was diese Berichte und Regulierungsvorschläge ermessen konnten.

Ein Blick in die Zukunft

Obwohl Xenobots derzeit noch nicht aus menschlichen Embryonen oder Stammzellen erzeugt werden, ist es denkbar, dass dies in Zukunft getan werden kann und getan werden wird. Das wirft ähnliche Fragen über die Kreation und Modifikation bekannter Lebensformen auf. Und das ruft nach Debatten und Regulierungsanstrengungen.

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Momentan leben Xenobots nicht lange und vermehren sich nur über einige Generationen hinaus. Nach Meinung der Forscher kann sich lebende Materie jedoch auf unvorhersehbare Weise verhalten. Und diese unvorhersehbaren Verhaltensweisen können nicht nur gutartiger Natur sein, sondern eben auch bedrohlicher und gefährlicher Art.

Wir sollten auch mögliche Auswirkungen auf die nicht-menschliche Welt berücksichtigen. Die Gesundheit von Menschen, Tieren und unseres Planeten als solchem ist eng verzahnt. Und vom Menschen eingeführte Organismen können in Ökosystemen ungewollten und unvorhersehbaren Schaden anrichten.

Welche Grenzen sollten wir der Wissenschaft setzen, um ein echtes Gray-Goo-Szenario zu vermeiden? Derzeit ist es ist wohl noch zu früh, um detaillierte Vorhersagen und Vorschriften zu definieren. Aber Regulierungsbehörden, Wissenschaftler und die Gesellschaft als Gesamtheit sollten die Möglichkeiten und Risiken kennen, erörtern und sorgfältig abwägen.

Simon Coghlan forscht hinsichtlich digitaler Ethik am Centre for AI and Digital Ethics und der School of Computing and Information Systems an der University of Melbourne.

Kobi Leins arbeitet im Department of War Studies am King’s College London.

Dieser Artikel erschien zunächst unter einer Creative Commons Lizenz auf Englisch bei The Conversation . Die Übersetzung stammt von 1E9.

Titelbild: University of Vermont

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Die Idee der „sich selbst replizierenden Automate“ gibt es spätestens seit 1958 in der SF-Geschichte „Insel der Krebse“. Selbst replizierende biologische Systeme sind faszinierend, aber auch mit Vorsicht zu genießen. Es wäre toll, wenn 1E9 einen der Autoren des PNAS-Papers zu einem Beitrag oder Interview überreden könnte!

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Wir probieren das auf jeden Fall. Sind außerdem auch an anderen spannenden Leuten dran, die in diesem Umfeld forschen!

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