Die Whistleblowerin Chelsea Manning machte kritische Daten der US-Armee öffentlich – und musste dafür ins Gefängnis. Jetzt setzt sie sich für Datenschutz im Internet ein. Dafür unterstützt sie das Schweizer Unternehmen Nym, das ein Netzwerk aufbauen will, das Kommunikation nicht nachverfolgbar macht. Das setzt auch auf eine eigene Kryptowährung, die Manning als Krypto-Kritikerin jedoch verteidigt.
Von Michael Förtsch
Eigentlich hätte sie für 35 Jahre im Gefängnis sitzen sollen. Für das Kopieren und Weitergeben von zahlreichen Dokumenten und Videoaufnahmen der US-Streitkräfte an die Plattform Wikileaks wurde die Aufklärungs- und Nachrichtenanalystin Chelsea Manning Mitte des Jahres 2013 von einem Militärgericht der Spionage für schuldig befunden. Wie sie in den vergangenen Jahren immer wieder in Interviews sagte, fürchtete sie, sie würde im Gefängnis alt werden – und vielleicht sogar sterben. Jedoch begnadigteBarack Obama die Whistleblowerin kurz vor seiner Amtsübergabe an Donald Trump im Jahr 2017 – und erklärte damit den Rest ihrer Haftzeit für nichtig. Seitdem setzt sich Manning für Whistleblower-Rechte und für mehr Datenschutz und Privatsphäre im Internet ein. Auch um zu verhindern, dass es anderen so ergeht, wie ihr.
Hoffnung sieht sie in einem Start-up namens Nym Technologies, bei dem sie seit 2021 als Sicherheitsanalystin arbeitet. Das Unternehmen aus der Schweiz ist im Jahr 2018 gestartet und wird von der Europäischen Kommission gefördert. Denn Nym verspricht eine Technologie, die die Überwachung und Nachverfolgung im Netz deutlich schwieriger machen soll – selbst für Geheimdienste. „Die Leute glauben meist, dass die Nachricht selbst das ist, was am meisten geschützt werden sollte“, sagt Manning zugeschaltet aus New York City bei einem Panel des Festivals der Zukunft von 1E9 und Deutschem Museum. „Aber es ist eher so, dass [neugierige Beobachter] die Muster nachvollziehen wollen, die Spuren, die [man im Internet] hinterlässt, die erkennen lassen, wie man sich verhält.“
Genau das will Nym mit einer Technologie namens Mixnet erschweren, dessen mathematische Grundlagen bereits in den 1980ern erdacht wurden. Hierbei sollen Datenpakete wild aufgeteilt und über verschiedene Schnittstellen im Internet geleitet werden – nicht unähnlich dem Anonymisierungsnetzwerk TOR. Allerdings sollen die Daten so verschlüsselt und aufgeteilt werden, dass sie alle die gleiche Größe aufweisen und von außen beobachtet vollkommen identisch sind. Außerdem werden die Daten nicht in strikt linearer Reihenfolge gesendet, sondern Pakete werden zufällig verzögert. Dadurch kommen sie in anderer Reihenfolge an, als sie gesendet wurden. „Wir fügen viele Ebenen an Entropie hinzu“, sagt Manning. Es sei, wie ein Kartendeck sehr schnell und sehr oft zu mischen. Danach Datenpakete durch bloße Observation in Beziehung zueinander zu setzen, soll nahezu unmöglich sein.
Das Netzwerk steht bereits
Die Technik von Nym funktioniert bereits – 490 sogenannte Mixnodes gibt es derzeit. Zum Surfen im Internet oder zum Streamen von Filmen und Serien ist dieses Netzwerk aber nicht gedacht, dafür ist der Datentransfer zu träge. Doch es taugt, um Nachrichten oder Transaktionen abzuwickeln und Sammlungen von geheimen Dokumenten nicht nachvollziehbar zu verschicken. Denn um diese verfolgen zu können, „braucht es die Metadaten, das sind Daten, die mit anderen Daten verknüpft sind: wer sendet etwas, wer empfängt etwas, die Zeit in der etwas gesendet wurde, die Datengröße, die Zahle der Daten, die da drin steckt“, sagt Manning. Diese Daten seien für potentielle Überwacher – seien es nun Geheimdienste, Hacker oder ganz andere interessierte Gruppen oder Personen – die attraktivsten und werthaltigen Informationen.
Selbst wenn du eine Nachricht verschlüsselst, gibt es noch die Metadaten.
Chelsea Manning
„Selbst wenn du eine Nachricht verschlüsselst, gibt es noch die Metadaten. Mit denen kannst du […] herausfinden, wer mit wem spricht, wie viel, wie häufig und wann – und wo sich die Gesprächspartner befinden. Dadurch lassen sich Muster feststellen – zu ihrem Verhalten, zu ihrem Leben“, so Manning. Diese Daten könnten etwa Rückschlüsse zulassen, ob jemand regelmäßig mit jemanden kommuniziert, der unter Terrorverdacht steht. Sie könnten aber auch Aufschluss geben, ob eine junge Frau in den USA sich mit einer Ärztin berät, die Schwangerschaftsabbrüche durchführt. Oder auch, an wen eine Privatperson beispielsweise Geld spendet. Genau die Daten, die so etwas ermöglichen, werden durch den digitalen Mixer von Nym verquirlt. Dass sei „ein Grund, warum Nym so wichtig ist“, sagt Manning.
Das Netzwerk von Nym soll daher, wenn es nach Gründer Harry Halpin, dem Geschäftsführer Alexis Roussel und dem Rest des Teams geht, zum Rückgrat sowohl von bereits bestehenden als auch von kommenden Messenger-Diensten, Banking-Apps und Krypto-Wallets werden. Es soll Medien einen Weg ebenen, wirklich sichere digitale Briefkästen für Whistleblower anzubieten. Es soll Aktivisten, Nicht-Regierungsorganisationen und auch Regierungen selbst erlauben, zu kommunizieren, ohne sich um die Spionageorganisationen der Vereinigten Staaten, Russlands, Chinas oder auch vor privaten Organisationen wie Palantir zu sorgen.
Geht es nach Manning solle Nym durch eine breite Integration möglichst eins werden: einfach zu benutzen. Sicher im Netz zu kommunizieren, dürfe kein Luxus und nicht mit Aufwand oder irgendwelcher Konfigurationsarbeit verbunden sein. „Die normalen Leute haben das Gefühl, dass sie eh keine Chance haben“, sagt sie. „Das ist der Schlüsse dieser Technologie, die einfach sehr plug-and-play ist.“ Ziel sei es, dass der Aufwand, Nym zu nutzen, im schlimmsten Falle daraus besteht, einen „Knopf drücken zu müssen“.
Kryptowährung, aber nicht richtig?
Das Start-up Nym Technologies und der Einsatz von Manning werden von manchen Kritikern durchaus skeptisch gesehen. Während der Gründungsphase tat sich das Unternehmen schwer damit, finanzielle Unterstützung zu finden, wie etwa Politico berichtet. Daher entschieden Halpin und sein Team das Anonymisierungsnetzwerk an eine eigene Kryptowährung zu koppeln, die im Netzwerk selbst als eine Wertmarke funktionieren und Betreiber von Anonymisierungsknoten belohnen soll – ganz ähnlich Speicherdiensten wie Filecoin. Das gab dem Start-up finanziell Auftrieb – und lockte zahlreiche private Kryptospekulanten an, die Nym-Token kauften. Ebenso investierten die Kryptobörse Binance und die Investmentfirma Andreessen Horowitz. Über 50 Millionen Euro sammelte das Unternehmen so bereits ein.
Ich bin skeptisch, was Kryptowährung im kulturellen Sinne angeht.
Chelsea Manning
Auch Chelsea Manning sah und sieht das nicht ganz unkritisch. Als Nym an sie herantrat, habe sie mit „Oh nein, nicht noch so ein Token-Projekt!“ reagiert. Aber das Whitepaper zum Projekt und dessen Technologie haben sie umgestimmt. „Ich bin skeptisch, was Kryptowährung im kulturellen Sinne angeht. Was das technische Fundament angeht, was die Mathematik betrifft, das funktioniert hingegen durchaus“, sagt Manning. „Die Ökonomie funktioniert … irgendwie.“ Schwierig sei es, wenn eine Kryptowährung nur als Selbstzweck existiere, wenn sie keine inhärente Funktion abseits des Spekulationsstatus besitze oder keine technische Ebene mitbringe, die einen Nutzen darstellen kann – „also nichts hat, was ich als Nutzwert bezeichnen würde“, wie Manning sagt.
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Jetzt Mitglied werden!Wie Manning weiter ausführt, müssten Kryptowährungen aber differenzierter betrachtet werden. Eben dahingehend, ob hinter einem Digitalgeld nur eine dumme Blockchain stehe oder ein Dienst, der auch einen Mehrwert hat und einen Zweck erfüllen kann. „Ja, Nym hat einen Token – aber das ist nicht das, was es ausmacht […]. Die Struktur ist nicht um den Token herum gebaut“, sagt Manning daher. „Nym hat einen Nutzwert, es ist ein Werkzeug, es belohnt Menschen [mit dem Token] dafür, sich an dem Netzwerk zu beteiligen.“ Die Nym-Tokens könnten ohne Mittelsmann und an jeden überall auf der Welt ausgezahlt werden. Und sie seien auch für das Unternehmen selbst ein Antrieb, Nym zum Erfolg zu machen.
Nur wenn die Infrastruktur von Nym gut funktioniere, werde der Token seinen Wert halten können, sogar steigen und damit Node-Betreiber anziehen, die wiederum dafür sorgen, dass das Netzwerk wächst und dadurch die Kapazität steigt. Dass die Betreiber von Nym-Nodes zu Millionären werden können, glaubt Manning allerding nicht. Die Tokens seien lediglich ein Anreiz, etwas zum Netzwerk beizutragen. Nym sei im Kern auch nur bedingt ein Web3-Dienst, sondern ein Datenschutzprojekt, das eine Funktionalität des Web3 adaptiere, um wirklich besser und in größerer Breite zu funktionieren können.
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Titelbild: Chelsea Manning / 1E9
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