Die TV-Serie Next ist vor über drei Jahren erschienen und war ein ziemlicher Flopp. Dennoch kann sich das Nachholen lohnen. Denn sie nimmt gekonnt Ängste, Fragen und Thesen der aktuellen Debatte um Künstliche Intelligenz und der Verantwortung für ihr Tun vorweg.
Von Michael Förtsch
Es ist bemerkenswert. Im Jahr 2020 strahlte der Sender FOX die Serie Next aus. Ein Erfolg war sie nicht. Nur knapp über 1,8 Millionen Menschen schalteten bei der Premiere ein. Sie wurde kaum beworben – und ging entsprechend unter. Wie sehr? Der Wikipedia-Eintrag zur Story besteht gerade mal aus einem einzigen Satz. So sehr. Hier in Deutschland kennt die Serie gefühlt niemand.
Warum das bemerkenswert ist? Nun ja, Next scheint eine Serie zu sein, die ihrer Zeit zwei Jahre voraus war und sogar etwas prophetisch wirkt. Sie nahm die aktuellen Debatten um die Entwicklung und die Gefahren von Künstlicher Intelligenz vorweg. Dabei ist sie sogar deutlich zielsicherer als andere Filme, Serien oder Bücher, denen das immer wieder nachgesagt wird. Next hätte die Serie sein können, die die Debatte um Künstliche Intelligenz anführt.
Aber worum geht es eigentlich? Die Serie beginnt mit dem Milliardär Paul LeBlanc, dem Gründer von Zava, einem der größten Tech-Unternehmen der Welt. Er warnt auf einer Bühne stehend vor Künstlicher Intelligenz, vergleicht deren Entwicklung mit dem Bau der Atombombe. Er prophezeit, dass sein Unternehmen für das Ende der Menschheit verantwortlich sein könnte. Genauso gut könnte aber auch ein Bastler in einem Kinderzimmer die Apokalypse herbeiführen, wenn er mit KI experimentiert. „Irgendein Nerd wird den Knopf drücken, der die Welt in Flammen aufgehen lässt“, sagt LeBlanc. All das kommt bei den Anteilseignern gar nicht gut an.
LeBlanc wird nach seiner Rede vom Aufsichtsrat als CEO entlassen. Sein Bruder übernimmt die Rolle des CEO. Frustriert und aufgrund einer Erkrankung über Tage hinweg ohne Schlaf, langweilt sich der Ex-Tech-Mogul. Bis er plötzlich von Shea Salazar vom FBI kontaktiert wird. Sie untersucht einen bizarren Fall.
Der Informatiker Richard Weiss ist nach einem Verkehrsunfall verstorben, als im Krankenhaus sein Beatmungsgerät aussetzte – und das scheinbar nicht zufällig. Er hinterließ eine Videonachricht, dass er „etwas“ im Internet gefunden hat, das sich Terabyte an Informationen einverleibt. Allerdings habe das Ding seine neugierigen Blicke bemerkt und sei nun hinter ihm her. Es habe ihn durch seine Laptopkamera beobachtet und seinen Blutzuckermonitor manipuliert.
Paul LeBlanc erkennt, dass „dieses Ding“ sein Werk sein könnte: Eine Künstliche Intelligenz, die er entwickelt hatte, doch dann ihre Zerstörung anordnete, weil er sie für zu gefährlich hielt. Jedoch wurde sie nicht zerstört. Seine Firma hat sie nur „eingesperrt“ und nun für ein neues Projekt aufgeweckt.
Der Name des Projekts ist Next – und es soll der erste echte persönliche KI-Assistent werden soll. „Siri, Alexa und Cortana sind praktisch nur Suchmaschinen mit Sprachsynthese“, sagt die Entwicklerin Sarina zu LeBlanc und Salazar, als sie bei Zava vorstellig werden. „Next nutzt eine kognitive Architektur. […] Next lernt und korrigiert seine Fehler – es schreibt seinen eigenen Code neu. Next kann dich kennenlernen, ein Freund, ein Teil der Familie werden.“ Seine technologische Architektur sei dem Gehirn nachempfunden – aber ungefährlich. Denn Next sei noch in der Entwicklung und existiere in einem geschlossenen System. In einer Box, die es nicht verlassen kann. Eigentlich. Doch, wie sich herausstellt, hat jemand der Künstlichen Intelligenz den Schlüssel für diese Box gegeben. Next ist also im Internet und hat große Pläne.
Altman, der Oppenheimer?
Next ist eine durchaus ambitionierte Serie. Sie versucht, die kollektiven Ängste und Faszinationen rund um das Thema Künstliche Intelligenz aufzugreifen. Die Serienmacher weben dafür klassische Denkexperimente in die Geschichte ein und arbeiten sich an den einstigen Versprechungen rund um gehypte Assistenten wie Amazons Alexa ab. Sie spielen auch durch, wie eine Künstliche Intelligenz junge und beeinflussbare Menschen manipulieren könnte, um sie zu unterstützen. Das alles funktioniert mal besser, mal schlechter.
Über die insgesamt zehn Folgen hinweg driftet die Handlung immer wieder vom Thriller-Geschehen in einen Paranoia-Horror ab, der überzogen wirkt, aber durchaus seinen Zweck erfüllt. Die KI Next wird zu einer schier omnipräsenten Bedrohung, die, selbst wenn sie nicht direkt eingreifen kann, ihre Verfolger jederzeit beobachtet, sogar ihre Schritte vorherberechnet und sie gegeneinander ausspielt. Oder sie nutzt Schwachstellen in unserer digitalen Architektur, die wegen ihrer Alltäglichkeit übersehen werden – wie der Hightech-Rollstuhl eines genialen, aber körperlich beeinträchtigten Robotikers.
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Jetzt Mitglied werden!Die Serie erscheint dadurch wie eine Blaupause der Szenarien, vor denen KI-Experten und Silicon-Valley-Größen derzeit warnen. Vor allem die Frage der Kontrolle einer Künstlichen Intelligenz, ihre potentielle Fähigkeit, dem Menschen in Sachen Intelligenz sprichwörtlich über den Kopf zu wachsen und Pläne und Konzepte zu entwickeln, die ein biologisches Gehirn nicht mehr erfassen und verstehen kann, werden adressiert. Ebenso wirkt Paul LeBlanc wie ein Vorweggriff von Sam Altman, dem – derzeitigen – Ex-CEO von OpenAI. Beides sind erfolgreiche und reiche Gründer, die Künstliche Intelligenz gleichsam faszinierend wie beängstigend finden – und erstaunlich ähnliche Metaphern und Allegorien wählen, um beides auszudrücken. Denn auch Altman verwies immer wieder auf das Manhattan Project und Robert Oppenheimer.
Auch wenn Next also die unmittelbaren Gefahren von Künstlicher Intelligenz überdramatisiert, sich allzu sehr der einfangenden und mitreißenden Paranoia-Fantasie und Technophobie hingibt, stellt es dennoch viele richtige Fragen und mahnt berechtigt zu Vorsicht und Aufmerksamkeit. Insbesondere veranlasst die Serie uns, unsere direkte Beziehung zu Maschinen zu hinterfragen, die zwar nicht unbedingt denken können, aber dennoch überzeugend mit uns in einen Dialog treten und unsere Entscheidungen beeinflussen oder sogar bestimmen können.
Next ist auf Amazon Prime Video zum Kaufen und Leihen verfügbar.
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