So sieht die erste Hyperloop-Strecke in München aus

Mehrmals haben Studierende der Technischen Universität München den Hyperloop-Wettbewerb von Elon Musk gewonnen. Nun hat TUM Hyperloop, das Team der Universität, eine Röhrenstrecke in Lebensgröße gebaut. Bereits im kommenden Jahr sollen in ihr erstmals Menschen transportiert werden – wenn auch nur 20 Meter weit.

Von Michael Förtsch

Der Industriebau an der Maria-Merian-Straße in Ottobrunn könnte kaum trister sein: ein dreistöckiges Bürogebäude mit grau-weißen Wänden und einem Flachdach. Überdachte Gänge mit großen Fenstern schließen ihn mit anderen Zweckbauten zusammen, die kaum aufregender erscheinen. Doch dieser Komplex hat Geschichte, wie Gabriele Semino sagt. Denn genau hier saßen einst einige der Ingenieure, die den Transrapid entwickelten. Seit Ende der 1960er arbeitete die Firma Messerschmidt-Bölkow-Blohm an dem Magnetschwebezug– später kamen Krauss-Maffei, Siemens, Henschel und AEG dazu. Die Idee eines Zugs, der über den Gleisen schwebt, sollte den Fernverkehr revolutionieren. Einige Jahrzehnte und Milliarden Euro später fährt der Transrapid zwar – jedoch nur auf einer einzigen Strecke in China. „Aber wir halten das nicht für ein schlechte Omen“, sagt Semino, der im selben Gebäude mit einem Team an einer anderen möglichen Verkehrsrevolution tüftelt: dem Hyperloop.

Die Idee hinter dem Hyperloop ist recht simpel. Normale Eisenbahnen müssen viel Kraft aufwenden. Denn sie werden bei der Fahrt durch die Luftmassen gebremst. Außerdem geht viel der eingesetzten Energie durch die Reibung der Räder mit den Schienen verloren. Könnten diese Faktoren eliminiert oder zumindest reduziert werden, könnten Züge deutlich schneller und effizienter unterwegs sein. Diese Überlegung ist nicht neu, sondern bereits über 100 Jahre alt. Bekannt machte sie aber erst der umtriebige wie umstrittene Tesla-Chef und SpaceX-Gründer Elon Musk. Im Jahr 2013 veröffentlichte er ein Whitepaper, das auf 58 Seiten ein Verkehrssystem beschreibt, bei dem Omnibus-lange Kapseln durch nahezu luftleere Röhren rasen – angetrieben von einer Turbine und getragen von einem Luftpolster, das sich während des Vortriebs um den Pod bildet.

Der Milliardär sah diese Idee als Alternative zu klassischen Hochgeschwindigkeitszügen. Er wollte das Konzept seinerzeit nicht selbst umsetzen. Daher gab er es frei. Dutzende von Firmen und unabhängigen Teams griffen die Vision auf, interpretierten sie neu und entwickelten sie weiter. Darunter auch eine Studierendengruppe an der Technischen Universität München, die mehrmals einen von Musk und SpaceX ausgerichteten Wettbewerb für Miniatur-Prototypen der Kapseln gewann. Seit Ende des Jahres 2019 ist daraus ein offizielles Forschungsprogramm der TU München erwachsen.

„Wir haben inzwischen Vollzeitmitarbeiter – neun Doktoranden und eine Projektassistenz“, sagt Semino, der bei den SpaceX-Wettbewerben dabei war und nun das Hyperloop-Programm als Projektleiter übersieht. Dazu kommen noch 70 bis 80 Studierende, die in verschiedenen Teilbereichen rund um das Hyperloop-Projekt mitwirken. Zusammen sollen sie die Mach- und Nutzbarkeit des Hyperloops als Verkehrskonzept belegen – und können das nun mit einer eigenen Strecke und einem Hyperloop-Pod in Lebensgröße tun.

Eine Betonröhre

Die Strecke für den Hyperloop steht bereits. Nur drei Minuten Fußweg ist sie vom Büro von TUM Hyperloop entfernt. Auf einer von einer Wiese eingefassten Brachfläche neben einem Rangierplatz steht eine 20 Meter lange und mehr als mannshohe Röhre aus Beton, die auf einem stabilen Podest aufgebockt ist. „Beim Wettbewerb [von SpaceX] ging es darum, eine Kapsel zu bauen, die möglichst schnell ist“, sagt Semino. „Hier versuchen wir nun ein Teilstück einer Hyperloop-Strecke zu bauen, wie sie wirklich funktionieren soll.“ In der Röhre befinden sich daher Gleise und an ihrem Ende eine dicke Stahlplatte mit zwei Öffnungen. Über letztere wird die Luft aus der Röhre gesaugt, nachdem der Hyperloop-Pod in die Röhre geschoben wurde.

Rund 100.000 Euro hat sich das Team den Streckenabschnitt kosten lassen. Verbaut ist kein normaler Beton, sondern Ultra High Performance Concrete. Es handelt sich also um ein besonders dichtes und belastbares Gemisch, das die Luft draußen und das Vakuum drinnen halten soll. „Es ist eher wie Keramik“, sagt Semino. „In unserem Test ging da keine Luft durch.“ Die Münchner sind überzeugt, dass die Betonröhren potentiell eine bessere Strecke liefern könnten als die Metallröhren, auf die viele andere Hyperloop-Teams setzen. Günstiger, nachhaltiger und schneller herstellbar sollen sie sein. Ebenso könnte die Masse des Betons helfen, restliche Vibrationen aufzufangen, die bei den schnellen Fahrten auftreten.

Neu ist die Idee nicht. Dass Beton zur Basis einer Hyperloop-Strecke werden könnte, diese Überlegung verfolgen die Münchner schon länger. Auf dem TU-Gelände in Garching hatte das Team bereits eine Miniaturtrasse mit einem kleinen Modell erprobt, um die generelle Funktionalität auszutesten. „An unserem Plan hat sich eigentlich nichts geändert“, sagt Semino. „Aber natürlich mussten wir für diese große Skala jetzt alles überdenken und neu entwickeln.“ Insbesondere um die Sicherheit auf der Strecke zu gewährleisten, mussten neue Konzepte und Ideen eingearbeitet werden. Unter anderem verlaufen durch die Röhren sogenannte Spannstahllitzen, die diese zusammenhalten. Die einzelnen Segmente sind zudem mit speziellen Dichtungen versehen, die die Röhre sowohl in der Kälte als auch in der Hitze der verschiedenen Jahreszeiten versiegeln sollen.

Eine Kapsel in Lebensgröße

Für die riesige Röhre braucht es natürlich auch eine entsprechende Kapsel. Mit den kleinen Pods der Hyperloop Competition hat diese nur noch wenig gemein. Das beginnt schon damit, dass sie so groß ist, dass tatsächlich mehrere Menschen darin Platz nehmen können. Außerdem sei nahezu alle Technik von Grund auf neu konzipiert und entwickelt worden – wobei einige der Planer Veteranen der Wettbewerbe sind und ihre Erfahrungen einfließen lassen. „Bei den Wettbewerben waren wir dadurch begrenzt, dass wir alles für die Röhre von SpaceX auslegen mussten“, so Semino. „Jetzt, wo wir mehr Freiheiten haben, unsere eigene Strecke haben, sagten wir uns: Dann machen wir es gleich richtig – in voller Größe.“ Der neue Pod sei daher im Gegensatz zu allem, was davor kam, ein „richtiges Fahrzeug“.

Der Pod besteht aus zwei Bauteilen: einer Service-Modul getauften Schlittenkonstruktion, in der die gesamte Technik für die Fahrt verbaut ist, und einer Kabine für die Passagiere, die darauf aufgesetzt wird – ganz ähnlich, wie moderne E-Autos gebaut werden. Der Schlitten ist das Bauelement, das für den Schwebezustand sorgt. Er umfasst die gleich einem T geformten Schienen ganz ähnlich wie der Transrapid. Dadurch, erklärt Semino, können sich starke Elektromagnete an Eisenplatten an den Schienen anziehen und die Kapsel wenige Millimeter nach oben hieven. Weitere Elektromagneten sollen die Kapsel zudem nach links und rechts stabilisieren, so dass jeglicher Kontakt mit der Infrastruktur der Röhre vermieden wird. „Wir glauben, das ist eine gute Kombination“, sagt Semino. „Aber es geht natürlich auch darum, festzustellen, ob bestimmte Dinge vielleicht nicht so funktionieren, wie wir uns das denken.“

Das Design der Kapsel ist bereits weitestgehend fertiggestellt und verschiedene Kernelemente sind in der Fertigung. Auch an einem futuristischen Interieur mit fünf Sitzen wird von einem Designstudenten gearbeitet. Im Frühjahr 2023 sollen die elementaren Bauteile vorhanden sein, so dass der Pod nach und nach von den Mitarbeitern montiert werden kann. Wobei das eine deutlich größere Aufgabe wird als zuvor. „Einzelne Bauteile sind nun schon so groß und schwer, dass man sie nicht mit der bloßen Hand heben kann“, sagt Semino. Statt nur einiger Werkbänke braucht es jetzt eine ganze Halle samt Gabelstaplern und Kränen. Und wenn der Pod fertiggestellt ist, wird eine Transportplattform benötigt, um ihn zur Teststrecke zu bewegen, und ein Hebesystem, um ihn in die Röhre zu hieven. „Es ist ein enormer Aufwand“, sagt Semino. „Es wird eine große Aufgabe.“

Die Testfahrt ist schon geplant

Zwischen März und April 2023 soll die Kapsel erstmals in die Röhre gehoben werden. „Erst einmal ist das dann nur das Service-Modul – und ohne Vakuum. Später kommen die Kabine und das Vakuum dazu“, erklärt Semino. „Es ist ein Stufenprozess. Es ist eine Kampagne von Tests – wir arbeiten uns voran.“ Das Schweben des Pods, das Fahren auf den Gleisen und das Funktionieren unter reduziertem Luftdruck erfordere viele Einzelschritte und unabhängige Experimente. Nur so könnten Fehler und Makel gefunden und die Sicherheit des Gesamtsystems sichergestellt werden. Und das ist auch nötig. Denn die Hyperloop-Konstrukteure wollen auch selbst eine Fahrt unternehmen – möglichst bald.

Verläuft alles nach Plan und zeigen sich bei den Probeläufen keine schwerwiegenden Fehler, die sich nicht ohne weiteres beheben lassen, wollen bereits im Sommer nächsten Jahres mehrere der Hyperloop-Entwickler in die Kapsel steigen. „Wir haben Freiwillige im Team – ich und ein paar andere sind das“, sagt Semino. Ohne weiteres geht das allerdings nicht. Medizinische Untersuchungen und ein Notfalltraining sind nötig – für den Fall, dass die Druckkammer versagt und die Passagiere dem Vakuum ausgesetzt werden. Das haben die Entscheider bei TUM Hyperloop mit dem TÜV Süd vereinbart, der die Konstrukteure bei der Sicherheitsprüfung der Anlage unterstützt und einzelne Elemente abnimmt. Außerdem sind Sicherheitssysteme vorgesehen, um die Röhre im Notfall binnen einer Minute mit Luft zu fluten.

„Wir sind also nicht lebensmüde“, scherzt Semino. „Wir machen das wirklich erst, wenn alles geprüft und sicher ist.“ Eine große Fahrt erwartet die Probe-Passagiere aber nicht unbedingt. Die Kapsel misst rund ein Drittel der Länge der Strecke und erreicht eine Spitzengeschwindigkeit von rund 16 Kilometern pro Stunde. Aber das sei genug, um das grundsätzliche Potential der Technologie und die Machbarkeit des Konzeptes von TUM Hyperloop auszutarieren; um abzuschätzen, „ob die Richtung stimmt“, wie Semino sagt. Dann könnten die nächsten Schritte gegangen werden, um die Entwicklung weiterzutreiben. Die bestünden vor allem aus der Planung und Konstruktion einer längeren Strecke. Rund einen Kilometer könnte die Folgetrasse messen. „Da wären wohl keine 900 Kilometer pro Stunde drin“, sagt Semino. „Aber 200 Kilometer pro Stunde, das wäre da machbar.“

Erfolg? Nicht garantiert

Das Team von TUM Hyperloop ist von der Idee einer Bahn in einer nahezu luftleeren Röhre überzeugt. Es glaubt, dass hier ein neues und möglicherweise revolutionäres Verkehrskonzept entstehen könnte. „Daher machen wir das“, sagt Semino. Aber die Truppe ist dennoch offen für Kritik und Skepsis. Es gebe noch viele offene Baustellen und Herausforderungen zu adressieren und zu meistern, räumt Semino ein. Insbesondere was die Sicherheit der Passagiere und die Steuerung einer Bahn bei Geschwindigkeiten angehe, die weit jenseits der Rekorde bisheriger Magnetschwebezüge liegt. Doch vieles davon seien Probleme, die nach mehr Forschung, Entwicklung und Regularien rufen – und damit auch nach mehr Zusammenarbeit.

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Gabriele Semino plädiert daher dafür, dass die zahlreichen Hyperloop-Start-ups und Forschungsinitiativen langfristig eine gemeinsame Zielvorgabe entwickeln. Denn in Europa, Nordamerika und dem Rest der Welt arbeiten verschiedene Team an verschiedenen technischen Interpretationen des Systems, die in ihren Spezifikationen so ähnlich wie auch unterschiedlich sind. „Das Ziel sollte sein, dass sich ein Hyperloop-Konzept durchsetzt“, sagt der Hyperloop-Entwickler. „Denn die Frage ist nicht, welches Hyperloop-Konzept gebaut wird, sondern ob überhaupt eines gebaut wird. Aber wenn eines gebaut wird, dann sollte es idealerweise das Beste sein.“

Dass sich die Idee von TUM Hyperloop als das beste Hyperloop-Konzept erweist, das lässt sich noch nicht sagen. Aber darauf komme es nicht unbedingt an. „Es ist wichtig und wertvoll, dass Dinge erprobt und Erkenntnisse gesammelt werden“, sagt Semino. „Bei uns und anderswo.“ Viele der Entwicklungen, die derzeit entstehen, könnten irgendwann in ein gemeinsames europäisches Hyperloop-Konzept einfließen. Aber sie könnten auch andere Verkehrssysteme besser und sicherer machen. Selbst wenn die Idee Hyperloop scheitert, sei die Arbeit daran nicht umsonst.

Tatsächlich ist Semino überzeugt, dass der Hyperloop sich seinen Platz als ernsthaftes Verkehrskonzept verdienen muss. Die Röhrenbahn dürfe nicht nur „etwas besser als die Eisenbahn oder etwas besser als ein Flugzeug“ sein, sondern „grundsätzlich besser“, was Geschwindigkeit, Komfort, Zuverlässigkeit und Nachhaltigkeit angeht. Nur dann habe er eine Chance und Berechtigung. Bis sich darüber ein Urteil fällen lässt, sei es aber noch ein weiter Weg. Die Technologie, um einen Hyperloop zu bauen, könnte bereits in einigen Jahren soweit sein, meint der Hyperloop-Projektleiter. Bis die erste Trasse für den Personentransport eröffnet wird, könnte jedoch noch ein Jahrzehnt oder sogar mehr vergehen. „Ich habe sehr optimistische Schätzungen gehört, dass es noch in diesem Jahrzehnt soweit sein könnte“, sagt Semino. „Aber das glaube ich eher nicht.“

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Dies kam gerade als anonymer Leserbrief zum Thema rein:

"warum steht im Text "Betonröhre", wenn eine Stahlröhre abgebildet ist?"

Es ist keine Stahlröhre abgebildet, sondern eine Betonröhre. Der Beton ist nur sehr dicht und sehr glatt und kann dadurch aus gewisser Entfernung wie Stahl ausschauen. Auf dem dritten Bild, das die Innenseite zeigt, lässt sich der Beton besser erkennen.

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Ich denke, dass die angestrebte Zusammenarbeit sehr wichtig ist und vielleicht auch hilft die hohen Kosten etwas im Zaum zu halten.

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