Peter Hoffmann aus der 1E9-Community ist Professor für Wirtschaftsinformatik. Als Invisible Cow erkundet er außerdem Themen wie digitale Medien, Storytelling – und nun das Metaversum. Er ist den Fragen nachgegangen, was hinter dem Begriffschaos ums Metaversum steckt, was wir dort eigentlich machen wollen und welches Metaversum am besten zu den eigenen, individuellen Bedürfnissen passt. Hier könnt ihr nachlesen, was er herausgefunden hat.
Von Peter Hoffmann
Du hast es eilig? Dann kannst du auch direkt auf die Internetseite von Peter Hoffmann springen, um sein Tool zu nutzen, dass dir das zu dir passende Metaversum verrät .
Wenn jemand, der die Grundlagen zu unserem heutigen Verständnis von Virtual Reality wesentlich geprägt hat, etwas zu dem aktuellen Hype Metaversum sagt, sollte schon genau hingehört werden.
Eine solche Persönlichkeit ist sicherlich Tony Parisi, der mit seinen Tätigkeiten, allen voran seiner Mitarbeit bei der Entwicklung von VRML, der Virtual Reality Modelling Language, auch für Nicht-Nerds den Zugang zur Entwicklung von VR-Anwendungen geöffnet hat.
Die 7 Gebote des Metaversums
Im Oktober 2021 veröffentlichte Parisi dann „Die Sieben Regeln des Metaversums“ und beschrieb mit dem, wie er es nannte, „Framework für die kommende immersive Realität“ auch hier wieder wesentliche Grundlagen und Voraussetzungen, welche Berücksichtigung finden sollten, wenn die Idee eines solchen Metaversums realisiert werden soll:
- Regel #1: Es gibt nur ein Metaversum.
- Regel #2: Das Metaversum ist für jeden nutzbar.
- Regel #3: Niemand kontrolliert das Metaversum.
- Regel #4: Das Metaversum ist offen.
- Regel #5: Das Metaversum ist Hardware-unabhängig.
- Regel #6: Das Metaversum ist ein Netzwerk.
- Regel #7: Das Metaversum ist das Internet.
Wenngleich jede einzelne der von Parisi postulierten Regeln einer näheren Betrachtung Wert ist, so stechen doch zwei davon besonders heraus, nämlich Regel #1 und Regel #7. Letztlich hängen diese beiden Regeln auch eng zusammen, denn wenn nach Regel #7 das Metaversum gleich dem Internet ist, dann erfüllt es automatisch auch Regel #1, da es ja nur ein Internet gibt.
Von Internetten und Metaversen
Beim Internet stellt sich, obwohl dieses ja schon eine ganze Reihe Jahre alt ist, erstaunlicherweise ein ähnliches Problem, wie es im hier Folgenden auch für das Metaversum gezeigt werden soll. Das Internet ist etabliert. Wird allerdings dem durchschnittlichen Benutzer die Frage gestellt, was das Internet denn eigentlich ist, so kristallisiert sich bei steigender Zahl der Befragten immer klarer heraus, dass „das Internet“ mit „dem WWW“, also dem World Wide Web, gleichgesetzt wird.
Dies ist selbstverständlich nicht richtig, denn das WWW ist nur ein, wenn auch sehr großer, Teil des Internets. Ein detaillierterer Blick auf das Beispiel E-Mail zeigt schnell, dass der Kommunikationsweg unabhängig vom WWW auf eigenen Transportprotokollen funktioniert. Die Liste solcher Beispiele ließe sich leicht verlängern mit einer Vielzahl von Messanger-Services, die ebenfalls auf eigenen Protokollen aufsetzen, genau wie nicht zuletzt auch das Internet der Dinge, das IoT, bei dem wohl direkt deutlich wird, dass dieses nur über Umwege mit dem WWW verwandt ist.
Es gibt also doch nicht nur ein Internet. Vielmehr gibt es eine Reihe verschiedener Internette – hier zeigt sich eine sprachliche Schwierigkeit: es gibt keinen Plural zum Begriff Internet – mit verschiedenen Zielen und Funktionen, die nebeneinander existieren. Damit aber wird es mit Regel #7 schwierig.
Es müsste sich die Frage anschließen, welchem Internet das Metaversum entspricht und wie es in genau diesem Internet überhaupt realisiert werden kann.
Dies ist eine Betrachtung, die in möglichst naher Zukunft diskutiert werden muss, ansonsten besteht die Gefahr, dass schon zu Beginn der Entwicklung des Metaversums ein falscher Weg eingeschlagen wird.
Davon ausgehend, dass das zukünftige Metaversum nach heutiger Vorstellung vor allem ein Konsumenten-zentriertes Internet werden soll, liegt nahe, dass es auf eine Weiterentwicklung des WWW hinauslaufen muss. Wird in Parisis Regel #7 das Internet durch das WWW ersetzt, so bekäme diese Regel ein höheres Maß an Konkretisierung. Auch die Regel #1 ließe sich dann erfüllen, da es ja eben nur ein WWW gibt – wenn ein Blick in die Welt des WWW nicht etwas gänzlich anderes zeigen würde.
Zwar ist das WWW rein technisch betrachtet tatsächlich ein in sich geschlossener, einzigartiger Teil der gesamten Internet-(Protokoll-)Familie. Innerhalb des WWW allerdings zeigt sich nicht erst seit dem Aufkommen und der Verbreitung der Social-Media-Plattformen eine Aufspaltung des WWW in verschiedenste Bereiche, die von einzelnen Anbietern und Plattform-Betreibern soweit wie möglich separiert werden. Somit spaltet nicht der technische Zugang das WWW als Einheit, sondern vielmehr die Besitzverwaltung von Informationsbereichen und die damit zusammenhängende Verwaltung der entsprechenden Zugangsrechte.
Das Chaos der Metaversen macht den Begriff zum Buzzword
Dies ist der aktuelle Stand des WWW bisher. Und das Metaversum? Hier schaut es aktuell noch weit chaotischer und unübersichtlicher aus, als es dies beim WWW wohl jemals war. Das gewünschte eine Metaversum nach Parisis Regel #1 liegt, wenn überhaupt, in sehr weiter Ferne.
Einmal googeln – oder das Anwerfen jeder anderen Suchmaschine – reicht, um die aktuell vorherrschende Unübersichtlichkeit schlagartig sehr anschaulich zu offenbaren. Die Ergebnisliste zeigt bei einer solchen Suche einen wahren Reigen an Plattformen, denen die Bezeichnung Metaversum zugeteilt wird. Eine genauere Betrachtung solcher Ergebnisse macht noch einmal umso deutlicher, dass es aktuell keine feststehende Definition für das Metaversum gibt. Vielmehr wird klar, dass die Bezeichnung vor allem aus marketingtechnischen Gründen genutzt wird – und damit zu einem Buzzword verkommt.
Das plakativste Beispiel dafür ist sicherlich Facebook in Persona Mark Zuckerberg. In der Videobotschaft und den weiteren Publikationen zur Umbenennung von Facebook in Meta werden vor allem eher allgemeine und oberflächliche Ideen und Darstellungen des Metaversums als dem embodied internet der Zukunft vorgestellt. Die gezeigten Beispiele zeigen jedoch bei kritischerer Betrachtung die typischen Ideen von 3D-Welten und VR-Räume, wie sie aus unzähligen Spielen bekannt sind.
Zugleich, und dies ist ein besonders wichtiger Kritikpunkt, wird von Zuckerberg und Meta selbst auch zugegeben, dass noch etwa zehn bis zwölf technologische Entwicklungen für eine Realisierung des proklamierten Metaversums fehlen.
Dieses Ausschlachten des ursprünglich neutralen Begriffs Metaversum aus marketingtechnischen Gründen wird ein zentrales Problem der Idee des Metaversums in naher Zukunft sein.
All die für den Benutzer eigentlich nützlichen und interessanten Ideen ebenso wie die vorteilhaften technischen Visionen, die auch etliche Probleme des heutigen Internets bzw. des WWW, das im Wesentlichen immer noch auf mittlerweile 30 bis 40 Jahre alten Techniken und Protokollen basiert, lösen würden, werden verdrängt durch die rein kommerzielle Betrachtungsperspektive. Es wird wohl ein neuer Begriff gefunden werden müssen, der dann hoffentlich nicht ebenso schnell wieder inhaltlich missbraucht wird.
Aber was bedeutet das nun? Die technische Entwicklung wird weitergehen – die Nerds machen das schon. Die Ideen und Visionen dieses neuen Internets sind zu bunt und zu schön, als dass sie einfach verschwinden würden. Das Interesse ist da – und nicht nur das Marketing, sondern eben auch die Technologen und Techniker sowie auch die Benutzer sind offen für ein neues Internet. Ob dieses ein embodied Internet nach Mark Zuckerberg sein wird oder ein dreidimensionales Internet, wie Nvidia es sich vielleicht wünscht, vermag im Moment noch niemand genau zu sagen.
Was will der Benutzer eigentlich im Metaversum machen?
Aber was soll der Benutzer, der die Idee des Metaversum kennenlernen will oder auch ganz einfach nur neugierig ist, in das Metaversum einzusteigen, und es besuchen und erkunden möchte, jetzt tun?
Online wird er mit Ratschlägen aller Art, aber vor allem auch mit einer langen Liste möglicher Metaversum-Plattformen konfrontiert. Kein Benutzer kann sie alle ausprobieren, nur um das für ihn potenziell geeignetste Metaversum zu finden. Zum einen bedeutet dies einen nicht unerheblichen zeitlichen Aufwand, denn für jede Plattform muss der Benutzer sich registrieren, bei der einen Plattform muss er dann einen Avatar erstellen oder sonstige Einstellungen vornehmen, bei der anderen Plattform muss er nur seine persönlichen Daten hinterlegen.
Dazu kommt noch ein weiterer Aspekt: Um überhaupt einen genaueren und damit besseren Eindruck der Möglichkeiten und Angebote der jeweiligen Plattform zu bekommen und nicht nur an der Oberfläche der Möglichkeiten der einzelnen Metaversen zu kratzen, müssen bei vielen Plattformen zunächst Immobilien erworben oder sonstige Feature freigeschaltet – und damit gekauft – werden. Ohne dass der Benutzer eine gewisse Anfangsinvestition in sein möglicherweise zukünftiges Metaversum tätigt, öffnet sich ihm bei vielen, wenn nicht gar bei den meisten, Plattformen nur ein sehr beschränktes Bewegungs- und Erlebnisgebiet. Ein echtes Problem für den Benutzer.
Oft bedeutet eine Einstiegsfrage zum Metaverse: Was soll der Benutzer machen? Jedoch ist diese Frage eigentlich gar nicht so zielführend und sollte wie folgt geändert werden: Was will der Benutzer denn eigentlich im Metaversum machen? Oder: Wie soll dieses Metaversum für den Benutzer aussehen?
Hierzu haben dem Autor dieses Textes 120 Personen eines erstaunlicherweise recht guten demographischen Rahmens ihre Meinung abgegeben, sie haben einen Fragebogen mit Fragen wie diesen beantwortet:
- Was stellst Du Dir unter dem Metaversum vor?
- Welche Technologien/Techniken bringst Du mit dem Metaversum in Verbindung?
- Was würdest Du in dem Metaversum machen wollen?
Hier kam folgendes Problem auf: Ohne Vorgaben gaben die Befragten eine sehr breite, unterschiedliche, manchmal gar blumige Beschreibung ihrer Wünsche und Vorstellungen ab. Bestes und einfachstes Beispiel ist die nahezu synonyme Benutzung von Bezeichnungen wie 3D, 360°, Virtual Reality und Augmented Reality. Das Ergebnis der qualitativen Auswertung ließ es zu, die Vorstellungen und Wünsche der potenziellen Befragten zunächst in drei große Bereiche zu unterteilen:
- Technische Fragen zu Darstellung und Interaktion (2D, 3D, Blockgrafik, VR, AR, Blockchain, usw.)
- Fragen zu der Welt des Metaversums und ihren Inhalten (Land, Immobilien, Gebäude, Avatare, Spiele, usw.)
- Fragen zur Interaktion und den (Erlebnis-)Möglichkeiten in der Welt des Metaversums (Social Interaction, virtuelle Reisen und Touren, virtuelle Politik, Spielen, virtuelle Konzerte, usw.)
Die lange Liste der Metaverse Plattformen – und Ordnung im Chaos
An dieser Stelle hat sich der Benutzer nun mit seinem Metaversum auseinandergesetzt. Das hilft ihm allerdings immer noch nicht wirklich weiter. Gibt er seine Vorstellungen in die von ihm bevorzugte Suchmaschine ein, bekommt er auch mit Fragestellungen wie „Bestes Metaversum in 3D mit VR und Ethereum“ keine aussagekräftige Antwort, welche Plattform er nun auswählen sollte. Um hier zielgerichtet weiterzukommen, müssen die verfügbaren Metaversum-Plattformen im Einzelnen betrachtet und auf die oben erkannten Parameter untersucht werden.
Die einfache Eingabe von Suchstrings wie „Liste der Metaverse-Plattformen“, „Welche Metaversen gibt es“ oder ähnlichen, bringt, wie oben schon erwähnt und wie eigene Versuche leicht zeigen, keine brauchbaren Ergebnisse. Auffällig ist aber, dass es zahlreiche Publikationen gibt, die „die besten x Metaversen“ auflisten. Hieraus ergab sich ein erster Überblick, der dann nochmal aufgedröselt wurde in: „Beste Metaversen zum Spielen“, „… zum Chatten“, „… zum Geldverdienen“.
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Jetzt Mitglied werden!Nach diversen Kriterien und intensiver Recherche bekam der Autor nun eine erste Übersichtsliste, die verdeutlicht, wie viele Anwendungen unterschiedlichster Herkunft und unterschiedlichster Ausrichtung unter dem Label Metaversum vermarktet werden. Die aufgestellte Liste wies mehr als 50 Nennungen auf, was für das ursprüngliche Ziel, einem durchschnittlichen Benutzer einen leichten Einstieg in die Welt der Metaversen zu ermöglichen, immer noch nicht wirklich hilfreich war.
Daher wurden die Nennungen gewichtet und selten genannte Metaversum-Plattformen ausgesondert, so dass als weiteres Zwischenergebnis eine Liste mit den 20 am häufigsten genannten vermeintlichen Metaversen extrahiert werden konnte. Als nicht weiter überraschend kann sicherlich angemerkt werden, dass diese Liste von den bekanntesten Plattformen „Decentraland“, „The Sandbox“ und „Roblox“ angeführt wurde. Eher überraschend ist es, dass „Horizon Worlds“ von Meta alias Facebook nicht vorne, sondern erst im Mittelfeld erscheint.
The choice is yours: Wähle dein Metaversum!
Für den Benutzer, Consumer, Spieler oder Konsumenten ist die Wahl des richtigen Metaversums nicht einfach.
Zum einen ist die Auswahl unüberschaubar groß und dazu noch ausgesprochen fließend. Zum anderen wird dem Benutzer ein leichter Zugang dadurch erschwert, dass die Beschreibungen der Plattform-Features sowohl durch Dritte als auch aus der Selbstdarstellung der Plattformen heraus uneinheitlich und auch sprachlich unscharf sind.
Als Hilfe wurden die Ergebnisse des oben beschriebenen Vorgehens in eine Anwendung übertragen, in der der Benutzer seine Vorstellungen und Wünsche einträgt und einen Vergleich mit den bekanntesten Metaversum-Plattformen erhält. Hier könnt ihr das Tool selbst ausprobieren und euer Metaversum finden.
In dieses Questionnaire sind die oben gewonnenen Erkenntnisse und extrahierten Informationen eingeflossen, die nun auf ständig möglichst aktuellem Stand gehalten werden müssen – Benutzerfeedback ist dabei hilfreich – und deshalb ausgesprochen willkommen.
Die eigentlich wichtigste Erkenntnis: Auch der Autor hat endlich sein Wunsch-Metaversum gefunden. Welches dies ist, wird aber hier nicht verraten, um keine Voreingenommenheit zu erzeugen. Vielleicht treffen wir uns ja trotzdem dort einmal
Peter Hoffmann, einerseits Professor für Wirtschaftsinformatik an der FOM Hochschule in München, andererseits Medieninformatiker mit Herz und Seele. Seit mehr als 20 Jahren beschäftigt er sich mit einem Team wechselnder Kollegen mit den Fragen danach, was „digitale Medien“ und „virtuelle Welten“ eigentlich sind, wie sie wirken, wie sie gestaltet und wie sie genutzt werden können. Unter dem Label Invisible Cow ist sein Hauptanliegen, neben der Entwicklung interaktiver Multimedia-Anwendungen, die Untersuchung und Vermittlung von Antworten auf die Frage, wie die Benutzungsschnittstelle von „echtem“ Hypermedia und Multimedia erfolgreich gestaltet werden kann.
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