SIXT will mit seiner Mobilitäts-App weltweit in der ersten Liga spielen

Deutsche Firmen verschlafen die Mobilität der Zukunft und haben keine Ahnung von Software. Mit diesem Vorurteil will der Autovermieter SIXT aufräumen. Die neue App des Unternehmens bündelt erstmals Autovermietung, Carsharing und Fahrdienste. Ihr Chefentwickler verrät, wie es dazu kam, wo SIXT schlaue Algorithmen einsetzt und was aus der Zeit der Lochkarten geblieben ist.

Von Wolfgang Kerler

Vor gut einem Jahr dachten viele, SIXT wäre raus. Im Januar 2018 kaufte BMW dem Familienunternehmen seinen Anteil an DriveNow ab. Der Autobauer wollte den Carsharing-Dienst mit Car2Go von Daimler fusionieren. Der frühere Partner SIXT schien da zu stören, obwohl er die Software für DriveNow lieferte. Doch damit endete die Geschichte nicht.

Am 22. Februar 2019 verkündeten BMW und Daimler offiziell den Zusammenschluss ihrer Tochterfirmen zum neuen Carsharing-Marktführer SHARE NOW. Kaum eine Woche später machte SIXT klar, dass man den Großkonzernen nicht das Feld überlassen will. Das Unternehmen launchte nicht nur einen eigenen Carsharing-Dienst, sondern präsentierte auch seine neue App. Mit der können Kunden Sharing-Autos buchen, Fahrzeuge mieten oder einen Fahrdienst bestellen. In Deutschland heißt das: Taxis, in den USA soll der UBER-Konkurrent Lyft dabei sein.

Im Interview mit Werner Huber wollte 1E9 wissen, warum SIXT die App selbst baut, ob Nutzerdaten für die Berechnung der Preise verwendet werden und was die Firma unternimmt, um trotz des leergefegten Arbeitsmarkts Leute zu finden. Werner war als Director of Engineering Frontend für die Entwicklung der neuen App verantwortlich.

1E9: Bevor wir über eure neue App reden, sollten wir etwas klarstellen: Ist Sixt in Wahrheit ein Tech-Unternehmen und wir haben es nur noch nicht gemerkt? Immerhin sagte Firmen-Chef Erich Sixt kürzlich, die Firma sei „eine IT-Company mit angeschlossener Autovermietung“.

Werner Huber: Ich kenne den Satz seit ich bei Sixt angefangen habe. Das war 2010. Intern ist er nichts Neues, sondern eine Selbstverständlichkeit. Schon als die ersten Lochkarten-Systeme auf den Markt kamen, setzte Erich Sixt sie ein, um Mietverträge abzurechnen. Er selbst entwickelte COBOL-Routinen, von denen manche bis heute auf unserem Mainframe im Keller laufen. Technologie wird hier nicht als Kostenfaktor angesehen, sondern als Teil der Wertschöpfung. Sie ist Teil der Unternehmens-DNA.

Gab es deshalb nie Überlegungen, die neue App von einem Dienstleister entwickeln zu lassen?

Huber: Wir sind ein börsennotiertes, gleichzeitig familiengeführtes Unternehmen. Das hat den Vorteil, dass Entscheidungen schnell getroffen und umgesetzt werden können und sich an den Wünschen unserer Kunden ausrichten. Wenn wir erst in eine Angebotsphase gehen müssten, um externe Dienstleister zu finden, könnten wir unsere Ideen nicht schnell genug auf die Straße bringen. Deswegen entwickeln wir unsere Software selbst.

Eines meiner ersten Projekte war übrigens die Entwicklung der DriveNow App, die wir in einem Team von einer Handvoll Engineers nativ gebaut haben. Das war damals noch möglich. Heute besteht das App-Team aus 30 Mitarbeitern.

Damit wären wir auch schon bei eurer aktuellen App. Beim Event am 28. Februar durftest du sie mit Erich, Alexander und Konstantin Sixt vorstellen. Mit ihr kann man nicht nur Autos mieten, sondern auch euren neuen Carsharing-Service nutzen oder ein Taxi rufen. Wie lange hat es gedauert, das alles in eine App zu packen?

Huber: Wir haben vor etwa zwei Jahren angefangen. Anfangs ging es nur darum, die App für unsere Autovermietung technisch neu aufzusetzen und die User Experience auf den neuesten Stand zu bringen. Mit der App sollte man ein Auto nicht mehr nur anmieten, sondern auch öffnen können. Der Unterschied zum Carsharing ist dann aber ohnehin nur noch, dass die Autos an der Straße und nicht an der Station stehen und ich nach Minuten und nicht nach Stunden abrechne. Davon abgesehen ist es dasselbe Produkt. Seit 2013 hatten wir außerdem eine eigene App für unseren Taxi- und Limousinen-Service MyDriver, der jetzt SIXT Ride ist.

Der nächste logische Schritt war für uns, alle drei Dienste in einem integrierten Produkt zu bündeln, das man mit einem Log-in nutzen kann. Dass die neue App genau das können soll, stand dann im Herbst vergangenen Jahres fest. Als wir sie am 28. Februar vor großem Publikum und über 1.000 SIXT-Mitarbeitern gelauncht haben, war ich einfach stolz. Die App ist mein Baby, das ich über die Jahre hinweg begleitet habe.

Allein seid ihr aber nicht im Markt für Mobilitäts-Apps. Ihr trefft da auf viele Start-ups, aber auch auf Autokonzerne und Tech-Giganten. Macht dir das nicht manchmal Angst?

Huber: Nein, der Anspruch ist, dass unsere App zu den besten der Welt gehört. Mein ganz persönlicher Anspruch ist, dass man sagt: „Die SIXT App, das ist ne geile App!“

Zuerst waren das Medienecho und die Reaktion an der Börse richtig gut. Dann gab es einen Aufschrei. In einem viel zitierten Artikel hieß es sinngemäß: Wer ein iPhone habe oder in teuren Boutiquen einkaufe, zahle bei SIXT share mehr als Android-Nutzer, die im Outlet shoppten. Dafür solle das Programm verantwortlich sein, das eure Preise festlegt. Was ist da dran? Verwendet ihr Daten von Nutzern, um von ihnen mehr Geld verlangen zu können?

Huber: Das war ein Missverständnis und ging auf eine nicht deutlich genug formulierte Aussage auf einer Pressekonferenz zurück. Deswegen sage ich es nochmal ganz klar: In die Berechnung der Preise fließen weder Standortdaten der Nutzer ein noch die Marken oder Betriebssysteme ihrer Handys. Das lässt sich leicht testen: Egal, ob iOS oder Android, der Preis ist derselbe. Entscheidend für den Preis sind nur die Daten über die voraussichtliche Auslastung und Verfügbarkeit sowie den Standort unserer Fahrzeuge. Meistens dürfte es also teurer sein, am Samstagnachmittag ein Fahrzeug in der Innenstadt zu mieten als Dienstagvormittag am Stadtrand. Wird ein Auto in einer Gegend mit besonders niedriger Nachfrage geparkt, sinkt der Preis. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass es von einem Kunden zurück in die Innenstadt gefahren wird, und wir niemanden schicken müssen, um es abzuholen.

Das Besondere am neuen SIXT-Angebot: Kunden können die Sharing-Fahrzeuge, die momentan in Berlin und Hamburg und ab Mitte des Jahres auch in München stehen, problemlos zum „normalen“ Mietwagen umfunktionieren und bis zu 27 Tage nutzen. SIXT ist deswegen auch bei der Flottengröße flexibel – Autos lassen sich mal im Carsharing und mal in der klassischen Vermietung einsetzen.

Ihr nutzt für die Preisberechnung bereits Machine Learning, was oft als Künstliche Intelligenz bezeichnet wird. Viele deutsche Unternehmen sind da noch zögerlich. War es denn kompliziert?

Huber: Eigentlich nicht. In der Autovermietung wird schon seit Jahrzehnten mit Preisen gearbeitet, die von der Auslastung abhängen. Und für uns ist Carsharing nichts anderes als Autovermietung. Außerdem haben wir pro Tag 800 Millionen Preisanfragen für unsere rund 2000 Vermietungsstationen und unsere bisher zwei Share-Städte. Da lassen sich Preise nicht mehr manuell von einem Pricing-Manager festlegen.

Setzt ihr maschinelles Lernen auch in anderen Bereichen des Unternehmens ein?

Huber: Bei allem, was wir tun, steht der Vorteil für den Kunden im Fokus. Deshalb versuchen wir, KI gezielt dort einzusetzen, wo es für den Kunden Sinn macht. So arbeiten wir beispielsweise im e-Commerce Bereich mit Recommendation Engines oder setzen Chatbots mit KI ein, um Kundenanfragen schneller und effektiver bearbeiten zu können.

Ihr entwickelt eure Apps und Webseiten selbst und experimentiert sogar mit Künstlicher Intelligenz. Dafür braucht ihr gutes Personal. Hat sich denn schon herumgesprochen, dass Sixt auch ein Tech-Unternehmen ist? Oder ist es auch für euch schwer, Leute zu finden?

Huber: Es ist auch für uns schwierig. Da geht es uns leider nicht anders als anderen Unternehmen. Der Markt für Entwickler ist praktisch leergefegt. Deswegen sind wir kreativ. Um attraktiv zu bleiben, setzen wir immer auf die neuesten Technologien. Wir sind, zum Beispiel, der größte Golang-Arbeitgeber in München. Außerdem investieren wir in unsere Leute. Wir haben unsere Büros umgebaut, habe eigene Feelgood-Manager, veranstalten Events und Konferenzen, zu denen wir auch die Community einladen.

Und wir haben das Glück, Produkte zu bauen, die von vielen Menschen genutzt werden. Seit die App auch Carsharing und Ridehailing kann, ist die Zahl der täglichen User deutlich gestiegen. Da kommt es schon vor, dass jemand ins Büro kommt, und sagt: Hey, gestern Abend war ich was essen und am Nebentisch haben sich zwei Leute über unsere App unterhalten. Darauf kann man schon stolz sein.

Was haltet ihr von der Idee, Carsharing und Autovermietung zu verschmelzen? Würde euch das das Leben erleichtern? Und wie schaut es bei euch in der Arbeit mit dem Stellenwert von Technologie aus: Kostenfaktor oder Teil der Wertschöpfung?

Teaser-Bild: SIXT

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